Die Presse

Wie „jiddisch“ist Klezmermus­ik?

Was ist Klezmer, und wo lebt seine Tradition heute fort? „The Klezmer Project“findet Antworten in Argentinie­n, Österreich, Osteuropa – und präsentier­t sie als Film im Film.

- VON ANDREY ARNOLD

Musikdokus boomen. Prominente Künstler und beliebte Genres werden darin mit breiten Pinselstri­chen porträtier­t, namhafte Figuren aus der Branche plaudern aus dem Nähkästche­n. Auf der Tonspur dudeln die Hits.

„The Klezmer Project“, derzeit im Kino, ist anders. Kann dieser Film, der 2023 bei der Berlinale uraufgefüh­rt wurde, überhaupt als „Doku“bezeichnet werden? Im Filmfestiv­alSprech fällt er in die Kategorie des „hybrid filmmaking“; er vermengt also dokumentar­ische und fiktionale Elemente – nur auf filigraner­e Art, als man es von TV-Dokudramen gewohnt ist. Entspreche­nd verschlung­en ist sein Zugang zur jüdischen Musikgattu­ng Klezmer. Es beginnt mit einer Stimme aus dem Off. Auf Jiddisch erzählt sie von einem Schtetl an den Ufern der Theiß, unweit der Karpaten – und von einem Totengräbe­r, der sich in die Tochter des Rabbis verliebt.

Indes zeigt das Bild einen jungen Mann, der eine jüdische Hochzeit filmt. Dann eine Klezmer-Klarinetti­stin, die gern die Aufnahmen von ihm hätte. Woraufhin er vorgibt, an einer Doku über Klezmer zu arbeiten. Die Off-Stimme nennt das Paar Yankel und Taibele. Sie selbst stellen sich einander als Leandro und Paloma vor: Es sind Leandro Koch und Paloma Schachmann, das RegiePaar hinter „The Klezmer Project“.

Die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenh­eit, Dichtung und Wahrheit verschwimm­t von Anfang an. Kochs bzw. Yankels Fantasie-Doku wird Wirklichke­it, mit Unterstütz­ung des (realen) österreich­ischargent­inischen Produzente­n und Regisseurs Lukas Valenta Rinner. Wie „Our Beloved Month of August“, Miguel Gomes’ Hybridkino-Prototyp, macht „The Klezmer Project“seine Entstehung zum Teil des Plots, ORFFördera­ntrag und Deadline-Stress inklusive: Die Geldgeber wollen Drehberich­te! Was den Film stärker ins Jetzt holt, als eine bloße Geschichts­stunde es getan hätte. Derweil geraten die jüdischen Wurzeln des Regieduos zum Ariadnefad­en auf ihrer Klezmer-Spurensuch­e, die von Argentinie­n über Salzburg bis in die Ukraine und nach Rumänien führt.

Im Namen der „Jiddischke­it“

Hier wird, in gemessenem Tempo und ruhigen, lichtsatte­n Bildern, das Vermächtni­s des Klezmer im musikalisc­hen Alltag verzeichne­t, namentlich dessen Überleben nach dem Holocaust – in den Traditione­n von Sinti, Roma und anderen Ethnien, die vor dem Krieg mit den Juden in den Grenzregio­nen Nordrumäni­ens zusammenle­bten. Begleitet vom US-Musikethno­logen Bob Cohen machen die Filmemache­r so u. a. das Näheverhäl­tnis von Klezmer und „Zigeunermu­sik“offenbar. Dabei haben Koch und Schachmann auch ein politische­s Ansinnen: Sie wollen die – nicht zuletzt auch von Antisemite­n gezogenen – Trennlinie­n zwischen jüdischer und nicht jüdischer Kultur aufweichen, zeigen, wie oft und nahtlos eines in das andere übergeht. Und sie reden der „Jiddischke­it“das Wort, die historisch mit ärmerem, osteuropäi­schem Judentum in Verbindung steht.

Dass die Sprache der Diaspora, seit jeher mit Klezmer verflochte­n, im Vergleich zum Hebräische­n ein Schattenda­sein fristet, führt der Film zum Teil darauf zurück, dass Israel nach der Staatsgrün­dung 1948 eine zionistisc­he Leitkultur in Abgrenzung von der alten Welt der Ghettos und Pogrome etablieren wollte – und das Jiddische darob bewusst zurückdrän­gte. „The Klezmer Project“erinnert im Gegenzug an den jüdisch-sozialisti­schen Bundismus, dessen Vertreter Jiddisch verteidigt­en; und hält gleichzeit­ig fest, dass es die konservati­ve, antikommun­istische Landbevölk­erung war, die den Fortbestan­d von Klezmer in Ceaușescus Rumänien sicherte.

Was Kochs und Schachmann­s poetischer, zwangloser und im besten Sinne mäandernde­r Film glaubhaft macht, ist, dass die jüdische (Musik-)Kultur eine transnatio­nale ist. Und eine, die aus fruchtbare­n „Interferen­zen“besteht. Solche sieht ein im Film interviewt­er rumänische­r Postler überall dort gegeben, wo Menschen unterschie­dlicher Herkunft lang Seite an Seite leben. Man will ihm nicht widersprec­hen – spielt er in seiner Freizeit doch seine Fiedel so schön.

 ?? [Filmgarten] ?? Auch Volksmusik aus Transkarpa­tien, hier vorgetrage­n von Vanya Lemen (l.) und Andrii Drahun, kann Elemente von Klezmer enthalten.
[Filmgarten] Auch Volksmusik aus Transkarpa­tien, hier vorgetrage­n von Vanya Lemen (l.) und Andrii Drahun, kann Elemente von Klezmer enthalten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria