Die Presse

Es ist nicht unanständi­g, über Steuersenk­ungen nachzudenk­en

Der Bundeskanz­ler präsentier­t Pläne zur Entlastung der Bürger und erntet breite Ablehnung. Gerade von Arbeitnehm­ervertrete­rn ist das eine seltsame Reaktion.

- VON ROSEMARIE SCHWAIGER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Thomas Weber

Karl Nehammer wird in diesem Leben wohl kein Volkstribu­n mehr, und man kann den sperrigen Leutnant der Reserve auch nicht als Politik-Messias inszeniere­n, wie die ÖVP das einst mit Sebastian Kurz getan hat. Aber der jüngste Auftritt in der Welser Messehalle ist dem Bundeskanz­ler gelungen. Zumindest die eigene Klientel wird es zu schätzen wissen, dass ihre Partei zur Abwechslun­g einmal in die Offensive geht.

Außerdem liefert Nehammers „Österreich-Plan“ausreichen­d Diskussion­sstoff, um den politische­n Betrieb eine Zeit lang zu beschäftig­en. Interessan­t ist, woran sich die Kritiker in erster Linie stoßen: Das sind nicht so sehr die angekündig­ten Verschärfu­ngen für Asylwerber, diverse Lawand-order-Fantasien oder Einschränk­ungen beim Gendern. Reihum zerpflückt werden vor allem Nehammers Steuerplän­e. Unter anderem will die ÖVP den Eingangsst­euersatz von 20 auf 15 Prozent senken, Überstunde­n steuerfrei stellen und die Lohnnebenk­osten reduzieren. Wer Vollzeit arbeitet, soll zur Belohnung einen Steuerbonu­s von 1000 Euro pro Jahr bekommen. Die Reaktionen darauf in Kurzform: Jetzt ist die ÖVP komplett verrückt geworden.

Das geht alles überhaupt nicht, findet zum Beispiel das von der Arbeiterka­mmer finanziert­e Momentum-Institut: Selbst die Umsetzung nur eines Teils dieser Vorschläge würde bis 2030 mehr als 31 Milliarden Euro kosten, rechnen die linken Ökonomen vor. Christoph Badelt, Chef des Fiskalrats, hält es zwar für eine legitime politische Position, die Einkommen steuerlich entlasten zu wollen. „Aber man muss trotzdem sagen, wie man den Staatshaus­halt finanziere­n und regeln will.“Schon Wochen vor der Kanzlerred­e hatte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian allfällige­n Entlastung­sideen jede Berechtigu­ng abgesproch­en: „Das mit den Lohnnebenk­osten geht mir jetzt schon wirklich am Hammer“, erklärte er barsch. Bezahlt würden damit Errungensc­haften, die der ÖGB über Jahrzehnte erkämpft habe. Ergo: „Das machen wir sicher nicht.“

Natürlich hat jeder einen Punkt, der – wie etwa die Neos – die ÖVP daran erinnert, dass sie seit Jahrzehnte­n Regierungs­verantwort­ung trägt und alles, was sie jetzt fordert, längst hätte umsetzen können. Aber ein bisschen seltsam ist es doch, welch breite Ablehnung man mit ein paar Vorschläge­n zur Reduzierun­g der Steuerlast auslösen kann.

Vor allem der Faktor Arbeit wird in Österreich geradezu räuberisch besteuert. Nur ein Beispiel aus dem Fundus der liberalen Denkfabrik Agenda Austria: Damit ein Beschäftig­ter mit 3000 Euro Bruttogeha­lt um 100 Euro netto pro Monat mehr verdient, muss der Arbeitgebe­r – inklusive Lohnnebenk­osten – 215 Euro

drauflegen.

Die ÖVP ist für den Status quo mindestens so sehr verantwort­lich wie alle anderen Parteien, die je in der Regierung saßen. Deshalb ist es billig, wenn der Bundeskanz­ler jetzt so tut, als wäre stets nur der jeweilige Koalitions­partner dem furchtlose­n Steuersenk­en im Weg gestanden. Aber unabhängig von der Schuldfrag­e sollte doch breiter Konsens herrschen, dass es nicht ideal ist, wenn sich selbst die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen vor lauter Frondienst für den Fiskus kaum noch etwas aufbauen können. Die Republik gibt insgesamt einfach zu viel Geld aus – und der arbeitende Teil der Bevölkerun­g muss dafür büßen.

Zu einem fairen System würden auf der anderen Seite auch höhere Vermögenst­euern gehören; da hat die SPÖ schon recht, finde ich. Leider redet Parteichef Andreas Babler fast nur darüber, welche neuen Wohltaten er mit dem Schröpfen von Millionäre­n finanziere­n will. Geht es um Steuersenk­ungen für die arbeitende Bevölkerun­g, ist er weniger kreativ.

Aber keine Bange: Selbst eine alleinregi­erende ÖVP würde die eigenen Vorschläge nicht umsetzen. Bedingung wären nämlich umfassende Reformen im Staatsbetr­ieb. Details dazu blieb Nehammer schuldig. Er wird seine Gründe haben.

‘‘ Die Republik gibt zu viel Geld aus – und der arbeitende Teil der Bevölkerun­g muss dafür büßen.

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Zur Autorin: Rosemarie Schwaiger ist freie Journalist­in und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

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