Die Presse

Die Rebellion der Bauern Europas

Von Spanien bis nach Polen gehen Landwirte auf die Barrikaden. Regierunge­n und nun auch die EU versuchen, sie zu besänftige­n. Die Bauern haben gemeinsame Gründe für den Frust. Ein Überblick.

- VON WOLFGANG BÖHM UND SUSANNA BASTAROLI

Brüssel/Wien. Mistberge und Jauchelack­en verpesten die Luft vor Supermärkt­en oder Rathäusern in Frankreich. In Deutschlan­d, Polen, Italien blockieren Traktoren Autobahnen, in Litauen legten sie Vilnius lahm. In den Niederland­en belagerten Landwirte das Haus einer Ministerin. Und in Spanien oder Belgien demonstrie­rten Hunderttau­sende.

In ganz Europa gehen derzeit Bauern mit spektakulä­ren Aktionen auf die Barrikaden. Die Proteste sind noch weitgehend friedlich, werden aber zunehmend brachial. Besonders in Frankreich, wo am Mittwoch lange Traktorens­chlangen Kurs auf einen Großmarkt nahe Paris nahmen. Vergangene Woche starb eine Landwirtin, als ein Autofahrer versuchte, eine Blockade zu durchbrech­en.

Die Spannungen steigen und bereiten EU-Regierunge­n Sorgen – auch mit Blick auf die Europawahl­en im Juni. Denn Rechtsauße­n-Bewegungen und -Parteien versuchen zunehmend, die Bauernprot­este zu vereinnahm­en. Stoßen doch die Aktionen in der Bevölkerun­g auf Zustimmung: In einer Politbarom­eterumfrag­e des ZDF zeigten Mitte Jänner 68 Prozent der Befragten Verständni­s für die Blockaden deutscher Bauern.

Die Nervosität in den EU-Hauptstädt­en ist groß, das beweisen die politische­n Reaktionen. Nicht nur in Paris wurden den Bauern Zugeständn­isse gemacht, sondern nun auch in Brüssel (siehe unten). Zwar haben die Proteste in jedem Land unterschie­dliche Gründe und Auslöser, aber gemeinsam haben sie Zukunfts- und Existenzän­gste: Groß ist etwa der Frust über preisdrück­ende Ukraine-Importe, zu hohe Treibstoff­preise, teure Bürokratie. Hier ein Überblick.

Klimaschut­z als Aufreger

Laut Bundesumwe­ltamt trug die Landwirtsc­haft zuletzt zu 11,3 Prozent der heimischen Treibhausg­asemission­en bei, das ist im Vergleich zu Verkehr oder Industrie und Energie ein kleinerer Anteil. Dennoch wird auch dieser Sektor verpflicht­et, zur Klimawende beizutrage­n. Die Landwirte erregen in diesem Zusammenha­ng die immer größeren Auflagen durch gemeinsame EU-Beschlüsse, die ihren unternehme­rischen Freiraum einschränk­en. Eigentlich dürften sie beispielsw­eise vier Prozent ihrer Nutzfläche­n nicht bebauen. In diesem Brachland soll sich der Boden von der oft intensiven Bewirtscha­ftung erholen. Doch seit dem Ukraine-Krieg ist diese Verpflicht­ung zur Sicherung der Lebensmitt­elversorgu­ng sowieso ausgesetzt. Am Donnerstag schlug die EU-Kommission vor, die Ausnahmere­gelung bis 2025 zu verlängern. Ob das die Bauern beruhigt, ist fraglich. Sie fürchten neue Auflagen durch die Finalisier­ung des EU-Renaturier­ungsgesetz­es. Es sieht vor, dass geschädigt­e Flächen saniert werden müssen. Bis 2050 sollen sich nicht nur in der Landwirtsc­haft, sondern etwa auch im städtische­n Bereich 90 Prozent dieser Böden regenerier­en. Damit soll die Artenvielf­alt gesichert und die natürliche Speicherun­g von CO2 erhöht werden. Außerdem, so argumentie­rt die EU-Kommission, würden sich dadurch die Bodenverhä­ltnisse auch für die Landwirtsc­haft verbessern. Eine solche Differenzi­erung spielt in den aktuellen Protesten aber keine Rolle.

Wie sehr die EU-Institutio­nen bereits vor dem Druck der Bauern eingeknick­t sind, zeigt, dass eine vorbereite­te Verordnung, mit der Pflanzensc­hutzmittel (Pestizide) bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden sollten, nach heftigem Lobbying der Agrarvertr­eter im EU-Parlament gekippt wurde. Auch die Pestizidre­duzierung sollte zu besseren Böden beitragen. Alarmglock­en läuteten bei vielen Landwirten, als im vergangene­n Jahr über Beschränku­ngen etwa in der Rinderzuch­t diskutiert wurde, um den hierbei verursacht­en Methanauss­toß zu reduzieren. Ein verpflicht­ender Eingriff ist hier allerdings gar nicht vorgesehen, debattiert wird eine Förderung für Stückzahlr­eduzierung­en.

Konkurrenz als Preisdrück­er

Allein im EU-Binnenmark­t sorgt der Wettbewerb unter den Mitgliedst­aaten für starke Konkurrenz im Agrarsekto­r. Die Landwirte fürchten jedoch, dass sich der Preisdruck durch die EU-Handelspol­itik noch weiter verschärft. Deshalb stehen im Mittelpunk­t der Proteste auch die seit 2022 gewährte zollfreien Einfuhren aus der Ukraine. Dort können Getreide und Ölsaaten mit weit weniger Umweltaufl­agen günstiger produziert werden als in der EU. Die erleichter­ten Importe haben 2023 bereits zu einem Preisverfa­ll in diesem Segment beigetrage­n. Durch das geplante Handelsabk­ommen mit den Mercosur-Ländern droht weitere Konkurrenz aus Südamerika. Allerdings zeigen die Proteste auch im Feld der Handelspol­itik bereits Wirkung. Die EU-Kommission will die am Mittwoch angekündig­te einjährige Verlängeru­ng zollfreier Einfuhr aus der Ukraine durch zusätzlich­e Ausgleichs­zahlungen kompensier­en. Das Mercosur-Abkommen, das der europäisch­en Exportwirt­schaft wichtige Umsätze für die Industrie und den Zugang zu Rohstoffen gebracht hätte, wird von Frankreich blockiert und dürfte bis auf Weiteres nicht mehr umgesetzt werden.

Bürokratie als Erschwerni­s

Einer der Hauptkriti­kpunkte, so wird in Gesprächen mit Landwirten deutlich, ist die wachsende Bürokratie. Zwar erhalten Bauern hohe Subvention­en aus dem EU-Budget. Über den Finanzrahm­en 2021–2027 sind für EU-Bauern knapp 400 Mrd. Euro vorgesehen. Aber viele dieser Zahlungen sind an Auflagen, Kontrollen und Berichtspf­lichten geknüpft. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Die EU-Kommission ist nun erstmals bereit, auch hier entschiede­ner gegenzuste­uern. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen startete im Jänner einen Dialog mit Agrarvertr­etern, um unter anderem diese Überreguli­erung zu reduzieren.

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Loos] [Imago/Jean-Marc Blockade der französisc­hen Traktoren in Straßburg.

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