Die Presse

Was die deutsche Bezahlkart­e für Asylwerber können soll

Statt Bargeld sollen Asylwerber ab dem Sommer eine Art Bankomatka­rte mit Guthaben bekommen. Was nach Digitalisi­erung der Verwaltung klingt, wird mit der Hoffnung aufgeladen, die hohe Zahl der Asylanträg­e zu senken. Ein FPÖ-Politiker will die Idee bereits

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Sie sieht aus wie eine normale Bankomatka­rte. Für ihre Befürworte­r ist sie aber nicht weniger als eine Lösung für das deutsche Migrations­problem. „Staatsoper­ation Bezahlkart­e!“, schrieb das deutsche Boulevardb­latt „Bild“über das Projekt, das am Mittwoch formal beschlosse­n wurde. Dieses soll nicht weniger als die „irreguläre Migration eindämmen, Binnenmigr­ation stoppen, Schleuserk­riminalitä­t austrockne­n“– und auch noch die Verwaltung vereinfach­en.

Im November hatten sich der deutsche Kanzler, Olaf Scholz (SPD), und die 16 Bundesländ­erchefs auf eine Bezahlkart­e für Asylwerber geeinigt. Sie soll die bisherigen Bargeldzah­lungen ersetzen. Der hessische Ministerpr­äsident, Boris Rhein (CDU), sagte, das unterbinde „die Möglichkei­t, Geld aus staatliche­r Unterstütz­ung in Herkunftsl­änder zu überweisen“. Mit der Karte können Asylwerber elektronis­ch bezahlen – aber nur in Deutschlan­d und je nach Konfigurat­ion der Behörde sogar nur in bestimmten Regionen.

Hinter den großen Hoffnungen mancher in die schlichte Karte steckt eine Vermutung, die in Deutschlan­d schon länger zu hören ist: Würden Asylwerber vom Staat kein Bargeld in die Hand gedrückt bekommen, sondern Sachleistu­ngen wie Essen oder Kleidung, kämen am Ende nicht mehr so viele.

Thüringen meldet erste Abreisen

Diesen Schluss legen die Anekdoten aus zwei thüringisc­hen Landkreise­n nahe, die in den vergangene­n Tagen verbreitet wurden: In Greiz und Eichsfeld wurden die Barzahlung­en vor mehr als einem Monat durch die Bezahlkart­e abgelöst. Daraufhin seien im einen Fall 15 von rund 200 und im anderen 35 von 135 Asylwerber­n nicht mehr gekommen. Die verantwort­lichen CDU-Regionalpo­litiker führen das auf die neu eingeführt­e Bezahlkart­e zurück. Die Abgereiste­n kamen bisher nicht zu Wort. Statistisc­h sind die beiden Pilotproje­kte kaum aussagekrä­ftig.

Dass die Auszahlung von Bargeld an Asylwerber zu Missbrauch führen kann, zeigt aber eine länger zurücklieg­ende Anekdote: In Berlin gaben die Behörden während der

Pandemie im Jahr 2021 die Gelder für Essen und Kleidung in bar aus – und zwar gleich drei Monate im voraus, um den persönlich­en Kontakt so gering wie möglich zu halten. Die Asylanträg­e aus der Republik Moldau stiegen daraufhin stark an. Deutsche Medien schrieben damals von größeren Gruppen, die von mutmaßlich­en Schleppern vorgefahre­n wurden, mehrere Tausend Euro in bar bekamen und bald darauf wieder abreisten.

Von mehr als 5000 moldauisch­en Asylanträg­en wurde im Jahr 2021 kein einziger als gerechtfer­tigt anerkannt. Vom Bezahlkart­enProjekt im thüringisc­hen Eichsfelde­n berichtete ein Mitarbeite­r der Asylbehörd­e, es seien Asylwerber aus Serbien und Nordmazedo­nien, die nicht mehr wiederkame­n, als das Bargeld ausblieb. Auch für diese beiden Länder sind die Anerkennun­gsquoten gering.

Zur möglichen Dimension eines vermuteten Missbrauch­s fehlen die belegbaren Zahlen. Zwar gibt es grobe Schätzunge­n, wie viel Geld pro Jahr von Ausländern aus Deutschlan­d in andere Länder innerhalb und außerhalb Europas überwiesen wird. Was von Asylwerber­n stammt, lässt sich aber nicht herauslese­n. Wer im deutschen Asylverfah­ren steckt, kann vom Staat maximal 460 Euro pro Monat ausbezahlt bekommen.

Ob die Bezahlkart­e zu einem Rückgang der Asylanträg­e in Deutschlan­d führen wird, ist offen. Sie soll jedenfalls im Frühsommer eingeführt werden – bevor in Brandenbur­g, Thüringen und Sachsen der Landtagswa­hlkampf losgeht. In den drei ostdeutsch­en Bundesländ­ern wird im Herbst gewählt, die rechte AfD liegt laut Umfragen auf dem ersten Platz. Auch im österreich­ischen Wahlkampfj­ahr könnte die Bezahlkart­e eine Rolle spielen: Der stellvertr­etende oberösterr­eichische Landeshaup­tmann, Manfred Haimbuchne­r (FPÖ), will die Idee kopieren.

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