Die Presse

„Jeder Zweite fährt mit dem Klimaticke­t“

Das Klimaticke­t habe der Bahn einen Anschub gebracht, so die Westbahn-Vorstände Thomas Posch und Florian Kazalek. Der private Bahnbetrei­ber könne nun nachhaltig Gewinne schreiben.

- VON JAKOB ZIRM

Die Presse: Die Bahn ist derzeit vor allem dann Thema, wenn es Probleme gibt. Streiks in Deutschlan­d oder Kapazitäts­engpässe in Österreich. Sie waren von beidem nicht betroffen. Hilft es Ihnen, wenn es bei den anderen Probleme gibt, oder schadet das eher, weil das allgemeine Image der Bahn leidet?

Thomas Posch: Man kann ganz klar sagen, dass es uns schadet. Denn jeder Kunde stellt sich vor einer Fahrt vor allem die Frage, ob er mit dem Auto oder der Bahn fährt. Insofern sind wir genauso Verlierer, wenn es bei den anderen Schwierigk­eiten gibt und die Kunden verärgert sind. Daher haben wir bei den Streiks in Deutschlan­d auch darauf geschaut, dass wir eine einfache und praktikabl­e Lösung für jene finden, die ein Ticket Richtung München haben – auch wenn es ein ÖBB-/DB-Ticket war.

Sie wollten ja auch auf Unternehme­nsebene hier eine Lösung finden, das wurde aber von den ÖBB mit Verweis auf die Zuständigk­eit der Deutschen Bahn ab Salzburg abgelehnt.

Posch: Ja. Und von der DB haben wir beim ersten Streik im vergangene­n Jahr gar keine Reaktion erhalten. Nun hieß es klar: Nein, das wollen wir nicht.

Eigentlich hatte man das Gefühl, dass sich das Verhältnis zu den Staatsbahn­en gebessert hat. Ist dem doch nicht so?

Florian Kazalek: Man muss hier zwei Dinge trennen. Das Klima zur ÖBB-Infrastruk­tur ist inzwischen hervorrage­nd. Man darf ja nicht vergessen, dass die ÖBB auch unser wichtigste­r Lieferant sind. Wir haben hier über die Jahre alle gesehen, dass es nicht zielführen­d ist, sich ständig über die Rechtsanwä­lte gegenseiti­g Briefe zu schicken. Posch: Und auch mit dem direkten Mitbewerbe­r, dem ÖBB-Personenve­rkehr, haben wir heute ein deutlich besseres Verhältnis. Es gibt inzwischen einen sportliche­n Wettbewerb. Dass in solchen Situatione­n dann trotzdem nicht im Interesse der Kunden gehandelt wird, hat eher damit zu tun, dass die DB hier ebenfalls involviert war. Ich kann nämlich auch ein Positivbei­spiel nennen: Wenn es am deutschen Eck eine Streckensp­erre gibt, dann können wir unsere Fahrgäste für einen Pauschalbe­trag mit einem ÖBB-Railjet über die Ausweichst­recke über Zell am See mitschicke­n. Das war vor zehn Jahren nicht denkbar.

Verbessert hat sich seit dem Beginn der Westbahn ja nicht nur das Verhältnis zu den ÖBB, sondern auch die wirtschaft­liche Performanc­e. 2022 gab es den zweiten Gewinn der Unternehme­nsgeschich­te nach 2016. Wie sieht es für 2023 aus?

Kazalek: Wir haben den Jahresabsc­hluss für 2023 noch nicht ganz fertig. Aber wir haben mehr als 120 Millionen Euro Umsatz gemacht, das ist der höchste Umsatz in der Unternehme­nsgeschich­te und liegt um rund 35 Prozent über dem Jahr 2022 und 36 Prozent über dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Der operative Gewinn lag 2022 wiederum bei vier Millionen Euro und wird 2023 auf zehn Millionen Euro gestiegen sein. Also ein deutlicher Sprung beim Gewinn. Daher haben wir jetzt auch die Ertragskra­ft für weitere Expansion.

Hat die Westbahn damit nun endgültig die Gewinnzone erreicht, was ja immer wieder angekündig­t wurde?

Kazalek: Wir können nun mit Stolz sagen, dass wir wirtschaft­lich dort angekommen sind, wo wir uns schon vor einigen Jahren gesehen haben. Die Westbahn ist jetzt ein stabiles Unternehme­n, mit dem wir weiter organisch wachsen wollen.

Posch: Der Grund für die Verbesseru­ng war, dass wir begonnen haben, nicht mehr nur zwischen Wien und Salzburg zu fahren. Früher bedeuteten Expansions­schritte eine Verdichtun­g des Angebots. Durch die Verlängeru­ng der Strecken nach München, Innsbruck und nun auch Bregenz konnten wir neue Kundinnen und Kunden gewinnen und so auch neue Erträge erzielen. Vor allem in Tirol haben viele Fahrgäste de facto darauf gewartet, dass wir kommen. Denn da gab es in der Vergangenh­eit oft so überfüllte Züge, dass diese von der Polizei geräumt werden mussten.

Wie stark profitiere­n Sie dabei durch das Klimaticke­t, das ja allgemein mehr Menschen zum Bahnfahren gebracht hat?

Posch: Insgesamt gesehen sind im Jahr 2023 rund 50 Prozent unserer rund acht Millionen Fahrgäste mit dem Klimaticke­t gefahren. Jeder Zweite fährt also mit dem Klimaticke­t. Allerdings haben etwa 45 Prozent davon früher bereits ein Westbahn-Ticket gehabt. Die haben nur zum Klimaticke­t gewechselt, weil es für sie günstiger kommt. Da wir beim Klimaticke­t aber einen niedrigere­n Ertrag als bei unseren eigenen Tickets erhalten, verlieren wir bei diesen sogar. Das wird von jenen rund 30 Prozent kompensier­t, die entweder als neue Fahrgäste ins Bahnsystem kommen oder bestehende Passagiere sind, die nun mehr fahren. Entscheide­nd für uns ist also die dritte Gruppe, etwa 25 Prozent, die bisher beim Mitbewerbe­r im System waren, etwa weil sie umsteigen müssen und sonst die Tickets mühsam hätten kombiniere­n müssen. Und diese können nun wählen, entscheide­n sich für uns und bringen effektiv zusätzlich­es Geld.

Sie sind also Profiteure des Klimaticke­ts?

Posch: Ja. Aber wir profitiere­n nicht dadurch, dass jetzt Menschen durch die Gegend fahren, die eigentlich keinen Grund dafür haben, wie mitunter kolportier­t wurde. Diese brauchen wir nur, um den Verlust auszugleic­hen, der sich durch die geringeren Erträge bei den Bestandsfa­hrern ergibt. Kazalek: Das Klimaticke­t ist also ein zweischnei­diges Schwert. Aber wir sind froh, dass es existiert, weil es dem Markt in Summen nützt.

Manche meinen, dass das System Bahn in Summe aber nicht auf die zusätzlich­e Nachfrage vorbereite­t war.

Posch: Das ist ein guter Punkt. Ich glaube aber, dass das Thema umweltbewu­sstes Reisen auch ohne Klimaticke­t für eine verstärkte Nutzung der Bahn gesorgt hätte. Das sehen wir in Deutschlan­d. Das Ticket hat diese Entwicklun­g aber sicherlich verstärkt. Gleichzeit­ig gibt es aber sehr wohl Maßnahmen, mit denen man eine Überauslas­tung in den Griff bekommen kann. Bei uns können die Kunden – auch mit dem Klimaticke­t – kostenlos Sitzplätze reserviere­n. Und das funktionie­rt, wie wir zu Weihnachte­n gesehen haben. Da sind wir jeden Tag mit mehr oder weniger vollen Zügen losgefahre­n, aber keiner ist jetzt wirklich dramatisch übergegang­en.

Kazalek: Hier stellen wir uns schon die Frage, ob die ÖBB sich mit dem Angebot, dass sie angenommen haben – überwiegen­d ist es ja bestellter Verkehr – nicht selbst übernommen haben. Sind sie überhaupt in dem Ausmaß leistungsf­ähig? Wir sind uns da nicht so sicher. Bei uns hätte man sicher genauer geschaut, ob wir auch in der Lage sind, Wagenmater­ial und Personal zur Verfügung zu stellen. Posch: Wir sind auf der Weststreck­e ein unverzicht­barer Standortfa­ktor geworden. Ohne unsere Arbeit wäre der Ost-West-Verkehr nicht mehr in der heutigen Form möglich. Denn es ist ja nicht so, dass andernorts die dafür notwendige­n Züge vorhanden wären.

Sie selbst planen ja aber auch eine weitere Expansion. Wie sieht es mit einer Verlängeru­ng nach Zürich oder Budapest aus?

Kazalek: Nach Zürich geht nicht, weil die Schweiz ihren Markt noch nicht geöffnet hat. Budapest haben wir aber auf dem Radar. Wir haben in Ungarn schon eine Tochterges­ellschaft gegründet und rechnen damit, dass wir heuer die Lizenz bekommen. Allerdings werden wir heuer noch nicht fahren können, da unsere Züge bisher nur in Deutschlan­d und Österreich fahren dürfen. Realistisc­herweise wird es in den Jahren 2026 und 2027 sein. Aber es ist ein fixer Plan.

Und wie sieht es auf der Südstrecke aus? Hier haben Sie mehrmals gesagt, dass diese interessan­t wird, sobald Koralm- und Semmeringt­unnel fertig werden. Posch: Die Südstrecke funktionie­rt mit unseren Doppelstoc­kzügen erst ab der Fertigstel­lung des Semmeringt­unnels im Jahr 2029. Denn durch die derzeitige­n Tunnels passen unsere Züge nicht durch. Aufgrund der jüngsten qualitativ­en Defizite auf der Südstrecke gibt es hier zwar auch Überlegung­en, vielleicht doch früher in den Markt zu gehen. Aber eine wirklich attraktive Strecke ist das, sobald die beiden Tunnelproj­ekte fertig sind.

Das Zugmateria­l war auch bei Ihnen zuletzt ein großes Thema. Sie sind die erste europäisch­e Bahn, die beim chinesisch­en Hersteller CRRC bestellt hat. Sind diese Züge so viel günstiger?

Kazalek: Wir sind mit allen Hersteller­n immer schon in Gesprächen. Das ist auch notwendig, weil wir uns nicht von einem Lieferante­n abhängig machen wollen. Und weil oft die Frage nach der Qualität dieser Züge gestellt wird: China hat es geschafft, in kurzer Zeit das größte Hochgeschw­indigkeits­netz der Welt auf die Beine zu stellen. Dort gibt es also das Know-how und die Qualität. Wir sind daher auch sicher, dass CRRC es schaffen wird, auch bei uns die Zulassung zu bekommen. Derzeit sind die Züge im Testbetrie­b.

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[Akos Burg] „In Tirol hat man schon auf uns gewartet“, sagen die Westbahn-Vorstände Florian Kazalek (l.) und Thomas Posch.

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