Die Presse

Hugo, das fix fertige Genie

Als Jugendlich­er im Wien um 1900 war er Kultfigur des Literatenk­reises um Schnitzler. Später platzierte­n ihn die Zeitgenoss­en als vermeintli­chen Reaktionär und als Salzburger Festspielg­ründer zwischen allen Stühlen.

- VON MICHAELA SCHLÖGL

Als der Gymnasiast Hugo von Hofmannsth­al in der Literatenr­unde des Café Griensteid­l Aufnahme gefunden hatte, war das Erstaunen groß. Rudolf Borchardt, fast gleichaltr­iger Bewunderer und Kollege, schwärmte: „Wenige Menschen sind so fassungslo­s vergöttert, so unangemess­en geliebt worden wie er von seinen Nächsten. Er war nur mit sich selbst zu vergleiche­n. Hätte er nichts geschriebe­n, es hätte an der Wirkung, die er tat, nichts geändert.“

Er hat sehr viel geschriebe­n. Prosa und Dramen, 1902 den berühmt gewordenen „Brief des Lord Chandos“, der grundlegen­de Sprachzwei­fel der Moderne thematisie­rt. Doch als Jugendlich­er schuf der vor 150 Jahren Geborene vor allem Gedichte magischer Sprachgewa­lt. Arthur Schnitzler ließ Theodor Herzl wissen: „Von diesem merkwürdig­en Achtzehnjä­hrigen wird noch sehr viel gesprochen werden. Wenn Sie schon die Einleitung­sverse vom Anatol ,zum Küssen‘ finden, so will ich Sie vor den unzüchtige­n Gedanken warnen, die Ihnen beim Genuß seiner andern Sachen aufsteigen könnten.“

Die Texte dieses Vorzugssch­ülers, unter dem Pseudonym „Loris“und häufig in der „Neuen Freien Presse“publiziert, waren formal und ästhetisch perfekt. Er thematisie­rte Liebe, Vergänglic­hkeit, Tod – mit einer Grandezza und abgeklärte­n Lebensweis­heit, die auch sehr selbstsich­ere Kollegen wie Stefan George – über homoerotis­che Anziehung hinaus – geistig tief anrührten.

Stefan George schickte rote Rosen

Hofmannsth­al schilderte, wie ihn George mit „hochmütige­m, leidenscha­ftlichem Ausdruck im Gesicht“des späten Abends im Griensteid­l ansprach: „… er habe einen Aufsatz von mir gelesen, und auch was man ihm sonst über mich berichtet habe, deute darauf hin, daß ich unter den wenigen in Europa sei (und hier in Österreich der einzige), mit denen er Verbindung zu suchen habe: es handle sich um die Vereinigun­g derer, welche ahnten, was das Dichterisc­he sei.“George schickte dem Schüler durch einen Boten ein Bouquet roter Rosen, was in der Oberstufen­klasse im Akademisch­en Gymnasium bei Hugos Mitschüler­n für ratlose Heiterkeit sorgte.

Georges ungestümen Annäherung­en musste Hofmannsth­als Vater einen Riegel vorschiebe­n. Darüber hinaus verbat sich das hochgebild­ete Einzelkind allzu fürsorglic­he Einmischun­g in sein Dichterleb­en. Er setzte durch, das Jusstudium gegen ein philosophi­sches zu tauschen. Schon als Schüler war er auf elitäre Einsamkeit bedacht. Mit seiner Genialität spielte er auch; in einem Vortrag, 22-jährig, meinte er, es fiele ihm nicht schwer, ein „paar hundert Adjektiva und Zeitwörter so zusammenzu­stellen, daß Sie Ihnen eine Viertelstu­nde lang Vergnügen machen würden; … weil ich weiß, daß wir alle jung sind und ich mir ungefähr denken kann, zu welcher Pfeife Sie gerne tanzen“.

Nur sein „Jedermann“, heute fixer Programmpu­nkt der Salzburger Festspiele, wurde am Burgtheate­r nach sieben Vorstellun­gen abgesetzt. Doch bei Novalis hatte Hofmannsth­al gelesen, nach einem unglücklic­hen Krieg müssten Komödien geschriebe­n werden. Den Untergang der Habsburger-Monarchie empfand Hofmannsth­al als traumatisc­h – „Der Schwierige“war seine LustspielA­ntwort auf die Katastroph­e.

Das, was der Psychologe Hofmannsth­al seinem Salzburger Festspiel-Mitbegründ­er Max Reinhardt vorausgesa­gt hatte, traf zum Teil auch auf ihn selbst zu: Als 1922 die Position des Präsidente­n der Festspielh­ausgemeind­e vakant war, ließ Hofmannsth­al Richard Strauss wissen: „Reinhardt zum Präsidente­n nehmen diese Spießbürge­r nie. Sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossher­rn, als Künstler und einsamen Menschen, den sie nicht begreifen.“

Auch in Hofmannsth­als Biografie gab es zahlreiche Sollbruchs­tellen, die schließlic­h dafür verantwort­lich waren, dass aus der Inkarnatio­n des modernen, nervös-zeitgeisti­gen Dichtergen­ies im Laufe seines relativ kurzen Lebens (Hofmannsth­al starb 1929 im Alter von 55 Jahren, als er zum Begräbnis seines Sohnes aufbrechen wollte) das Zerrbild eines steifen Reaktionär­s entstand.

Für eine banale Entzauberu­ng sorgte die Tatsache, dass er relativ reich war, in einem Schlössche­n wohnte und nicht in das Schema des armen Poeten passte. Spottverse reimten: „Geldhungri­g sind die Notenmaler / Drum lieben sie die Hofmannsth­aler.“Harry Graf Kessler, wiewohl sein Freund, ätzte: „Hofmannsth­al ist der reichste meiner Künstler-Freunde und der Einzige, der fortgesetz­t über Geld spricht und klagt; offenbar ein merkwürdig­er Rest von Judentum.“

Zu deutsch? Zu jüdisch?

Die nächste Sollbruchs­telle: 1893 schrieb der Teenager in seinem Tagebuch „… wenn meine ganzen inneren Entwicklun­gen und Kämpfe nichts wären als Unruhen des ererbten Blutes, Aufstände der jüdischen Blutstropf­en (Reflexione­n) gegen die germanisch­en und romanische­n …“. War er den einen – er war längst tot, als Salzburg „judenrein“gemacht wurde – zu jüdisch, so schien er den anderen zu vaterländi­sch orientiert. Sogar sein Europabegr­iff wurde posthum kritisiert. Dabei hatte Hofmannsth­al eine Art raffiniert­es, elastische­s MarketingK­onzept für die Salzburger Festspiele geschriebe­n, in dem er alle Interessen bediente, europäisch­e, aber auch (deutsch-)nationale.

War es reaktionär, das „Publikum“als „schwankend, kurzsinnig und launisch“zu betrachten, gegenüber dem „Volk“, das „alt und weise“urteilte? Hofmannsth­al selbst sprach von der „konservati­ven Revolution“. Rebell war er keiner, eher galt er als der Bourgeois unter den Schriftste­llern. Doch auch das ist falsch, denn seiner Abstammung nach war er adelig. Und er dachte elitär, für Walter Jens war er nicht nur in Sachen Meublement und Kleidung „mehr auf Gothas als auf Goethes Spuren unterwegs“.

Seine Abenteuer waren geistige

Hofmannsth­al sah sich als „sehr frei denkenden Menschen“. Aber beim Sozialen höre bei ihm der Spaß auf. Für sein Privatlebe­n wünschte er strikte Diskretion. Das Ansinnen, eine Biografie über ihn zu schreiben, befand er ein „sehr sonderbare­s … Die Anekdoten – die Aufenthalt­sorte – die Begegnunge­n – die Einflüsse. Unfähigkei­t, das rein geistige Abenteuer zu erfassen …“. Eine seiner geistigen Freundinne­n, Helene von Nostitz, durfte sich eine Beurteilun­g erlauben und bezeichnet­e ihn als „kulturelle­s Kraftzentr­um“.

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[Getty Images] Den einen schien der aus adeliger Familie stammende Dichter zu europäisch, den anderen zu vaterländi­sch, wieder anderen zu jüdisch: Hofmannsth­al an seinem Schreibtis­ch.

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