Hugo, das fix fertige Genie
Als Jugendlicher im Wien um 1900 war er Kultfigur des Literatenkreises um Schnitzler. Später platzierten ihn die Zeitgenossen als vermeintlichen Reaktionär und als Salzburger Festspielgründer zwischen allen Stühlen.
Als der Gymnasiast Hugo von Hofmannsthal in der Literatenrunde des Café Griensteidl Aufnahme gefunden hatte, war das Erstaunen groß. Rudolf Borchardt, fast gleichaltriger Bewunderer und Kollege, schwärmte: „Wenige Menschen sind so fassungslos vergöttert, so unangemessen geliebt worden wie er von seinen Nächsten. Er war nur mit sich selbst zu vergleichen. Hätte er nichts geschrieben, es hätte an der Wirkung, die er tat, nichts geändert.“
Er hat sehr viel geschrieben. Prosa und Dramen, 1902 den berühmt gewordenen „Brief des Lord Chandos“, der grundlegende Sprachzweifel der Moderne thematisiert. Doch als Jugendlicher schuf der vor 150 Jahren Geborene vor allem Gedichte magischer Sprachgewalt. Arthur Schnitzler ließ Theodor Herzl wissen: „Von diesem merkwürdigen Achtzehnjährigen wird noch sehr viel gesprochen werden. Wenn Sie schon die Einleitungsverse vom Anatol ,zum Küssen‘ finden, so will ich Sie vor den unzüchtigen Gedanken warnen, die Ihnen beim Genuß seiner andern Sachen aufsteigen könnten.“
Die Texte dieses Vorzugsschülers, unter dem Pseudonym „Loris“und häufig in der „Neuen Freien Presse“publiziert, waren formal und ästhetisch perfekt. Er thematisierte Liebe, Vergänglichkeit, Tod – mit einer Grandezza und abgeklärten Lebensweisheit, die auch sehr selbstsichere Kollegen wie Stefan George – über homoerotische Anziehung hinaus – geistig tief anrührten.
Stefan George schickte rote Rosen
Hofmannsthal schilderte, wie ihn George mit „hochmütigem, leidenschaftlichem Ausdruck im Gesicht“des späten Abends im Griensteidl ansprach: „… er habe einen Aufsatz von mir gelesen, und auch was man ihm sonst über mich berichtet habe, deute darauf hin, daß ich unter den wenigen in Europa sei (und hier in Österreich der einzige), mit denen er Verbindung zu suchen habe: es handle sich um die Vereinigung derer, welche ahnten, was das Dichterische sei.“George schickte dem Schüler durch einen Boten ein Bouquet roter Rosen, was in der Oberstufenklasse im Akademischen Gymnasium bei Hugos Mitschülern für ratlose Heiterkeit sorgte.
Georges ungestümen Annäherungen musste Hofmannsthals Vater einen Riegel vorschieben. Darüber hinaus verbat sich das hochgebildete Einzelkind allzu fürsorgliche Einmischung in sein Dichterleben. Er setzte durch, das Jusstudium gegen ein philosophisches zu tauschen. Schon als Schüler war er auf elitäre Einsamkeit bedacht. Mit seiner Genialität spielte er auch; in einem Vortrag, 22-jährig, meinte er, es fiele ihm nicht schwer, ein „paar hundert Adjektiva und Zeitwörter so zusammenzustellen, daß Sie Ihnen eine Viertelstunde lang Vergnügen machen würden; … weil ich weiß, daß wir alle jung sind und ich mir ungefähr denken kann, zu welcher Pfeife Sie gerne tanzen“.
Nur sein „Jedermann“, heute fixer Programmpunkt der Salzburger Festspiele, wurde am Burgtheater nach sieben Vorstellungen abgesetzt. Doch bei Novalis hatte Hofmannsthal gelesen, nach einem unglücklichen Krieg müssten Komödien geschrieben werden. Den Untergang der Habsburger-Monarchie empfand Hofmannsthal als traumatisch – „Der Schwierige“war seine LustspielAntwort auf die Katastrophe.
Das, was der Psychologe Hofmannsthal seinem Salzburger Festspiel-Mitbegründer Max Reinhardt vorausgesagt hatte, traf zum Teil auch auf ihn selbst zu: Als 1922 die Position des Präsidenten der Festspielhausgemeinde vakant war, ließ Hofmannsthal Richard Strauss wissen: „Reinhardt zum Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie. Sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler und einsamen Menschen, den sie nicht begreifen.“
Auch in Hofmannsthals Biografie gab es zahlreiche Sollbruchstellen, die schließlich dafür verantwortlich waren, dass aus der Inkarnation des modernen, nervös-zeitgeistigen Dichtergenies im Laufe seines relativ kurzen Lebens (Hofmannsthal starb 1929 im Alter von 55 Jahren, als er zum Begräbnis seines Sohnes aufbrechen wollte) das Zerrbild eines steifen Reaktionärs entstand.
Für eine banale Entzauberung sorgte die Tatsache, dass er relativ reich war, in einem Schlösschen wohnte und nicht in das Schema des armen Poeten passte. Spottverse reimten: „Geldhungrig sind die Notenmaler / Drum lieben sie die Hofmannsthaler.“Harry Graf Kessler, wiewohl sein Freund, ätzte: „Hofmannsthal ist der reichste meiner Künstler-Freunde und der Einzige, der fortgesetzt über Geld spricht und klagt; offenbar ein merkwürdiger Rest von Judentum.“
Zu deutsch? Zu jüdisch?
Die nächste Sollbruchstelle: 1893 schrieb der Teenager in seinem Tagebuch „… wenn meine ganzen inneren Entwicklungen und Kämpfe nichts wären als Unruhen des ererbten Blutes, Aufstände der jüdischen Blutstropfen (Reflexionen) gegen die germanischen und romanischen …“. War er den einen – er war längst tot, als Salzburg „judenrein“gemacht wurde – zu jüdisch, so schien er den anderen zu vaterländisch orientiert. Sogar sein Europabegriff wurde posthum kritisiert. Dabei hatte Hofmannsthal eine Art raffiniertes, elastisches MarketingKonzept für die Salzburger Festspiele geschrieben, in dem er alle Interessen bediente, europäische, aber auch (deutsch-)nationale.
War es reaktionär, das „Publikum“als „schwankend, kurzsinnig und launisch“zu betrachten, gegenüber dem „Volk“, das „alt und weise“urteilte? Hofmannsthal selbst sprach von der „konservativen Revolution“. Rebell war er keiner, eher galt er als der Bourgeois unter den Schriftstellern. Doch auch das ist falsch, denn seiner Abstammung nach war er adelig. Und er dachte elitär, für Walter Jens war er nicht nur in Sachen Meublement und Kleidung „mehr auf Gothas als auf Goethes Spuren unterwegs“.
Seine Abenteuer waren geistige
Hofmannsthal sah sich als „sehr frei denkenden Menschen“. Aber beim Sozialen höre bei ihm der Spaß auf. Für sein Privatleben wünschte er strikte Diskretion. Das Ansinnen, eine Biografie über ihn zu schreiben, befand er ein „sehr sonderbares … Die Anekdoten – die Aufenthaltsorte – die Begegnungen – die Einflüsse. Unfähigkeit, das rein geistige Abenteuer zu erfassen …“. Eine seiner geistigen Freundinnen, Helene von Nostitz, durfte sich eine Beurteilung erlauben und bezeichnete ihn als „kulturelles Kraftzentrum“.