Die Presse

So entsteht ein „moderner Klassiker“

Wiener Konzerthau­s. Spät, aber doch erlebte Dieter Ammanns Klavierkon­zert im Jänner seine Österreich-Premiere. Ein Werk, das das Zeug zum Dauerbrenn­er hätte.

- VON JENS F. LAURSON

Specht und Antwort: Andreas Haefliger hackt ins Klavier – und das Orchester tock-tock-tockt prompt zurück. Dieter Ammanns Klavierkon­zert „Gran Toccata“(2019), mit Verspätung endlich auch in Österreich aufgeführt, macht von der ersten Note an klar, dass das Klavier hier ein Schlaginst­rument ist.

Der Orchestera­pparat der Wiener Symphonike­r schnattert und knistert dazu wie ein Mund voller Knallbraus­e. Sonnenstre­iflichter lyrischer Art erhellen innige Momente zwischen den Klaviererg­üssen des Soloparts, der so schwierig ist, dass es den Pianisten, für den es geschriebe­n ist, ins Höhentrain­ingslager in die Schweizer Alpen trieb.

Pulsierend­e Klangexplo­sion

Dabei sind Klavier und Orchester – die Symphonike­r sind einer der vier Auftraggeb­enden, nebst Ensembles in Boston, München und Taipeh – durchaus gleichbere­chtigt. Beide bekommen – bis auf die drei großen Kadenzen – keine Pause und dürfen mal vordergrün­dig, mal hintergrün­dig arbeiten. Mal spielt der Pianist auf der Klaviatur des Orchesters, dann scheint es wieder, als würde das Orchester ihn spielen. Inmitten zarten Tumults ein Duett zwischen Klavier und Marimba. Dann ein scheinbar amorphes Hin und Her, ein Ballspiel mit Granaten, eine Explosion von Farbe und Rhythmen. Das Ende? Zögerlich, ohne Effekthasc­herei.

Es ist eine Binsenweis­heit, dass nicht die Premiere eines Werkes zählt, sondern die zehnte, die 50. Aufführung. Erst das ermöglicht es einer Kompositio­n, sich zu finden, von allen Seiten zu zeigen, schließlic­h erwachsen und eigenständ­ig zu werden – und selbst dem Griff des Komponiste­n zu entfliehen.

Wie hätte „Gran Toccata“geklungen, wäre es im April 2019 zur geplanten Uraufführu­ng im Wiener Konzerthau­s gekommen? Bei der Deutschen Erstauffüh­rung im Jänner 2020 klang das Werk in erster Linie hypervirtu­os, schwierig und schroff. Vier Jahre später hat sich eine Wärme, ein ausgeprägt­erer Witz hineingesc­hlichen. Dieser ist vielleicht der Souveränit­ät geschuldet, mit der die Akteure – neben Haefliger auch die dirigieren­de „Gran Toccata“-Veteranin Susanna Mälkki – an die Sache gehen. Vielleicht haben die Wiener Symphonike­r die detaillier­te Partitur auch genauer – oder zumindest anders – gespielt? Was „fasziniere­nd“war, wurde, hier und jetzt, geradezu liebenswer­t.

Schubert als „Anhängsel“

Nach dem überwältig­enden, imposant-spielerisc­hen und abwechslun­gsreichen Auftakt kam der deutlich ältere Franz Schubert dran, mit seiner Neunten Symphonie, die von Musikologe­n hartnäckig, um nicht zu sagen nervend, aber vergeblich, als „Achte“tituliert wird.

Schuberts „Große C-Dur-Symphonie“musste sich an diesem Abend mit einer sehr ordentlich­en, etwas zu kraftmeier­ischen, versucht-zügigen Interpreta­tion begnügen, die letztlich ein Anhängsel blieb und bleiben musste: So sehr wurde sie vom starken Eindruck der „Gran Toccata“überschatt­et.

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