EU klopft Viktor Orbán weich
Der ungarische Regierungschef gab schon vor Gipfelbeginn sein Veto gegen 50 Milliarden Euro an neuen Finanzhilfen für die Ukraine auf. Bekommen hat er dafür im Gegenzug nichts.
Brüssel. Der EU-Gipfel hatte noch gar nicht angefangen, da war sein Ziel bereits erreicht: Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orbán, gab am Donnerstagvormittag seinen monatelangen Widerstand gegen eine Finanzhilfe für die Ukraine im Umfang von 50 Milliarden Euro aus dem EU-Budget auf.
In einer eineinhalbstündigen Unterredung brachten ihn die Spitzen Deutschlands, Frankreichs, Italiens sowie der Europäischen Kommission und des Europäischen Rats auf Linie. Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Emmanuel Macron, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Präsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Charles Michel machten Orbán klar, dass die anderen 26 Mitgliedstaaten diese Budgethilfe für Kiew notfalls bilateral ohne Ungarn gewähren würden – und dass es diesfalls mehrere negative Folgen für Orbán geben würde.
Verlust des Ratsvorsitzes drohte
Im Raum stand dieser Tage beispielsweise der Entzug des ungarischen EU-Ratsvorsitzes, der am 1. Juli beginnen sollte. Denn für die Änderung der Reihenfolge dieser sechsmonatigen Ratsvorsitze wäre nur eine VierFünftel-Mehrheit im Rat erforderlich. Polens neue Regierung, die planmäßig ab 1. Jänner 2025 dran ist, hat erklärt, auch ein halbes Jahr früher einspringen zu können.
Die Budgethilfe für die Ukraine soll zu 33 Milliarden Euro aus Krediten und zu 17 Milliarden Euro aus nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen bestehen. Für das laufende EU-Budget werden nur die 17 Milliarden Euro schlagend. Auch in anderen Bereichen einigten sich die 27 Chefs auf Umschichtungen im Haushaltsrahmen, der bis 2027 läuft. So gibt es beispielsweise zwei Milliarden Euro mehr für Migration und Grenzschutz sowie 7,6 Milliarden Euro mehr für die Unterstützung von Nachbarstaaten bei der Bewältigung der Migrationskrise (ausdrücklich ist die fortgesetzte Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats erwähnt, für welche die Union seit dem Jahr 2016 bereits mehr als sechs Milliarden Euro ausgegeben hat).
Dafür werden werden 10,6 Milliarden Euro aus bestehenden Politiken der EU umgeschichtet. Das Forschungsprogramm „Horizon Europe“bekommt so um 2,1 Milliarden Euro weniger, bei der Nachbarschaftspolitik und der Entwicklungshilfe werden 4,5 Milliarden Euro gekürzt (die aber teilweise ohnehin für die Ukraine bestimmt gewesen wären). Unter dem Strich bleiben 21 Milliarden Euro an frischem Geld, welche die Mitgliedstaaten durch höhere Mitgliedsbeiträge zuschießen werden.
Orbáns Einknicken ist insofern bemerkenswert, als er in den vergangenen Monaten die Verhinderung der Ukraine-Hilfe zur ungarischen Staatsräson erhoben hat. In einer stark manipulativ formulierten Bürgerbefragung (an der allerdings nur rund 1,5 Millionen Ungarn teilnahmen) hatten erst vor wenigen Wochen rund 90 Prozent erklärt, sie seien gegen EU-Hilfen für die Ukraine, ehe nicht Ungarn sämtliche EU-Förderungen erhalte, die aus Gründen der hochgradigen politischen Korruption und Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit eingefroren sind. Ein Großteil dieser Gelder ist weiterhin außer Reichweite Orbáns, am Donnerstag erhielt er auch keine Zusagen, dass sie bald freigegeben werden könnten.
Und so bemühten sich Orbán und seine Spindoktoren, der Niederlage in Brüssel einen positiven Anstrich zu verleihen. „Mission erfüllt“, erklärte er in einem kurz nach Gipfelende veröffentlichten Video. „Ungarns
Geldmittel werden nicht in der Ukraine landen, und wir haben einen Kontrollmechanismus am Ende des ersten und zweiten Jahres.“Ersteres ist eine Erfindung, Zweiteres stimmt faktisch nicht. Orbán wird keineswegs die Möglichkeit haben, 2025 und 2026 per Veto die Fortführung der Ukraine-Hilfen zu stoppen. Es wird einzig eine Diskussion darüber im Europäischen Rat geben, einmal pro Jahr. Und 2026 kann der Europäische Rat mit Einstimmigkeit die Kommission beauftragen, den Finanzrahmen neu zu bewerten. Doch dieser läuft ohnehin 2027 aus.
Sichtlich zufrieden kommentierte Olaf Scholz, der deutsche Kanzler, das Gipfelergebnis. Wie er mit seinen Amtskollegen Orbán weichgeklopft hatte, behielt er jedoch für sich: „Es waren intensive, vertrauensvolle Gespräche, mit großer Klarheit über die Lage. Aber das werden Sie schon verstehen, so sehr ich Ihr Interesse auch verstehe, dass ich Ihnen keine Einblicke durchs Schlüsselloch gebe.“
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Es waren intensive, vertrauensvolle Gespräche, mit großer Klarheit über die Lage.
Olaf Scholz Bundeskanzler Deutschland
Treffen mit Bauernvertretern
Der Gipfel wurde von zum Teil gewaltsamen Protesten von Landwirten überschattet. Rund 1200 Traktoren legten die Hauptverkehrsadern Brüssels lahm. Nach dem Gipfel trafen sich die Ministerpräsidenten Belgiens und der Niederlande, Alexander De Croo und Mark Rutte, sowie von der Leyen mit Vertretern der Landwirte. „Manche ihrer Anliegen sind berechtigt“, sagte De Croo.