Warum Viktor Orbán sein Pfauenkleid weggepackt hat
Ungarns Premier weiß, dass er in der Causa Ukraine nicht gewinnen kann. Der Meisterpopulist hofft auf bessere Zeiten nach den EU- und US-Wahlen.
Eines der bis dato sträflich ignorierten politischen Phänomene unserer Zeit ist die rätselhafte Tendenz populistischer Politiker, ihre Methoden mit tierischen Metaphern zu beschreiben. Ex-Premierminister Boris Johnson, seit seinem Rauswurf aus der Downing Street 10 die stark gedimmte Lichtgestalt der britischen Europafeinde, bezeichnet beispielsweise seinen rhetorischen Trick, mit krass übersteuerten Ansagen von unangenehmen Tatsachen abzulenken, als „mit toten Katzen werfen“. Viktor Orbán, Johnsons ungarischer Bruder im Geiste, spricht wiederum vom „Pfauentanz“, wenn es darum geht, seine Gegner in Brüssel und anderen Hauptstädten der EU mit illiberal aufgeplusterten Kampfansagen zu bedrängen, um anschließend elegant beiseitezutreten, um einer Gegenreaktion zuvorzukommen.
Beim außergewöhnlichen EU-Gipfel am Donnerstag blieb Orbán die Gelegenheit zum medienwirksamen Tänzchen allerdings verwehrt. Außergewöhnlich war dieses Treffen des Europäischen Rats gleich in zweierlei Hinsicht: erstens, weil es aufgrund des ungarischen Vetos der EU-Hilfe für die Ukraine außertourlich einberufen werden musste. Und zweitens, weil der Gipfel bereits vorbei war, bevor er überhaupt angefangen hatte. Die Einigung über die Aufgabe des ungarischen Vetos erfolgte noch vor der offiziellen Eröffnung des Ratstreffens in Brüssel. Dem 50 Milliarden Euro umfassenden Vierjahresplan zur finanziellen Unterstützung der gegen Russland kämpfenden Ukrainer im Rahmen des EU-Budgets steht somit nichts mehr im Weg. Und da die Bühne im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius fehlte, machte sich Orbán auf den Weg zu den vor dem Europaparlament gegen die EU protestierenden Bauern, um das jähe Ende seiner Choreografie zumindest ein wenig zu kompensieren.
Warum hat Orbán seinen Widerstand gegen die Unterstützung Kiews so unspektakulär aufgegeben? An der Substanz des Ratsbeschlusses kann es jedenfalls nicht liegen, denn inhaltlich ist Ungarns Premier auf ganzer Linie gescheitert. Die für den ukrainischen Abwehrkampf bestimmten Gelder fließen weder am EUBudget vorbei, noch hat Orbán die Möglichkeit
erhalten, zu einem späteren Zeitpunkt wieder seine Pfauenfedern zu schwingen und mit dem Veto zu drohen. Bei dem geschmeidigen Beschluss dürften auch keine Schmiermittel eingesetzt worden sein, denn nach Beteuerungen europäischer Diplomaten muss Ungarn weiterhin ohne jene EU-Fördergelder auskommen, die aufgrund rechtsstaatlicher Defizite zurückgehalten werden.
Also kein Geld und kein Vetorecht – aber trotzdem ein ungarisches Ja. Wie kann das sein? Dass sich Orbán seit 2010 in Budapest an der Macht hält, hängt nicht zuletzt mit seinem taktischen Geschick zusammen. Und am Donnerstag hat der Meisterpopulist erkannt, dass es für ihn in der Causa Ukraine nichts zu gewinnen und einiges zu verlieren gibt: beispielsweise die Eröffnung eines EU-Verfahrens gegen Ungarn wegen Verletzung europäischer Grundwerte oder eine konzertierte Aktion gewichtiger Mitgliedstaaten zur gezielten Schwächung der ungarischen Wirtschaft. Und wenn es Orbáns Ziel gewesen ist, das Image der EU zu beschädigen, dann hat das wochenlange Hickhack rund ums ungarische Veto seinen Zweck bereits erfüllt.
Die Rolle des nationalpopulistischen Paten ist Orbán jedenfalls nicht zu nehmen. Die Rechtsaußen-Fraktionen im Europaparlament, ID und EKR, buhlen um seine Gunst und hoffen darauf, dass seine Europaabgeordneten nach den EU-Wahlen im Juni ihre Reihen verstärken. Apropos Wahlen: Ungarns starker Mann hofft darauf, dass sich der Wind des Wandels heuer zu seinen Gunsten drehen wird. Macht die rechte Internationale bei der Europawahl das Rennen und zieht Donald Trump wieder ins Weiße Haus ein, so Orbáns Kalkül, wird er die politische Agenda in der EU dominieren können.
Und sollten sich die Hoffnungen nicht bewahrheiten, dann werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte reichlich Gelegenheiten für den einen oder anderen Pfauentanz bieten. Orbán bleibt der EU so oder so erhalten. Denn nach 14 Jahren an der Macht ist die ungarische Demokratie fast so lupenrein wie jene der Türkei.