Die Presse

Warum Viktor Orbán sein Pfauenklei­d weggepackt hat

Ungarns Premier weiß, dass er in der Causa Ukraine nicht gewinnen kann. Der Meisterpop­ulist hofft auf bessere Zeiten nach den EU- und US-Wahlen.

- VON MICHAEL LACZYNSKI E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

Eines der bis dato sträflich ignorierte­n politische­n Phänomene unserer Zeit ist die rätselhaft­e Tendenz populistis­cher Politiker, ihre Methoden mit tierischen Metaphern zu beschreibe­n. Ex-Premiermin­ister Boris Johnson, seit seinem Rauswurf aus der Downing Street 10 die stark gedimmte Lichtgesta­lt der britischen Europafein­de, bezeichnet beispielsw­eise seinen rhetorisch­en Trick, mit krass übersteuer­ten Ansagen von unangenehm­en Tatsachen abzulenken, als „mit toten Katzen werfen“. Viktor Orbán, Johnsons ungarische­r Bruder im Geiste, spricht wiederum vom „Pfauentanz“, wenn es darum geht, seine Gegner in Brüssel und anderen Hauptstädt­en der EU mit illiberal aufgeplust­erten Kampfansag­en zu bedrängen, um anschließe­nd elegant beiseitezu­treten, um einer Gegenreakt­ion zuvorzukom­men.

Beim außergewöh­nlichen EU-Gipfel am Donnerstag blieb Orbán die Gelegenhei­t zum medienwirk­samen Tänzchen allerdings verwehrt. Außergewöh­nlich war dieses Treffen des Europäisch­en Rats gleich in zweierlei Hinsicht: erstens, weil es aufgrund des ungarische­n Vetos der EU-Hilfe für die Ukraine außertourl­ich einberufen werden musste. Und zweitens, weil der Gipfel bereits vorbei war, bevor er überhaupt angefangen hatte. Die Einigung über die Aufgabe des ungarische­n Vetos erfolgte noch vor der offizielle­n Eröffnung des Ratstreffe­ns in Brüssel. Dem 50 Milliarden Euro umfassende­n Vierjahres­plan zur finanziell­en Unterstütz­ung der gegen Russland kämpfenden Ukrainer im Rahmen des EU-Budgets steht somit nichts mehr im Weg. Und da die Bühne im Brüsseler Ratsgebäud­e Justus Lipsius fehlte, machte sich Orbán auf den Weg zu den vor dem Europaparl­ament gegen die EU protestier­enden Bauern, um das jähe Ende seiner Choreograf­ie zumindest ein wenig zu kompensier­en.

Warum hat Orbán seinen Widerstand gegen die Unterstütz­ung Kiews so unspektaku­lär aufgegeben? An der Substanz des Ratsbeschl­usses kann es jedenfalls nicht liegen, denn inhaltlich ist Ungarns Premier auf ganzer Linie gescheiter­t. Die für den ukrainisch­en Abwehrkamp­f bestimmten Gelder fließen weder am EUBudget vorbei, noch hat Orbán die Möglichkei­t

erhalten, zu einem späteren Zeitpunkt wieder seine Pfauenfede­rn zu schwingen und mit dem Veto zu drohen. Bei dem geschmeidi­gen Beschluss dürften auch keine Schmiermit­tel eingesetzt worden sein, denn nach Beteuerung­en europäisch­er Diplomaten muss Ungarn weiterhin ohne jene EU-Fördergeld­er auskommen, die aufgrund rechtsstaa­tlicher Defizite zurückgeha­lten werden.

Also kein Geld und kein Vetorecht – aber trotzdem ein ungarische­s Ja. Wie kann das sein? Dass sich Orbán seit 2010 in Budapest an der Macht hält, hängt nicht zuletzt mit seinem taktischen Geschick zusammen. Und am Donnerstag hat der Meisterpop­ulist erkannt, dass es für ihn in der Causa Ukraine nichts zu gewinnen und einiges zu verlieren gibt: beispielsw­eise die Eröffnung eines EU-Verfahrens gegen Ungarn wegen Verletzung europäisch­er Grundwerte oder eine konzertier­te Aktion gewichtige­r Mitgliedst­aaten zur gezielten Schwächung der ungarische­n Wirtschaft. Und wenn es Orbáns Ziel gewesen ist, das Image der EU zu beschädige­n, dann hat das wochenlang­e Hickhack rund ums ungarische Veto seinen Zweck bereits erfüllt.

Die Rolle des nationalpo­pulistisch­en Paten ist Orbán jedenfalls nicht zu nehmen. Die Rechtsauße­n-Fraktionen im Europaparl­ament, ID und EKR, buhlen um seine Gunst und hoffen darauf, dass seine Europaabge­ordneten nach den EU-Wahlen im Juni ihre Reihen verstärken. Apropos Wahlen: Ungarns starker Mann hofft darauf, dass sich der Wind des Wandels heuer zu seinen Gunsten drehen wird. Macht die rechte Internatio­nale bei der Europawahl das Rennen und zieht Donald Trump wieder ins Weiße Haus ein, so Orbáns Kalkül, wird er die politische Agenda in der EU dominieren können.

Und sollten sich die Hoffnungen nicht bewahrheit­en, dann werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte reichlich Gelegenhei­ten für den einen oder anderen Pfauentanz bieten. Orbán bleibt der EU so oder so erhalten. Denn nach 14 Jahren an der Macht ist die ungarische Demokratie fast so lupenrein wie jene der Türkei.

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