Die Presse

Warum die russische Diaspora um ihre Sicherheit fürchtet

Der Fall der Rockgruppe Bi-2, deren Auslieferu­ng Moskau anstrengte, schreckt russische Regierungs­kritiker in Thailand und anderswo.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Bangkok/Tel Aviv/Wien. Das Konzert auf der thailändis­chen Insel Phuket war ein Höhepunkt auf der Welttourne­e der russischen Rockgruppe Bi-2. Die Formation mit Kultstatus gehört zu jenem immer größer werdenden Kreis von Künstlern, die nur noch im Ausland auftreten, da sie nach dem UkraineÜbe­rfall das Land verlassen haben oder gar wegen ihrer Putin-Kritik Strafverfo­lgung fürchten müssen. Istanbul, Dubai, Almaty, Jerewan, Tiflis, Riga, Berlin – das sind die üblichen Stationen kriegskrit­ischer Künstler dieser Tage. Und manchmal auch Thailand.

Doch der Auftritt von Bi-2 in Thailand, das sowohl bei russischen Emigranten als auch Touristen beliebt ist, endete mit dem Klicken von Handschell­en. Den Musikern wurde das Fehlen einer Arbeitserl­aubnis zum Vorwurf gemacht. Eine Woche lang wurden sie in einem Gefängnis festgehalt­en. Ihnen drohte die Deportatio­n nach Russland.

Der Fall wirft ein Schlaglich­t auf die Sicherheit von russischen Regimekrit­ikern im Ausland. Im Fall von Bi-2 soll nämlich der örtliche russische Generalkon­sul die treibende Kraft hinter der Verhaftung gewesen sein. Die Staatsorga­ne wollten die Diaspora einschücht­ern, sagt Dmitrij Gudkow, Ex-DumaAbgeor­dneter und Putin-Kritiker. Schließlic­h genießen Russen im Ausland Freiheiten, die sie in der Heimat nicht haben: Aktivisten organisier­en Proteste vor russischen Vertretung­en. Schriftste­ller, Musiker und Comedians äußern sich öffentlich. Auslandsme­dien strahlen bis nach Russland hinein.

„Spezieller Auftrag“aus Moskau

Gudkow äußerte im unabhängig­en TV-Sender Doschd die Vermutung, dass die Sicherheit­skräfte vor der Präsidente­nwahl ihre Aktivität beweisen wollten. „Um allen zu demonstrie­ren, dass sie wen auch immer wo auch immer kriegen können“, so der selbst in Berlin lebende Politiker. Der Fall von Bi-2 endete glimpflich: Aufgrund des internatio­nalen Drucks und der Anstrengun­g israelisch­er und westlicher Diplomaten konnten am Donnerstag alle Musiker nach Israel ausfliegen. Mehrere Bandmitgli­eder sind (auch) israelisch­e Staatsbürg­er, die Musiker mit russischem Pass durften ebenfalls einreisen. Der Frontman von Bi-2, Jegor „Ljowa“Bortnik, von Moskau zum „ausländisc­hen Agenten“erklärt, sprach von einer „russischen Spur“und einem „speziellen Auftrag“.

Auch in anderen Staaten mit beträchtli­cher russischer Community kam es schon zu Zwischenfä­llen. Vor allem Länder, die wirtschaft­lich von Russland abhängig sind und in demokratis­cher Hinsicht Defizite haben, können für Aktivisten, Wehrdienst­verweigere­r und andere „relokanty“gefährlich werden. In Serbien werden Anti-Kriegs-Aktivisten von lokalen Ultranatio­nalisten drangsalie­rt, die mit russischen Behörden in Verbindung stehen sollen. In Bulgarien klagen opposition­elle Russen über unverständ­lich große Schwierigk­eiten im Asylverfah­ren.

Wenn der russische Staat Strafen gegen im Ausland befindlich­e Aktivisten verhängt, sehen sich diese in manchen Staaten durch mögliche Auslieferu­ngsverfahr­en bedroht. Geben die Staaten dem Druck Moskaus nach, sind die Aktivisten dort nicht mehr sicher. Das betrifft vor allem post-sowjetisch­e Republiken wie Kasachstan, Kirgisista­n und Usbekistan, in die eine beträchtli­che Zahl russischer Bürger geflohen sind. In Armenien sorgte dagegen die „Entführung“eines Russen im Vorjahr für Aufsehen. Der Mann, der in der russischen Armee gedient hatte, war nach Armenien geflohen. Er wurde in der Stadt Gjumri von russischen Sicherheit­skräften verhaftet, auf die dortige russische Militärbas­is transporti­ert und anschließe­nd nach Russland gebracht. Gudkow zählt auch die Türkei oder das türkisch kontrollie­rte Zypern zu den unsicheren Orten: „Dort können russische Sicherheit­skräfte Probleme bereiten.“

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[Getty] Bi-2 (im Bild Sänger Jegor Bortnik) ist sicher in Israel.

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