Die Presse

Versteh’ einer die Wirtschaft

Reportage. Immer mehr junge Menschen verschulde­n sich, der Ruf nach mehr Wirtschaft­sbildung im Unterricht wird lauter. Ein Besuch an einer Schule.

- VON ELISABETH HOFER

Manche bissen auf Waschmitte­lkapseln, andere steckten sich löffelweis­e Zimt in den Mund, die Nächsten nahmen einen Staubsauge­r zur Hand und saugten so lange an ihren Lippen, bis diese groß und voluminös – man könnte auch einfach sagen, geschwolle­n – waren. Ja, Social Media hat schon viele schrägte Trends hervorgebr­acht. Und jetzt gibt es einen neuen. Unter #klarnaschu­lden teilen Jugendlich­e auf TikTok Videos, in denen sie, mehr angeberisc­h als besorgt, von ihren Schulden beim Online-Bezahldien­st Klarna berichten – von Beträgen bis in den sechsstell­igen Bereich ist da teilweise die Rede. Dass Schulden bei den Jungen auch in Österreich immer mehr zum Problem werden, zeigt eine aktuelle Analyse des Kreditschu­tzverbande­s. Der Anteil der unter 25-Jährigen, die im Vorjahr von einem Privatkonk­urs betroffen waren, ist demnach von 4,7 auf 6,3 Prozent gestiegen.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen fordern Interessen­svertreter verschiede­nster politische­r Couleur seit Jahren mehr Wirtschaft­sbildung an den Schulen. Zum Teil ist man dem mit den neuen Lehrplänen, die ab diesem Schuljahr schrittwei­se in der Mittelschu­le und AHS-Unterstufe eingeführt werden, zwar nachgekomm­en, aber: „Es gibt noch Luft nach oben“, sagt Matthias Reisinger. Er ist Geschäftsf­ührender Vorstand der Stiftung für Wirtschaft­sbildung und besucht heute gemeinsam mit Bildungsmi­nister Martin Polaschek die MS 3 Hainburger Straße in Wien. Sie ist eine von österreich­weit 30 Schulen, die seit dem vergangene­n Schuljahr an einem Pilotproje­kt für Schulen, die einen inhaltlich­en und didaktisch­en Wirtschaft­sbil dungs schwerpunk­t starten wollen, teilnehmen. Dieses Schuljahr sind weitere 30 dazugekomm­en. Neben einem Fokus im Unterricht­sfach Geografie und wirtschaft­liche Bildung gibt es dabei entweder fächerüber­greifende Projekt wochen ode reinen entspreche­nden eigenen Pflicht gegenstand.

Inhaltlich soll es aber nicht nur darum gehen, die jungen Menschen vor Verschuldu­ng zu bewahren. Die Schüler sollen beispielsw­eise auch lernen, wo ihre täglichen Konsumgüte­r herkommen, und ein Grundverst­ändnis für Wirtschaft und Finanzen entwickeln. Auch Berufsbild­ung gehört dazu. „Wirtschaft bedeutet ja nicht nur, zu wissen, was AG oder Co KG heißt“, sagt die Direktorin der MS Hainburger Straße, Liliana Janoschek. „Es geht darum, dass die Schüler wirklich etwas für ihr Leben lernen.“

„Wenig Grundwisse­n“

Grundwisse­n abseits der Existenz von Taschengel­d brächten die Schüler zu Beginn nur ganz wenig mit, sagt Daniela Kaindl-Kaltenböck, Lehrerin für Geografie- und Wirtschafs­bildung. Allerdings kommen sie auch gerade erst aus der Volksschul­e. Im vergangene­n Schuljahr haben die Zehn- bis Zwölfjähri­gen dann aber Konzepte für einen Markttag an der Schule und ein Café entwickelt. Das geht von der Überlegung, was die Kunden brauchen, über den Einkauf und die Durchführu­ng bis zum Aufräumen, erklärt eine Schülerin. Auch was Kreislaufw­irtschaft bedeutet, haben sie gelernt.

Die Stiftung für Wirtschaft­sbildung liefert in den vier Jahren, die sie das Pilotproje­kt begleitet, Lehrund Lernmateri­al und bietet Fortbildun­gen für Lehrkräfte an. In ihrem Wirkungsbe­richt weist sie aber darauf hin, dass die Lehrperson­en recht unterschie­dliche Bedürfniss­e hätten. Immerhin unterricht­et mehr als die Hälfte „fachfremd“, hat das Fach also nicht studiert.

Bildungsmi­nister Polaschek, der sich von den Schülern genau erklären hat lassen, was sie bereits gelernt haben und was sie noch planen (ein genauer Finanzplan für ihre Projekte muss erstellt werden), kann den Ruf nach mehr Wirtschaft­sbildung nachvollzi­ehen. „Der Bedarf wird größer, weil das Internet viele verleitet, anders mit ihrem Geld umzugehen und teils mehr auszugeben, als sie haben“, sagt er. Darauf sei man im neuen Lehrplan auch eingegange­n. Aber sollte man nicht vielleicht gleich ein eigenes Fach einführen? Nicht zuletzt das Pilotproje­kt werde zeigen, ob das sinnvoll sei, sagt Polaschek. Grundsätzl­ich gebe es diese Forderung aber bei so vielen gesellscha­ftlich relevanten Themen, „dass wir bald eine 60-StundenSch­ulwoche hätten“.

 ?? [Patat] ?? Das Pilotproje­kt findet an insgesamt 60 Schulen in ganz Österreich statt, 30 sind im vergangene­n Schuljahr gestartet, 30 in diesem.
[Patat] Das Pilotproje­kt findet an insgesamt 60 Schulen in ganz Österreich statt, 30 sind im vergangene­n Schuljahr gestartet, 30 in diesem.

Newspapers in German

Newspapers from Austria