Versteh’ einer die Wirtschaft
Reportage. Immer mehr junge Menschen verschulden sich, der Ruf nach mehr Wirtschaftsbildung im Unterricht wird lauter. Ein Besuch an einer Schule.
Manche bissen auf Waschmittelkapseln, andere steckten sich löffelweise Zimt in den Mund, die Nächsten nahmen einen Staubsauger zur Hand und saugten so lange an ihren Lippen, bis diese groß und voluminös – man könnte auch einfach sagen, geschwollen – waren. Ja, Social Media hat schon viele schrägte Trends hervorgebracht. Und jetzt gibt es einen neuen. Unter #klarnaschulden teilen Jugendliche auf TikTok Videos, in denen sie, mehr angeberisch als besorgt, von ihren Schulden beim Online-Bezahldienst Klarna berichten – von Beträgen bis in den sechsstelligen Bereich ist da teilweise die Rede. Dass Schulden bei den Jungen auch in Österreich immer mehr zum Problem werden, zeigt eine aktuelle Analyse des Kreditschutzverbandes. Der Anteil der unter 25-Jährigen, die im Vorjahr von einem Privatkonkurs betroffen waren, ist demnach von 4,7 auf 6,3 Prozent gestiegen.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen fordern Interessensvertreter verschiedenster politischer Couleur seit Jahren mehr Wirtschaftsbildung an den Schulen. Zum Teil ist man dem mit den neuen Lehrplänen, die ab diesem Schuljahr schrittweise in der Mittelschule und AHS-Unterstufe eingeführt werden, zwar nachgekommen, aber: „Es gibt noch Luft nach oben“, sagt Matthias Reisinger. Er ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung für Wirtschaftsbildung und besucht heute gemeinsam mit Bildungsminister Martin Polaschek die MS 3 Hainburger Straße in Wien. Sie ist eine von österreichweit 30 Schulen, die seit dem vergangenen Schuljahr an einem Pilotprojekt für Schulen, die einen inhaltlichen und didaktischen Wirtschaftsbil dungs schwerpunkt starten wollen, teilnehmen. Dieses Schuljahr sind weitere 30 dazugekommen. Neben einem Fokus im Unterrichtsfach Geografie und wirtschaftliche Bildung gibt es dabei entweder fächerübergreifende Projekt wochen ode reinen entsprechenden eigenen Pflicht gegenstand.
Inhaltlich soll es aber nicht nur darum gehen, die jungen Menschen vor Verschuldung zu bewahren. Die Schüler sollen beispielsweise auch lernen, wo ihre täglichen Konsumgüter herkommen, und ein Grundverständnis für Wirtschaft und Finanzen entwickeln. Auch Berufsbildung gehört dazu. „Wirtschaft bedeutet ja nicht nur, zu wissen, was AG oder Co KG heißt“, sagt die Direktorin der MS Hainburger Straße, Liliana Janoschek. „Es geht darum, dass die Schüler wirklich etwas für ihr Leben lernen.“
„Wenig Grundwissen“
Grundwissen abseits der Existenz von Taschengeld brächten die Schüler zu Beginn nur ganz wenig mit, sagt Daniela Kaindl-Kaltenböck, Lehrerin für Geografie- und Wirtschafsbildung. Allerdings kommen sie auch gerade erst aus der Volksschule. Im vergangenen Schuljahr haben die Zehn- bis Zwölfjährigen dann aber Konzepte für einen Markttag an der Schule und ein Café entwickelt. Das geht von der Überlegung, was die Kunden brauchen, über den Einkauf und die Durchführung bis zum Aufräumen, erklärt eine Schülerin. Auch was Kreislaufwirtschaft bedeutet, haben sie gelernt.
Die Stiftung für Wirtschaftsbildung liefert in den vier Jahren, die sie das Pilotprojekt begleitet, Lehrund Lernmaterial und bietet Fortbildungen für Lehrkräfte an. In ihrem Wirkungsbericht weist sie aber darauf hin, dass die Lehrpersonen recht unterschiedliche Bedürfnisse hätten. Immerhin unterrichtet mehr als die Hälfte „fachfremd“, hat das Fach also nicht studiert.
Bildungsminister Polaschek, der sich von den Schülern genau erklären hat lassen, was sie bereits gelernt haben und was sie noch planen (ein genauer Finanzplan für ihre Projekte muss erstellt werden), kann den Ruf nach mehr Wirtschaftsbildung nachvollziehen. „Der Bedarf wird größer, weil das Internet viele verleitet, anders mit ihrem Geld umzugehen und teils mehr auszugeben, als sie haben“, sagt er. Darauf sei man im neuen Lehrplan auch eingegangen. Aber sollte man nicht vielleicht gleich ein eigenes Fach einführen? Nicht zuletzt das Pilotprojekt werde zeigen, ob das sinnvoll sei, sagt Polaschek. Grundsätzlich gebe es diese Forderung aber bei so vielen gesellschaftlich relevanten Themen, „dass wir bald eine 60-StundenSchulwoche hätten“.