Die Tourismusbranche leidet unter ihrem Rufund sucht Auswege Und sucht Auswege
Die Jubelmeldungen über Rekordnächtigungs- und Passagierzahlen überschlagen sich. Doch es fehlen im österreichischen Tourismus mehr als 30.000 Arbeitskräfte, Tendenz steigend. Über Wege aus der Krise diskutierten Ende Jänner Experten aus der Tourismusbran
Die Katastrophe scheint vorprogrammiert: Setzt sich der Trend fort, dann fehlen bis zum Jahr 2040 sogar an die 50.000 Mitarbeiter in den Beherbergungsund Gastronomiebetrieben des Landes. Ausbildungsinitiativen, Imagepolitur und Import von Arbeitskraft aus dem Ausland – wie können Wege aus der Krise gefunden werden? Darüber diskutierten im Talk mit Michael Köttritsch, „Die Presse“, die Tourismusexperten Michael Spechtenhauser, Geschäftsführer der Salzkammergut Tourismus Marketing GmbH, Ulrike Rauch-Keschmann vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Philipp Falkner, Prokuristnachfolger der Bergbahn Sölden und Geschäftsführer bei Area 47, und Sophie Schick, Direktorin des Boutiquehotels Hauser in Wels und Vizepräsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung.
Es gibt gewaltige Unterschiede in den Narrativen über die Tourismusbranche. Zum einen könne man an wunderschönen Orten arbeiten, an denen andere für viel Geld Urlaub machen. Andererseits gibt es die Erzählung, dass Arbeitende im Tourismus ausgebeutet werden und deshalb das Weite suchen. Michael Spechtenhauser weiß um die dunklen Flecken am Image von Tourismusjobs: „Das ist die Ausbeutung und der Beruf sei nicht familientauglich. Wie in jedem anderen Beruf auch gibt es positive und negative Beispiele. Nur der Tourismus wird immer als negatives Beispiel dargestellt, obwohl vieles in den meisten Fällen nicht stimmt. Es ist weder Ausbeutung, noch sind die Gehälter zu niedrig.“Hotelbetreiberin Sophie Schick meint, dass manche Medien bewusst ein verzerrtes Bild vom Tourismus zeichnen. „Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft und erwirtschaften einen guten Teil unseres Wohlstandes mit diesen Dienstleistungen. Aber es gibt nicht mehr genügend Menschen, die im Bereich der Dienstleistungen arbeiten wollen“, ortet Schick den eigentlichen Grund für den Personalmangel, „Das ist auf lang oder kurz ein Thema, das uns sehr beschäftigen wird.“
Angeschlagenes Image
Ulrike Rauch-Keschmann schmerzt das angeschlagene Image der Branche. „Die Zuschreibung, dass der Tourismus eine Fluchtbranche sei, dass hier niemand arbeiten möchte und, dass die Arbeit keine Freude mache, tut mir persönlich am meisten weh“, so die Expertin, die auf gegenteilige persönliche Erfahrung verweist. Für Rauch-Keschmann sei es „eine der schönsten Tätigkeiten, die schönste Zeit im Leben anderer Menschen gestalten zu können, unmittelbares Feedback zu erhalten und direkt mit dem Gast zu arbeiten.“Doch die positiven Aspekte würden zu selten erwähnt. Die Einrichtung eines Staatssekretariats für Tourismus im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft vor eineinhalb Jahren sei ein Signal der Politik gewesen, dass der Zustand des Arbeitsmarkts eine der zentralen Herausforderungen für die Branche ist und dieser Umstand ernst genommen wird. „Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler hat hier von Beginn an starke Akzente gesetzt und Fakten erheben lassen, denn wir sind in der öffentlichen Diskussion oft bloß mit Wahrnehmungen konfrontiert“, erklärt Rauch-Keschmann, „Es gibt, wie in jeder Branche, schwarze Schafe und schlechte Beispiele. In unserem Fall schaffen es nur diese in die Schlagzeilen. Es gilt die vielen guten Betriebe und Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang zu holen, aber die schaffen es nicht in die Medien. Das ist auch ein bisschen der Medienlogik geschuldet.“
Statt Jammern – Fakten
Rauch-Keschmann führt aus, dass es aktuell etwa 235.000 Beschäftigte im Kern des Tourismus, der Beherbergung und Gastronomie, gibt, in der gesamten Freizeitwirtschaft sind es eine halbe Million: „Wir sehen hier schon steigende Beschäftigungszahlen, bräuchten aber noch mehr Mitarbeiter. Das ist zum einem dem Fokus auf Qualität geschuldet, denn je mehr Qualität wir in der Dienstleistungsbranche bieten wollen, desto mehr Menschen brauchen wir. Gleichzeitig sehen wir, dass es immer weniger qualifizierte Mitarbeiter gibt. Das ist die Herausforderung. Allerdings sind die bestehenden Fachkräfte nicht unzufriedener als in anderen Branchen – ganz im Gegenteil.“
Das belegt eine aktuelle Umfrage der Wirtschaftskammer. „Demnach sind 93 Prozent aller Mitarbeiter im Tourismus sehr zufrieden mit ihrer Tätigkeit, während es in anderen Branchen 90 Prozent sind. Rund zwei Drittel würden ihren Betrieb auch weiterempfehlen. Das sind Fakten, die gegen das weitverbreitete Image sprechen“, ist Rauch-Keschmann überzeugt, „Der Tourismus bietet neben vielen positiven Aspekten, wie die Freude an der Arbeit und der direkte Kontakt zu Menschen, auch einen sicheren Arbeitsplatz, da die Branche weiterwächst. Natürlich gibt es Nachteile, die systemimmanent sind. Tourismus findet sieben Tage in der Woche statt und geballt an den Wochenenden, dann, wenn andere Menschen Urlaub machen. Das ist für den Arbeitsmarkt im Tourismus sehr herausfordernd.“Zudem problematisch sei die hohe Fluktuation in der Branche.
Öffnung des Marktes
Eine hohe Fluktuation kennt Philipp Falkner seit der Coronapandemie, während der sie extrem angestiegen ist. Er sieht in Zukunft eine weitere Verknappung von Arbeitskräften: „Wenn man sich die Demografie ansieht, werden die kommenden Jahre immer schwieriger. Ich hoffe, dass die Politik hier Schritte setzt und die Märkte öffnet. Ohne diese Öffnung wird es nicht funktionieren. Es gäbe gute Arbeitsmärkte wie die Philippinen und wir können in Österreich viel bessere Arbeitsbedingungen bieten. Das ist eine Riesenchance und ein riesiges Potenzial, um Qualität zu uns zu holen, auf die wir uns bei Dienstleistungen stützen.“Andererseits haben sich auch die Lebensmodelle verändert, beobachtet Schick. Sie stellt einen starken Trend zur Teilzeitarbeit fest, außerdem wurde die Top-Hotellerie, die als besonders mitarbeiterintensiv gilt, ausgebaut und weiterentwickelt, was dem Markt zusätzlich Personal entzieht.
Die Folgen sind bereits deutlich sichtbar, mahnt Spechtenhauser. „Wir hatten im vergangenen Sommer die Situation, dass Hotels Sperrtage einführen mussten, dass es kein À-la-carte-Essen mehr gab und Terrassenplätze beschränkt wurden. Das zieht einen Rattenschwanz an wirtschaftlichen Konsequenzen nach sich“, erklärt der Destination-Manager, „Macht es überhaupt noch Sinn, so viele Gäste in die Region zu bekommen, oder
müsste man nicht zuvor schauen, dass die Probleme in der Region zuerst gelöst werden?“Das Manko an Mitarbeitern könne von einer Destination oder einer Region selbst kaum oder gar nicht gelöst werden, so Spechtenhauser, das könne nur von der Politik aus, oder auf Betriebsebene geschehen.
Wege aus dem Dilemma
Aus der langjährigen Praxis und Kenntnis der Materie ergeben sich für Tourismusexperten konkrete Lösungsvorschläge zur Behebung des Arbeitskräftemangels.
Hotelbesitzerin Sophie Schick ist immer wieder mit der Situation konfrontiert, neues Personal zu rekrutieren und bestehendes im Betrieb zu halten: „Es hängt viel vom wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeitern ab. Wir arbeiten sehr eng und intensiv mit den Schulen zusammen, Schulklassen kommen zu uns ins Hotel und wir verbringen gemeinsam einen Vormittag. Die Schüler können in das Berufsfeld hineinschnuppern, wir nehmen im Sommer Praktikanten auf und bilden Lehrlinge aus. Darüber hinaus haben wir bereits vor drei Jahren gemeinsam mit unseren Mitarbeitern ein Modell für eine Vier-TageWoche erarbeitet. Darin enthalten ist eine Reduktion auf maximal 36 Stunden bei gleichbleibender Bezahlung, inklusive Überzahlung. Das kommt bei den Mitarbeitern extrem gut an.“Da dieses Modell die Familienfreundlichkeit unterstützt, sei es kein großes Problem,
dass manchmal auch am Wochenende gearbeitet werden muss. Für Schick ist es zudem eine Selbstverständlichkeit, dass die Mitarbeiter in Entscheidungen eingebunden sind.
Ebenfalls gute Erfahrungen konnte Philipp Falkner mit dem neuen Arbeitszeitmodell sammeln. „Wir sind schon lange sehr flexibel, bei der Bergbahn gibt es die VierTage-Woche bereits seit zehn Jahren“, unterstreicht er, „Während der Sommermonate und den Revisionsarbeiten
arbeiten wir vier Tage, danach sind drei Tage frei.“Problematischer sei die Umsetzung in der Wintersaison: „In der Gastronomie arbeiten wir in vielen Bereichen noch fünf oder sechs Tage pro Woche. Hier muss man aber zwischen Stammmitarbeitern, die fünf Tage arbeiten wollen, und Saisonmitarbeitern, die zu uns kommen und Geld verdienen wollen, unterscheiden. Sie dürfen und wollen nach wie vor sechs Tage arbeiten.“Beim Thema Arbeitszeiten sieht Ul
‘‘ Es ist die Vielfalt, denn junge Menschen können mit jeder Ausbildung in den unterschiedlichsten Bereichen andocken. Und es sind die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Ulrike Rauch-Keschmann
‘‘ Es ist die schönste Branche, die es gibt. Man kann sich täglich verwirklichen und jeder Tag ist sehr vielfältig, wir können jeden Tag am Berg und in unseren Betrieben etwas bewegen. Philipp Falkner
rike Rauch-Keschmann Handlungsbedarf. „Auch die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, wie bei den Lohnnebenkosten, und bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Saisonmitarbeiter wollen am liebsten sieben oder 14 Tage durcharbeiten und danach eine Woche heimfahren. Das geht derzeit durch den Arbeitnehmerschutz rechtlich nicht“, so RauchKeschmann. Weiters müssen alle Player die Branche für junge Menschen attraktiver machen. „Stammmitarbeitern
muss man ordentlich Benefits, Wertschätzung und Perspektiven bieten. Und ihnen das alles mit Emotion vermitteln“, ist Falkner überzeugt, der verstärkt während der Saison Studenten einsetzt, „Die kommen zwei Jahre lang für die Saison und danach muss ich mir wieder neue suchen.“Längst ist das Buhlen um die Gunst von Fachkräften ein Muss – und Goodies, wie flexible Arbeitszeitmodelle zahlen sich aus. „Als wir mit der Vier-TageWoche in den Medien präsent waren,
haben wir auch viel mehr Bewerbungen bekommen“, erinnert sich Schick.
Doch Fachkräfte zu finden sei nach wie vor sehr schwierig. Deshalb bildet sie beinahe alle Mitarbeiter im eigenen Betrieb selbst aus. „Das ist für uns in Ordnung, denn Hauptsache ist, dass unsere Mitarbeiter mit Freude dabei sind, das Gastgeber-Gen haben und gerne mit den Gästen arbeiten“, so Schick, denn Absolventen von Tourismusschulen bleiben nur selten in der Branche: „Dadurch fehlen uns die Fachkräfte. Lehrlinge, die wir selbst ausbilden, bleiben bei uns immer sechs Jahre oder länger im Betrieb. Deshalb funktioniert das bei uns sehr gut. Ausgebildete Fachkräfte zu finden ist aber extrem schwierig.“
Weitere Goodies im Schick’schen Hotelbetrieb sind diverse Präsente, wie Willkommens-, Geburtstagsund Weihnachtsgeschenke, ebenso wird Weiterbildung gefördert und ein erfolgreicher Abschluss gebührend gemeinsam gefeiert. „Bei uns gibt es seit vielen Jahren ein Gesundheitsprojekt, bei dem wir auf freiwilliger Basis den Mitarbeitern anbieten, gemeinsam Sport zu treiben oder neue Sportarten auszuprobieren. Das fördert den Zusammenhalt. Man kann im Kleinen sehr vieles bewirken“, ist Schick überzeugt.
Jobs vor den Vorhang
Neue Wege geht auch Philipp Falkner. „Wir haben in Sölden den Prozess
,Zukunft Sölden‘ ins Leben gerufen, der auf drei Säulen basiert, auf den Einheimischen, den Mitarbeitern und dem Gast“, skizziert er die aktuellen Aktivitäten zum Aufpolieren des Images des Tourismus, „Wir bespielen alle drei Säulen mit unterschiedlichen Inhalten. Im Vorjahr ist das Event ,Sölden sucht das Gastro-Supertalent‘ entstanden. Dabei haben wir die jungen Führungskräfte und Schulen vor den Vorhang geholt und wollen vermitteln, dass der Tourismus eine sehr coole Branche ist.“Das Wichtigste an seinem Job bleibt für Falkner aber der unmittelbare Kontakt zum Gast: „Man bekommt jeden Tag ein klares Feedback vom Kunden.“
Destinations-Marketer Spechtenhauser sieht kaum Handlungsmöglichkeiten seitens der Regionen, die Tourismusbrache für Arbeitskräfte attraktiver zu machen. „Die Region per se ist vermutlich der dünnste Ast auf dem wir sitzen und der etwas bewegen kann. Wir können das eine oder andere mit den Betrieben gemeinsam machen, aber wir haben keinen Einfluss auf Unternehmen“, weiß er aus der Praxis, „Wir besuchen gemeinsam mit den Betrieben Tourismusschulen, es gibt Mitarbeiterkarten für kostenlose Angebote und Vergünstigungen in der Region. Danach ist es aber enden wollend. Ein Image zu formen ist in der Region machbar, aber das muss über ganz Österreich ausgerollt werden.“
Ungenutzte Potenziale
Für Sophie Schick gibt es noch einige ungenutzte Potenziale, die Tourismusbetriebe als Arbeitgeber attraktiver machen könnten: „Das bedeutet, die Zuverdienstgrenze bei Pensionisten und Studierenden zu erhöhen, damit es sich für diese Personen auch auszahlt, nebenbei im Tourismus zu arbeiten“, ist sie überzeugt, „Auch die Kinderbetreuung ist ein brennendes Thema, denn es sind mittlerweile 30 Prozent der Mitarbeiter, die am Wochenende arbeiten, davon betroffen. Aktuell müssen da Verwandte oder die Unternehmen selbst einspringen.“Ein Vollzeitbonus, die Halbierung der Lohnnebenkosten für Vollzeitmitarbeitende unter 30 Jahren, oder der Wegfall der Lohnsteuer auf Überstunden wären, so Schick, weitere einfach umzusetzende Hebel.
Verlorene Wertschätzung
Um das Empolyer Branding braucht man sich hierzulande nicht sorgen, meint Ulrike Rauch-Keschmann:
„Die einzelnen Betriebe machen das ganz großartig und auch international braucht sich Österreich nicht zu verstecken. Aber das gilt es noch stärker hervorzuheben. Wir sehen, dass Österreich eines der erfolgreichsten Tourismusländer der Welt ist. Das verdanken wir der zum Teil über Jahrhunderte lang gewachsenen Gastfreundschaft, die über Generationen weitergegeben wird.“Ein Manko sehen die Experten unisono aber bei der Wertschätzung der Dienstleister. Deshalb wäre es wichtig, etwa den gesellschaftlichen Stellenwert eines Kellners wieder höher anzusiedeln, präzisiert Falkner und Rauch-Keschmann sieht die Gesellschaft am Zug: „Hier ist jeder von uns gefordert. Wenn wir ins Kaffeehaus oder ins Restaurant gehen, müssen wir dem Mitarbeiter jene Wertschätzung entgegenbringen, die er sich auch verdient hat.“
Wertschätzung fordert RauchKeschmann auch für den Tourismus in Österreich selbst ein. „Wir nehmen aber wahr, dass die positiven Seiten des Tourismus oft vergessen werden. In manchen Tälern gäbe es ohne den Tourismus keine Arbeitsplätze, keine Infrastruktur und keine Lebensqualität. Man sieht viel zu oft nur die negativen Auswirkungen, wobei der Verkehr eines der größten Probleme ist. Mir geht es darum, in der öffentlichen Debatte die Vorteile und Nachteile sehr offen zu diskutieren“, mahnt sie und unterstreicht die Tourismusstrategie, in der vor fünf Jahren verankert wurde, dass Österreich zu einer der nachhaltigsten Tourismusdestinationen der Welt gehören soll. „Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen, nicht nur in der Ökologie. Wir brauchen auch ökonomisch gesunde Betriebe als Grundlage. Wenn es sich nicht rechnet, wird es keinen Tourismus geben. Und man muss die Bevölkerung mitnehmen. Wenn es uns nicht gelingt, der Bevölkerung auch den Nutzen des Tourismus zu vermitteln, kippt das Modell. Hier geht es ganz viel um Bewusstseinsbildung“, ist Rauch-Keschmann überzeugt, „weshalb Tourismusakzeptanz auch der Arbeitsschwerpunkt 2024 ist.“
‘‘ Weil man mit Herzblut dabei sein kann und ich jeden Tag ein Feedback bekomme. Aufgrund der tollen Ausbildung, die wir haben, stehen auch alle Tore weit offen. Weltweit. Michael Spechtenhauser
‘‘ Der Tourismus ist eine absolute Wachstumsbranche und eine sehr sichere Branche mit großer Vielfalt. Man findet immer einen Job im Tourismus, egal, wo die individuellen Stärken liegen. Sophie Schick