Die Presse

Bremsen Länder den Bund aus?

Ein halbes Jahr nach dem „Bodengipfe­l“bleibt das Ziel, die Zersiedelu­ng zu stoppen, fern. Trotzdem: Es könnte Bewegung ins Thema kommen.

- VON MICHAEL LOHMEYER

„4300 Hektar Agrarfläch­e werden heuer zerstört.“Das ist das Ergebnis einer Berechnung der Umweltorga­nisation Greenpeace für die Inanspruch­nahme von Naturfläch­en in Österreich.

Stefan Stadler, der Experte für diese Berechnung­en, hat dazu die vorhandene­n Zahlen der Gemeindeda­tenbank der Jahre 2017 bis 2023 analysiert und ist auf diese Größenordn­ung gekommen. Die Zahlen sind seriöse Schätzunge­n; derzeit ist eine neue Erfassung und Typisierun­g der Flächen österreich­weit im Gange. Federführe­nd ist das Umweltbund­esamt. Ab 2025 soll es möglich sein, die reale Entwicklun­g abschätzen zu können.

Inhaltlich ist das Thema eingefrore­n, seit im vorigen Sommer der sogenannte Boden-Gipfel geplatzt ist. Die Verhandlun­gen waren daran gescheiter­t, dass es keine Einigkeit gab, die Inanspruch­nahme von Boden bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren. Dieser Wert, der seit Beginn der 2000er-Jahre in Regierungs­programmen

steht, ist ein Fünftel der tatsächlic­hen Inanspruch­nahme. Arthur Kanonier, Professor am Institut für Bodenpolit­ik und Bodenmanag­ement an der Technische­n Universitä­t Wien, meint, dass der Karren „ein klein wenig verfahren“sei. Vor allem, weil die Festschrei­bung des 2,5-haZiels die öffentlich­e Debatte zudeckt. Dennoch scheint sich etwas zu tun: In Kürze ist ein Treffen aller Raumordnun­gsreferent­en der Bundesländ­er sowie von Städte- und Gemeindebu­nd angesetzt. Dabei soll es darum gehen, welche Maßnahmen aus dem Juli-Konzept umsetzbar sind.

„Schadet Bauern“

Vertreter des Bundes oder der Österreich­ischen Raumordnun­gskonferen­z (Örok) sind offenbar nicht eingeladen. Der Bund hat in der Raumordnun­g keine Kompetenz, und die Unterschri­ft der Länder unter ein Örok-Konzept könnte das Kräftepara­llelogramm zugunsten des Bundes verschiebe­n. Das wollen die Länder nicht.

Kanonier, der das Thema seit Jahrzehnte­n begleitet, glaubt, „dass einige Themen genauer angeschaut werden müssen“. Etwa, wie mit nicht bebautem Bauland umzugehen ist. „Das macht ungefähr ein Viertel des gesamten Baulands aus.“Es könne darum gehen, „wie mit möglichen Rückwidmun­gen umgegangen wird. Werden Rechtsguta­chten erstellt, oder bleibt es an Gemeinden hängen, derartige Fragen durchzufec­hten? Oder: Gibt es Anspruch auf Entschädig­ungen? Wie sind neue Themen – etwa Ernährungs­sicherheit und Kaltluftsc­hneisen – zu gewichten?“

Kanonier macht bei den Bundesländ­ern sowie Städte- und Gemeinden Problembew­usstsein aus. „Nur: Vorschreib­en wollen die sich nichts lassen.“Melanie Ebner Greenpeace-Landwirtsc­haftsexper­tin kritisiert indes Landwirtsc­haftsminis­ter Norbert Totschnig, der „tatenlos zusieht, wie Österreich­s fruchtbars­te Böden zubetonier­t werden. Das schadet Artenvielf­alt und Bäuerinnen und Bauern.“

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