Erfolgsgeschichte mit erwarteter Fortsetzung
Seit etwas mehr als zehn Jahren revolutioniert die Immuntherapie die Krebsbehandlung. Aktuelle Forschungen lassen auf weitere Fortschritte hoffen.
Mit ihrer Wirksamkeit, auch in einem fortgeschrittenen Tumorstadium, sowie ihrer häufig relativ guten Verträglichkeit stellt die Immuntherapie seit mehr als zehn Jahren einen Meilenstein in der Krebsbehandlung dar. Anders als Operationen, Chemo- und Strahlentherapie richtet sie sich nicht gegen den Tumor oder die Krebszellen selbst. „Vielmehr wird das Immunsystem aktiviert, um Krebszellen erkennen und zerstören zu können“, erklärt Matthias Preusser, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie und des ChristianDoppler-Labors für Personalisierte Immuntherapie an der Med-Uni Wien. Die Idee, dass das körpereigene Abwehrsystem bei der Krebstherapie eine Rolle spielen könnte, ist allerdings deutlich älter. „Bereits vor rund 100 Jahren hat ein deutscher Pathologe entdeckt, dass auch in Krebsgeschwüren Immunzellen vorkommen“, so Preusser. Versuche, sich dieses Wissen im Kampf gegen Krebs zunutze zu machen, seien dann aber jahrzehntelang erfolglos geblieben. „Das erste Mal war der Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren 2011 bei schwarzem Hautkrebs erfolgreich“, erzählt der Onkologe. 2015 wurde ein weiterer Checkpoint-Inhibitor beim fortgeschrittenen Lungenkrebs zugelassen, heute werden sie bereits bei vielen anderen Tumorarten angewandt. Die Inhibitoren wirken gezielt auf die Immun-Checkpoints der Krebszellen ein. Letztere sorgen dafür, dass das Immunsystem die Krebszellen nicht bekämpft, weil es sie nicht als körperfremde Zellen erkennt. „Man könnte sagen, die Immuncheckpoint-Inhibitoren reißen den Krebszellen diesen Tarnumhang, mit dem sie sich für das Immunsystem unsichtbar machen, herunter“, veranschaulicht Preusser.
Mittlerweile gibt es eine zusätzliche Möglichkeiten, um das Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen anzuregen: „Bispezifische Antikörper, die bei verschiedenen Formen von Blut- und Lymphdrüsenkrebs zur Anwendung kommen, verbinden die T-Zellen des Immunsystems mit den Krebszellen, wodurch Letztere aufgelöst werden“, berichtet Sigrid Machherndl-Spandl, Leiterin des Hämatoonkologischen Zentrums am Ordensklinikum Linz. Um das gesunde Gewebe zu schonen, müsse diese Therapie allerdings
‘‘ Die Checkpoint- Inhibitoren reißen den Krebszellen ihre Tarnung vor dem Immunsystem herunter.
Matthias Preusser, Med-Uni Wien
wirklich zielgerichtet erfolgen, so die Expertin.
Scharf gemachte Immunzellen
Ein weiterer Meilenstein in der Weiterentwicklung der Immuntherapie, die oft in Kombination mit den bisherigen Therapieformen angewandt wird, ist die CAR-T-ZellTherapie. Dabei werden Patienten Immunzellen entnommen und in einem spezialisierten Labor gentechnisch so verändert, dass sie an ihrer Oberfläche eine Andockstelle für die Tumorzellen bilden, wodurch sie die Krebszellen gezielt
zerstören können. Nachdem die Immunzellen verändert und vermehrt wurden, werden sie dem Patienten als Infusion wieder zugeführt. „Ein Vorteil dieser Therapie ist, dass CAR-T-Zellen lange Zeit im Körper leben und aktiv sein können. Im Optimalfall wirken sie daher dauerhaft und verhindern so die Rückkehr des Krebses“, sagt Machherndl-Spandl. Gute Erfolge werden damit derzeit bei verschiedenen Formen von Blutkrebs und Lymphomen erzielt. „Ein Grund ist, dass bei diesen die Krebszellen alle gleich ausschauen und im
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Im Optimalfall wirkt die CAR-T-ZellTherapie dauerhaft und verhindert die Rückkehr des Krebses.
Sigrid Machherndl-Spandl, Ordensklinikum Linz
Blut beziehungsweise dem Lymphsystem ,schwimmen‘. Daher sind sie für die CAR-T-Zellen leichter erreichbar“, erklärt Preusser. Solide Tumore wie Magen-, Darm-, Bauchspeicheldrüsen-, Brust- oder Blasenkrebs hingegen würden nicht nur aus einem Zelltyp bestehen, auch seien deren Krebszellen schwerer zugänglich. Laut den Experten ist die Anwendung der CART-Zell-Therapie bei soliden Tumoren aber definitiv einer der Forschungsschwerpunkte. Geforscht wird im Zusammenhang mit dieser Therapieform mittlerweile auch an allogenen Zellen, also solchen von Spendern. „Dafür werden Zellen gesunder Menschen genommen und für die Bekämpfung von Krebs scharf gemacht“, beschreibt Machherndl-Spandl. Damit könnte man die CAR-T-Zellen seriell herstellen, was die Therapie nicht nur günstiger machen, sondern auch deutlich vereinfachen und beschleunigen würde. „Jetzt müssen Patienten mehrere Wochen auf ihre veränderten Zellen warten“, so die Expertin.
Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Forschungsfelder, ist doch die Immuntherapie trotz der rasanten Entwicklung der vergangenen Jahre ein weites Feld: Bereits seit Jahrzehnten sind beispielsweise Tumorimpfstoffe Gegenstand der Forschung. Dank Corona hat dieser Bereich zuletzt einen ordentlichen Schub erfahren. „Dabei werden, ähnlich wie bei der CAR-T-Therapie, Patienten körpereigene Immunzellen entnommen, mit Tumor-Antigenen gefüttert und schließlich injiziert“, erklärt Machherndl-Spandl. Noch ist diese Therapie, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Behandlung von schwarzem Hautkrebs genommen hat, nicht zugelassen. „Aber Studien zeigen, dass sie funktioniert – vor allem in Kombination mit Immuncheckpoint-Inhibitoren“, sagt Preusser.
Ein anderes Thema der Forschung sind die Nebenwirkungen. Diese sind immerhin bei den meisten Patienten geringer als bei einer Strahlen- oder Chemotherapie. „Typisch sind Autoimmunerkrankungen oder Entzündungen von Haut, Lunge oder Darm, die man in der Regel mit Immunsuppressiva wie Cortison gut behandeln kann“, beschreibt Preusser.
Auch an der Frage, warum bestimmte Formen der Immuntherapie nur bei bestimmten Tumorarten wirken, wird eifrig geforscht. Gleiches gilt für neue Kombinationsmöglichkeiten, die Optimierung der Wirksamkeiten sowie die Suche nach weiteren Proteinen, die blockiert werden können.
Gründe für Therapieversagen
„Eine der größten Forschungsfragen ist, welche Patienten von der Therapie profitieren und welche nicht“, sagt Preusser. Biomarker, die auf die Art der Mutationen und somit auf eine bestimmte Krebs-Untergruppe schließen lassen, helfen dabei, die Wirkwahrscheinlichkeit einer Immuntherapie abzuschätzen. „Das Problem dabei ist, dass sich Immun- und Krebszellen ändern und man die Interaktion nicht nur auf einen Parameter herunterbrechen kann“, so der Onkologe. Es werde daher systematisch daran gearbeitet, die Zahl der Biomarker, die Hinweise auf den Behandlungserfolg geben können, zu erhöhen.