Wenn der Krebs den Therapien trotzt
Die Abwehrmechanismen der Tumorzellen zu verstehen ist der Schlüssel für noch bessere Therapien.
Obwohl die Krebstherapie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zahlreiche einschneidende Durchbrüche verzeichnen konnte, ist die Therapieresistenz nach wie vor eines der zentralen und häufig auftretenden Probleme. „Resistenzen, die bei allen Therapien abgesehen von Operationen auftreten können, sind tatsächlich ein Kernthema. Sie sind ja der Schlüssel zu Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung“, sagt Dominik Wolf, Leiter der Klinik für Innere Medizin V, Hämatologie und Onkologie, an der Universitätsklinik Innsbruck. Dabei könnten zwei Formen unterschieden werden: die primäre Resistenz, bei der ein Tumor überhaupt nicht auf klassische Chemotherapie anspricht oder sogar trotzdem wächst. „Das ist beispielsweise beim Aderhautmelanom, dem häufigsten primären Augentumor, der Fall“, so Wolf. Daneben gebe es sekundäre Resistenzen, bei denen der Tumor zwar auf die Behandlung erst einmal anspricht, aber nach einiger Zeit dann doch zurückkehrt.
Vielfältige Abwehrstrategien
Die Mechanismen, mit denen sich Krebszellen den therapeutischen Wirkstoffen entziehen, sind vielfältig – und ähnlich jenen bei Antibiotikaresistenzen: „Manche Zellen suchen sich neue Signalwege, wenn jene, die zu ihrem Wachstum führen, durch eine Chemotherapie blockiert werden“, erklärt Maria Sibilia, Leiterin des Zentrums für Tumorforschung an der Med-Uni Wien. Andere würden die Therapeutika sofort nach ihrem Eindringen aus dem Inneren der Krebszelle wieder hinauspumpen. Funktioniert der Blutfluss nicht richtig und kommen die Wirkstoffe gar nicht zum Tumorgewebe, kann das ebenfalls zu Resistenzen führen.
Eine große Rolle bei der Ausbildung von Therapieresistenzen spielen Sibilia zufolge die Dynamik des Krebsgeschehens und die Heterogenität der Tumore. „Jeder Tumor ist individuell und besteht aus unterschiedlichen Zellen“, erklärt sie. Ist ein zielgerichteter Wirkstoff eben nur auf bestimmte Zellen ausgerichtet, könne es passieren, dass zwar diese zurückgedrängt werden, sich andere aber dafür vermehren. Aber nicht nur das: „Durch den Selektionsdruck der Therapien häufen sie zusätzliche Veränderungen an“sagt die Molekularbiologin. Im schlimmsten Fall würden diese, so die beiden Experten, völlig resistent. Und noch etwas ist für die Bildung von Resistenzen entscheidend, nämlich die Zellumgebung. „Bei Alkoholkranken kommt es oft in der Familie zu Co-Abhängigkeiten, das System Familie ist quasi krank. Bei Tumoren ist das ähnlich, auch die Krebszellen ,verseuchen‘ die eigentlich gesunden Zellen in ihrer Umgebung“, beschreibt Wolf. Dieses Umgebungsmilieu allerdings habe bei der Immuntherapie einen großen Einfluss darauf, ob die gegen den Krebs gerichteten Immunzellen ihre Aufgabe tatsächlich erfüllen können. „Das Umgebungsmilieu von Krebs ist bei uns ein ganz wichtiges Forschungsthema“, sagt Wolf. So wurde etwa aufgrund der Analyse von rund 1,7 Milliarden Messungen von 1,3 Millionen Zellen aus 318 LungenkrebsPatienten ein Einzelzell-Atlas erstellt. „Damit wurden die Risikoberechnung und die Vorhersagbarkeit des Therapieansprechens verbessert“, so Wolf. Seit Ende 2022 kann dieser Atlas von Medizinern online für Forschungsfragen zur Tumorumgebung von Lungenkrebs genutzt werden. Gleichzeitig wurden neue Subtypen von spezifischen Immunzellen identifiziert, die eine Rolle bei der Entwicklung von Resistenzen spielen. „Da sind wir weiter dran“, berichtet Wolf.
Erkenntnisse bei Brustkrebs
Auch für Sibilia stellt die Wechselwirkung zwischen Tumorzellen und der Umgebung und hier vor allem mit den Immunzellen einen großen Forschungsschwerpunkt dar: „Man muss zuerst verstehen, wie sich eine Tumorzelle entwickelt, wie sie arbeitet – das ist ganz wichtige Grundlagenforschung“, so Sibilia. Aber auch der Frage, wie Krebszellen sich bei der Immuntherapie vor den Immunzellen verstecken beziehungsweise wie sie wieder sichtbar gemacht werden könnten, kommt große Bedeutung zu. Ein Forschungsteam des Zentrums für Krebsforschung hat erst kürzlich herausgefunden, dass schlafende Tumorzellen, die eine Chemotherapie überleben, durch die Hemmung eines bestimmten Proteins namens P-Glykoprotein (P-gp) angegriffen werden können.
Diese Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten zur Verzögerung von Rückfällen und ist besonders für aggressiven dreifach negativen Brustkrebs von Bedeutung, für den es derzeit nur wenige wirksame Behandlungen gibt. „P-gp ist als ein Protein bekannt, das Chemotherapeutika aus den Zellen exportieren kann, aber seine Rolle beim Schutz ruhender Krebszellen ist nicht erwiesen. Die Entdeckung, dass P-gp zur Entfernung von toxischen Lipiden aus seltenen überlebenden Krebszellen beiträgt, stellt eine Schwachstelle dar, die ausgenutzt werden kann, um einen Rückfall zu verhindern. Das Gute daran ist, dass es bereits Medikamente gibt, die dieses Protein blockieren können, so dass wir unsere Hypothese testen konnten“, erklärt Gergely Szakács, Hauptautor der Studie.
Trotz aller Durchbrüche gibt es rund um die Resistenzen bei Krebs noch viele offene Fragen. „Aber je besser wir alles verstehen, umso mehr steigt die Chance, dass wir Medikamente der Zukunft bauen können“, sagt Wolf