Krebsfrei heißt noch nicht gesund
Auch bei günstigem Ausgang haben viele Betroffene mit den Folgen der Krebserkrankung oder der Therapie zu kämpfen.
Therapie beendet, den Krebs überstanden! Auf die gute Nachricht folgt mitunter eine schlechte: Langzeit- und Spätfolgen sind möglich. 400.000 Menschen in Österreich leben derzeit mit einer Krebsdiagnose. Gemäß Prognosen von Statistik Austria wird in den kommenden Jahren diese Zahl noch deutlich zunehmen. Ein Grund sind neben Bevölkerungswachstum und demografischem Wandel die besseren Behandlungsmethoden. So mancher Krebs wird zur chronischen Krankheit, immer mehr Betroffene sind sogar ganz von Krebs befreit. Gesund sind sie deshalb noch nicht automatisch. Durch die wachsende Zahl der Langzeit-Überlebenden rückt das Thema Langzeitnebenwirkungen und Spätfolgen immer mehr in den Fokus.
Langzeit- und Spätfolgen
Während die meisten Nebenwirkungen nach Beendigung der Therapie wieder abklingen, können manche noch länger bestehen, man spricht von Langzeitfolgen. Andere mit dem Krebs oder dessen Behandlung assoziierten gesundheitlichen Probleme treten sogar erst nach Monaten oder Jahren auf (Spätfolgen). Auf der Plattform „Stärker gegen Krebs“zählt Michael Sandherr, Facharzt für Hämatologie und Onkologie, eine ganze Reihe von möglichen körperlichen Langzeit- und Spätfolgen auf: „Dazu gehören Haut- und Nagelveränderungen, Nebenwirkungen an den Zähnen, anhaltende Empfindlichkeit und Trockenheit von Schleimhäuten, Knochenmark-, Nieren- und Lungenfunktionsstörungen, Nervenschäden, die zu Taubheitsgefühlen, Kribbeln und Nervenschmerzen führen, Störungen des Stoffwechsels und der Schilddrüse oder Herzmuskelschwäche.“Zu den potenziellen Spätfolgen zählen weiter die Verschlechterung der Seh- oder der Hörkraft, das Fatigue-Syndrom (Erschöpfung), Osteoporose sowie nachhaltige Konzentrations- und Hirnleistungsstörungen. Patienten berichten zudem von verzögert auftretenden Auswirkungen auf Fruchtbarkeit und Sexualität oder einen vorzeitigen Eintritt in die Wechseljahre.
Zu den gefürchtetsten Spätfolgen zählt eine zweite Krebserkrankung. „Einige Zytostatika, die insbesondere im Rahmen der Chemotherapie eingesetzt werden, können die Entwicklung einer zweiten Krebserkrankung im späteren Verlauf begünstigen. Vor allem Menschen, die in jungen Jahren eine Krebstherapie hatten, sind davon betroffen“, so Sandherr.
Kinder besonders betroffen
Generell gilt bei an Krebs erkrankten Kindern, dass die Heilungschancen meist sehr gut stehen, die sogenannten Survivors aber besonders häufig mit Spätfolgen konfrontiert sind, die ihre Lebensqualität mitunter massiv beeinträchtigen. Eine Einrichtung, die sich speziell diesem Thema widmet, ist das Zentrum für onkologische Nachsorge für junge Erwachsene, Zone. 2021 wurde Zone von den Tirol-Kliniken und der Med-Uni Innsbruck auf Betreiben der Kinderkrebshilfe für vorläufig drei Jahre eingerichtet. Die vom Kinderonkologen Roman Crazzolara geleitete Sprechstunde ist am Comprehensive Cancer Center Innsbruck (CCCI) angesiedelt und richtet sich an Betroffene ab 18 Jahren, deren Krebstherapie mindestens fünf Jahre zurückliegt.
Die Nachsorgesprechstunde umfasst Besprechungen und bei Bedarf Untersuchungen sowie psychologische Unterstützung. Die Patienten erhalten alle Befunde der Vergangenheit, und sie werden gezielt nach Spätfolgen befragt. „Im Rahmen eines Stufenprogramms erstellen wir ein Risikoprofil. Betroffene mit einem niedrigen Risiko für Spätfolgen werden nach fünf Jahren wieder einbestellt, jene mit hohem Risiko jedes Jahr“, so Crazzolara. Erste Auswertungen haben ergeben, dass 92 Prozent der vorstelligen Patienten unter nennenswerten Spätfolgen leiden. Rund 20 Prozent von ihnen können der Gruppe mit dem höchsten Risiko zugeordnet werden können. Laut Crazzolara sei das Risiko maßgeblich von der Art der Erkrankung und Therapie sowie vom Zeitpunkt der Therapie abhängig.
Plan für Nachsorge
Aufklärung, Beratung und Information über mögliche Spätfolgen gelten im Zone als zentrale Bausteine für ein außerklinisches Self-Management der Nachsorge. Mit der Erstellung einer individuellen Nachsorgeempfehlung (Survivorship Care Plan) gemäß Guidelines der Children’s Oncology Group (COG) und PanCare wird ehemaligen Krebspatienten das Werkzeug mit auf den Weg gegeben, um Langzeitbelastungen zu vermeiden oder zumindest besser damit umgehen zu können. Das Zone-Angebot umfasst auch eine psychotherapeutische Begleitung sowie die Vernetzung mit anderen jungen Erwachsenen in ähnlicher Situation.
Vernetzung steht auch im Zentrum von Patientenorganisationen wie Survivors Austria oder dem multinationalen Netzwerk EU-Cayas-Net. „Die Krebserkrankung ist nicht vorbei, wenn die Behandlung abgeschlossen ist. Bestimmte Probleme begleiten einen ein ganzes Leben lang, ob nun körperlich oder psychisch. Betroffene brauchen eine öffentliche Stimme und Unterstützung durch Gleichgesinnte, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind und von den Erfahrungen anderer lernen können“, betont Survivors-Austria-Obfrau und EU-Cayas-Net-Ambassdor Hannah Gsell − und weist zugleich auf die Bedeutung von regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen hin: „Sinn und Zweck dieser Untersuchungen ist es, im Auge zu behalten, ob Spätfolgen oder Rückfälle auftreten, diese frühestmöglich zu erkennen und zu behandeln.“
Als Survivor müsse man bestens informiert sein und die Nachsorgeangebote nutzen. Eine aktive Teilnahme an Kurzzeit- und Langzeitnachsorge hilft laut Gsell vielen Überlebenden, die Kontrolle über ihren Alltag wiederzuerlangen beziehungsweise zu behalten.