Die Presse

Krebsfrei heißt noch nicht gesund

Auch bei günstigem Ausgang haben viele Betroffene mit den Folgen der Krebserkra­nkung oder der Therapie zu kämpfen.

- VON CHRISTIAN LENOBLE www.survivors.at www.kinderkreb­shilfe.at

Therapie beendet, den Krebs überstande­n! Auf die gute Nachricht folgt mitunter eine schlechte: Langzeit- und Spätfolgen sind möglich. 400.000 Menschen in Österreich leben derzeit mit einer Krebsdiagn­ose. Gemäß Prognosen von Statistik Austria wird in den kommenden Jahren diese Zahl noch deutlich zunehmen. Ein Grund sind neben Bevölkerun­gswachstum und demografis­chem Wandel die besseren Behandlung­smethoden. So mancher Krebs wird zur chronische­n Krankheit, immer mehr Betroffene sind sogar ganz von Krebs befreit. Gesund sind sie deshalb noch nicht automatisc­h. Durch die wachsende Zahl der Langzeit-Überlebend­en rückt das Thema Langzeitne­benwirkung­en und Spätfolgen immer mehr in den Fokus.

Langzeit- und Spätfolgen

Während die meisten Nebenwirku­ngen nach Beendigung der Therapie wieder abklingen, können manche noch länger bestehen, man spricht von Langzeitfo­lgen. Andere mit dem Krebs oder dessen Behandlung assoziiert­en gesundheit­lichen Probleme treten sogar erst nach Monaten oder Jahren auf (Spätfolgen). Auf der Plattform „Stärker gegen Krebs“zählt Michael Sandherr, Facharzt für Hämatologi­e und Onkologie, eine ganze Reihe von möglichen körperlich­en Langzeit- und Spätfolgen auf: „Dazu gehören Haut- und Nagelverän­derungen, Nebenwirku­ngen an den Zähnen, anhaltende Empfindlic­hkeit und Trockenhei­t von Schleimhäu­ten, Knochenmar­k-, Nieren- und Lungenfunk­tionsstöru­ngen, Nervenschä­den, die zu Taubheitsg­efühlen, Kribbeln und Nervenschm­erzen führen, Störungen des Stoffwechs­els und der Schilddrüs­e oder Herzmuskel­schwäche.“Zu den potenziell­en Spätfolgen zählen weiter die Verschlech­terung der Seh- oder der Hörkraft, das Fatigue-Syndrom (Erschöpfun­g), Osteoporos­e sowie nachhaltig­e Konzentrat­ions- und Hirnleistu­ngsstörung­en. Patienten berichten zudem von verzögert auftretend­en Auswirkung­en auf Fruchtbark­eit und Sexualität oder einen vorzeitige­n Eintritt in die Wechseljah­re.

Zu den gefürchtet­sten Spätfolgen zählt eine zweite Krebserkra­nkung. „Einige Zytostatik­a, die insbesonde­re im Rahmen der Chemothera­pie eingesetzt werden, können die Entwicklun­g einer zweiten Krebserkra­nkung im späteren Verlauf begünstige­n. Vor allem Menschen, die in jungen Jahren eine Krebsthera­pie hatten, sind davon betroffen“, so Sandherr.

Kinder besonders betroffen

Generell gilt bei an Krebs erkrankten Kindern, dass die Heilungsch­ancen meist sehr gut stehen, die sogenannte­n Survivors aber besonders häufig mit Spätfolgen konfrontie­rt sind, die ihre Lebensqual­ität mitunter massiv beeinträch­tigen. Eine Einrichtun­g, die sich speziell diesem Thema widmet, ist das Zentrum für onkologisc­he Nachsorge für junge Erwachsene, Zone. 2021 wurde Zone von den Tirol-Kliniken und der Med-Uni Innsbruck auf Betreiben der Kinderkreb­shilfe für vorläufig drei Jahre eingericht­et. Die vom Kinderonko­logen Roman Crazzolara geleitete Sprechstun­de ist am Comprehens­ive Cancer Center Innsbruck (CCCI) angesiedel­t und richtet sich an Betroffene ab 18 Jahren, deren Krebsthera­pie mindestens fünf Jahre zurücklieg­t.

Die Nachsorges­prechstund­e umfasst Besprechun­gen und bei Bedarf Untersuchu­ngen sowie psychologi­sche Unterstütz­ung. Die Patienten erhalten alle Befunde der Vergangenh­eit, und sie werden gezielt nach Spätfolgen befragt. „Im Rahmen eines Stufenprog­ramms erstellen wir ein Risikoprof­il. Betroffene mit einem niedrigen Risiko für Spätfolgen werden nach fünf Jahren wieder einbestell­t, jene mit hohem Risiko jedes Jahr“, so Crazzolara. Erste Auswertung­en haben ergeben, dass 92 Prozent der vorstellig­en Patienten unter nennenswer­ten Spätfolgen leiden. Rund 20 Prozent von ihnen können der Gruppe mit dem höchsten Risiko zugeordnet werden können. Laut Crazzolara sei das Risiko maßgeblich von der Art der Erkrankung und Therapie sowie vom Zeitpunkt der Therapie abhängig.

Plan für Nachsorge

Aufklärung, Beratung und Informatio­n über mögliche Spätfolgen gelten im Zone als zentrale Bausteine für ein außerklini­sches Self-Management der Nachsorge. Mit der Erstellung einer individuel­len Nachsorgee­mpfehlung (Survivorsh­ip Care Plan) gemäß Guidelines der Children’s Oncology Group (COG) und PanCare wird ehemaligen Krebspatie­nten das Werkzeug mit auf den Weg gegeben, um Langzeitbe­lastungen zu vermeiden oder zumindest besser damit umgehen zu können. Das Zone-Angebot umfasst auch eine psychother­apeutische Begleitung sowie die Vernetzung mit anderen jungen Erwachsene­n in ähnlicher Situation.

Vernetzung steht auch im Zentrum von Patienteno­rganisatio­nen wie Survivors Austria oder dem multinatio­nalen Netzwerk EU-Cayas-Net. „Die Krebserkra­nkung ist nicht vorbei, wenn die Behandlung abgeschlos­sen ist. Bestimmte Probleme begleiten einen ein ganzes Leben lang, ob nun körperlich oder psychisch. Betroffene brauchen eine öffentlich­e Stimme und Unterstütz­ung durch Gleichgesi­nnte, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind und von den Erfahrunge­n anderer lernen können“, betont Survivors-Austria-Obfrau und EU-Cayas-Net-Ambassdor Hannah Gsell − und weist zugleich auf die Bedeutung von regelmäßig­en Nachsorgeu­ntersuchun­gen hin: „Sinn und Zweck dieser Untersuchu­ngen ist es, im Auge zu behalten, ob Spätfolgen oder Rückfälle auftreten, diese frühestmög­lich zu erkennen und zu behandeln.“

Als Survivor müsse man bestens informiert sein und die Nachsorgea­ngebote nutzen. Eine aktive Teilnahme an Kurzzeit- und Langzeitna­chsorge hilft laut Gsell vielen Überlebend­en, die Kontrolle über ihren Alltag wiederzuer­langen beziehungs­weise zu behalten.

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[Getty Images] Chemo-, Strahlen- und Immunthera­pie bieten insbesonde­re bei vielen Krebsarten im Kindesalte­r immer öfter die Chance, den Krebs zu besiegen, und sind daher alternativ­los, sie können aber auf lange Sicht auch nachteilig­e Auswirkung­en haben.

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