Der gar nicht so kleine Unterschied
Männer haben häufiger Krebs und sterben häufiger daran. Schuld sind die Gene, Hormone, und nicht zuletzt der Lebesstil.
Jeder zweite Mann erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Krebserkrankung, bei den Frauen nur jede dritte. Auch die Mortalitätsrate ist bei Männern höher. Tumorerkrankungen kommen bei Männern also nicht nur häufiger vor, sondern verlaufen auch häufiger tödlich. Sabine Ludwig, Direktorin des Instituts für Diversität in der Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck, erklärt: „Von der Genetik her spielen die Chromosomenpaare XX bei der Frau und XY beim Mann beim geschlechterabhängigen Krebsrisiko eine wesentliche Rolle.“Auf jedem X-Chromosom sitzen Tumorsuppressorgene, deren Aufgabe es ist, die unkontrollierte Teilung genomisch geschädigter Zellen zu unterdrücken. „Dadurch können sie die Entstehung von Tumoren verhindern“, so Ludwig. „Fällt eines dieser Gene durch eine Mutation aus, reicht häufig das zweite XChromosom aus, um die Entstehung von Krebs zu verhindern. Männern hingegen fehlt diese Kopie, so dass sich die unkontrollierte Zellteilung fortsetzt.“
„Die Ursachen für Krebserkrankungen sind multifaktoriell“, sagt Maria Sibilia, Leiterin des Krebsforschungszentrums der Med-Uni Wien. Neben genetischen und immunologischen Faktoren sowie soziokulturellen Verhaltensnormen sei auch der jeweilige Hormonstatus von Bedeutung. „Bei Männern kann ein höherer Testosteronspiegel das Zellwachstum fördern“, erläutert Sibilia. „Andererseits stehen viele Brustkrebserkrankungen im Zusammenhang mit dem Östrogen.“Ein weiterer geschlechterabhängiger Aspekt seien die T-Zellen, die weißen Blutkörperchen, so Ludwig. „Sie aktivieren bei Frauen eine stärkere Immunantwort und schützen sie somit besser.“
Vorsicht vor Verzerrungen
Studienergebnisse zur Krebsanfälligkeit von Männern im Vergleich zu Frauen sind allerdings noch mit Vorsicht zu interpretieren, so Sibilia. „Eine Schwierigkeit dabei ist, dass sich bei klinischen Studien eine geschlechtsspezifische Verzerrung einschleichen kann, wenn etwa bei einer Studie mehr Männer als Frauen teilnehmen.“Zusätzlich ändert sich bei Frauen der Hormonhaushalt
viel stärker als bei Männern. Die hormonellen Schwankungen können dazu führen, dass die Ergebnisse nicht mehr untereinander vergleichbar sind. Wie sich daher ein neues Medikament im Körper verhält, lässt sich bei Männern einfacher untersuchen. „Um geschlechtsspezifische Ungleichheiten bei Krebserkrankungen und passende Therapien zu entwickeln, braucht es daher einen Ansatz mit vielen verschiedenen Facetten“, sagt Sibilia. Zwar wird das Geschlecht zunehmend als wichtiger Einflussfaktor auf Gesundheit, Krankheit und Medizin anerkannt, trotzdem war die Onkologie hier in den letzten Jahren weitgehend geschlechtsblind.
„In Anbetracht der zunehmenden Belege für einen Geschlechtsdimorphismus bei Krebs gründete die ESMO, die Europäische Gesellschaft für Medizinische Onkologie, eine Gender Medicine Task Force“, berichtet Ludwig. „Ihre Aufgabe ist es, das Bewusstsein für mögliche geschlechterspezifische Unterschiede in der Biologie und den Behandlungsergebnissen von nicht geschlechterspezifischen Krebserkrankungen zu schärfen.“Mittlerweile würden Frauen in Studien etwas häufiger berücksichtigt. „Hier haben teilweise auch die behördlichen Vorgaben Wirkung gezeigt.“Es gebe allerdings noch viel Luft nach oben, erläutert die Wissenschaftlerin. „Vor allem brauchen wir eine
stärkere Sensibilisierung bei der Erkennung von Krebsarten, die das andere Geschlecht seltener treffen – etwa Blasenkrebs bei Frauen oder Brustkrebs bei Männern.“
Unterschied im Lebensstil
Einig sind sich die beiden Expertinnen darin, dass sich das höhere Krebsrisiko bei Männern auch durch die unterschiedlichen Lebensstile der Geschlechter erklären lasse. Faktoren wie Rauchen, ungesunde Ernährung, Übergewicht, hoher Alkoholkonsum und Bewegungsmangel kommen bei Männern häufiger vor und die Inanspruchnahme von Präventionsangeboten, wie Darmkrebsscreening, ist geringer.