Der verfügbare Schatz im Bürokratiedschungel
Bundeskanzler Karl Nehammers Österreich-Plan kostet gut zehn Milliarden Euro. Der fast schon vergessene Österreich-Konvent enthält genaue Anleitungen, wie die gewaltige Summe ausgabenseitig zu heben wäre.
Seit der Wahlkampf-Auftaktrede von Bundeskanzler Karl Nehammer rätseln nicht wenige in diesem Land, wie der ÖVP-Chef all die schönen, aber teuren Versprechungen zu finanzieren gedenkt. Bis hin zum Chef des Fiskalrats, der sich neulich öffentlich Sorgen um die fehlende Gegenfinanzierung machte (siehe auch Videohinweis auf Seite 12).
Mit dem, was bisher an Gegenfinanzierungsplänen so durchgesickert ist, wird es jedenfalls nicht gehen. Kompensation durch höhere Steuereinnahmen wegen des durch Steuersenkungen angeregten Mehrkonsums in größerem Stil ist beispielsweise höchstens eine milde Form von Voodoo-Economics.
Also, was machen wir? Zuerst einmal gibt es Entwarnung: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein größerer Teil dieser Ankündigungen umgesetzt wird und damit zu erhöhtem Gegenfinanzierungsbedarf führt, ist ohnehin relativ gering. Erstens ist es noch lang nicht ausgemacht,
dass Nehammer überhaupt genug Stimmen einsammelt, um mit der Regierungsbildung betraut zu werden. Und zweitens wird er auf Koalitionspartner angewiesen sein, die eigene Vorstellungen von notwendigen Reformen haben, was erfahrungsgemäß dazu führt, dass dann gar nichts geschieht.
Wir werden also wohl nicht die zehn bis 13 Milliarden Euro aufbringen müssen, die bei Verwirklichung des „Österreich-Plans“in der Staatskasse fehlen werden. Aber wenn,
wäre es auch kein großes Problem – falls sich die Herrschaften, die dann am Ballhausplatz werkeln, dazu aufraffen können, die reichlich vorhandenen Effizienzpotenziale dieser in vier Jahrzehnten Reformstillstand fett und unbeweglich gewordenen Republik endlich zu heben. Der Beginn einer Legislaturperiode ist ja an sich der ideale Zeitpunkt, um auch unpopulärere, aber notwendige Maßnahmen umzusetzen.
Realistischerweise werden sie das nicht tun. Wozu sich anstrengen, wenn das Geld, wie in den vergangenen
Jahren, eh problemlos von der EZB kommt?
Aber nehmen wir einmal an, es geschieht ein
Wunder, Nehammer setzt zumindest die gescheiten, wirtschaftsstimulierenden Maßnahmen aus seinem Plan um und wir müssen, sagen wir, zehn
Milliarden irgendwie kompensieren. Wenn möglich nicht mit neuen Steuern, die das alles wieder konterkarieren.
Geht das? Wenn man will, ja. In den Grundzügen liegen die Pläne und Anleitungen für das, was zu machen wäre, ja seit fast 20 Jahren vor: 2005 ist der Österreich-Konvent zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu Ende gegangen. Der hat eine ganze Reihe von Effizienzpotenzialen, die mit einer Staatsreform zu heben wären, festgestellt. Selbstverständlich wurde das Ergebnis von zwei Jahren intensiver Expertenarbeit sofort schubladisiert und weggesperrt.
Dieser Konvent hat zum Beispiel beträchtliches Einsparpotenzial durch eine Neuordnung der komplizierten Beziehungen zwischen Bund und Ländern (des teuren und ineffizienten Gamsbartföderalismus) erkannt. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat dieses Potenzial einer Verwaltungsreform schon 2008 mit bis zu drei Milliarden Euro beziffert. Der Rechnungshof hat im selben Jahr das Effizienzpotenzial einer Bürokratiereform auf fünf Milliarden taxiert. Stellt man in Rechnung, dass die Bürokratie seither weitergewuchert ist, und rechnet man die Inflation mit ein, dann würde das ja schon mindestens drei Viertel der Kosten des Nehammer-Plans kompensieren. Und der Staat würde auch noch schlanker und agiler.
Selbstverständlich ist von den damaligen Empfehlungen bis auf ein paar Reförmchen im Bereich der Gerichtsbarkeit so gut wie nichts umgesetzt worden. Ja, eine sogenannte Krankenkassenreform hat es noch gegeben, an deren Ende es freilich immer noch 19 Versicherungsanstalten (AUVA, SVS, ÖGK, PVA und 15 „Krankenfürsorgeanstalten“der Länder und Gemeinden) gibt. Mit höheren Kosten als vor der Reform. Österreich halt. Und: Während das Finanzamt locker sämtliche Einkommensarten auf einer einzigen Steuererklärung unterbringt, existiert bei den Sozialversicherungen noch immer die völlig verrückte Mehrfachversicherung, bei der sich bis zu drei Bürokratien un
abhängig voneinander parallel um einen einzigen Versicherten kümmern.
Solche ungehobenen Potenziale gibt es in vielen Bereichen, von der Gesundheit über die Bildung bis hin zu den Pensionen, die zwecks Nachhaltigkeit ja auch einer Reform bedürfen. Ein ganz spezieller Brocken sei aber hervorgehoben: das Förderwesen. Nach dem letztverfügbaren Förderbericht hat der Bund 2022 rund 13,4 Mrd. Euro an direkten Förderungen ausgeschüttet. Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit: Der Gesamtstaat (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen) hat in diesem Jahr insgesamt 33,4 Mrd. Euro an „Transaktionen mit Förderungscharakter“unters Volk und die Unternehmen gebracht. Dazu kommen noch 24,4 Mrd. Euro an indirekten Förderungen, also Steuererleichterungen mit Förderungscharakter.
Hier sind natürlich auch Sondereffekte wie die auslaufenden Covid-Förderungen und das damals angelaufene Inflation-Helikoptergeld enthalten, aber auch in normalen Jahren ist die erste Ziffer des zweistelligen Milliardenbetrags zumindest ein Dreier.
Viele dieser Förderungen sind sinnvoll, viele sehr sinnvoll, viele aber auch überholt oder bloßer Stimmenkauf. Doch niemand will wissen, was davon verzichtbar wäre. Es wird nicht evaluiert, weil man den Leuten einmal gewährte Goodies ja nicht mehr wegnehmen kann. Und so wächst die Summe weiter und weiter.
Bei einer Durchforstung der indirekten Förderungen lässt sich mit hoher Sicherheit die eine oder andere Milliarde finden, bei den „Transaktionen mit Förderungscharakter“ist die Rechnung sogar recht einfach: Österreich gibt dafür 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, im EU-Schnitt sind es, zum Vergleich, 6,7 Prozent. Würde man das Förderniveau auf den EU-Schnitt zurückfahren, würden 4,1 Mrd. Euro frei, ohne dass es da zu einem sozialen Kahlschlag kommen müsste.
Wenn wir jetzt zu addieren beginnen, dann sehen wir, dass mit nur zwei der vielen ausstehenden und längst überfälligen Reformen – Verwaltung und Förderwesen – die Kosten des Nehammer-Plans herinnen wären. Und zwar ohne neue Steuern oder Schulden, rein auf der Ausgabenseite. Und als Draufgabe hätte man einen effizienteren Staat.
Es geht also, man muss nur wollen. Dazu würde es freilich politischen Mut, Gestaltungswillen und – wegen der notwendigen Koalitionen – Verantwortungsbewusstsein über Parteigrenzen hinweg im Sinne des Gesamtwohls brauchen. Aber das ist wohl ein bisschen zu viel verlangt.