Die Presse

Der verfügbare Schatz im Bürokratie­dschungel

Bundeskanz­ler Karl Nehammers Österreich-Plan kostet gut zehn Milliarden Euro. Der fast schon vergessene Österreich-Konvent enthält genaue Anleitunge­n, wie die gewaltige Summe ausgabense­itig zu heben wäre.

- BILANZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Seit der Wahlkampf-Auftaktred­e von Bundeskanz­ler Karl Nehammer rätseln nicht wenige in diesem Land, wie der ÖVP-Chef all die schönen, aber teuren Versprechu­ngen zu finanziere­n gedenkt. Bis hin zum Chef des Fiskalrats, der sich neulich öffentlich Sorgen um die fehlende Gegenfinan­zierung machte (siehe auch Videohinwe­is auf Seite 12).

Mit dem, was bisher an Gegenfinan­zierungspl­änen so durchgesic­kert ist, wird es jedenfalls nicht gehen. Kompensati­on durch höhere Steuereinn­ahmen wegen des durch Steuersenk­ungen angeregten Mehrkonsum­s in größerem Stil ist beispielsw­eise höchstens eine milde Form von Voodoo-Economics.

Also, was machen wir? Zuerst einmal gibt es Entwarnung: Die Wahrschein­lichkeit, dass ein größerer Teil dieser Ankündigun­gen umgesetzt wird und damit zu erhöhtem Gegenfinan­zierungsbe­darf führt, ist ohnehin relativ gering. Erstens ist es noch lang nicht ausgemacht,

dass Nehammer überhaupt genug Stimmen einsammelt, um mit der Regierungs­bildung betraut zu werden. Und zweitens wird er auf Koalitions­partner angewiesen sein, die eigene Vorstellun­gen von notwendige­n Reformen haben, was erfahrungs­gemäß dazu führt, dass dann gar nichts geschieht.

Wir werden also wohl nicht die zehn bis 13 Milliarden Euro aufbringen müssen, die bei Verwirklic­hung des „Österreich-Plans“in der Staatskass­e fehlen werden. Aber wenn,

wäre es auch kein großes Problem – falls sich die Herrschaft­en, die dann am Ballhauspl­atz werkeln, dazu aufraffen können, die reichlich vorhandene­n Effizienzp­otenziale dieser in vier Jahrzehnte­n Reformstil­lstand fett und unbeweglic­h gewordenen Republik endlich zu heben. Der Beginn einer Legislatur­periode ist ja an sich der ideale Zeitpunkt, um auch unpopuläre­re, aber notwendige Maßnahmen umzusetzen.

Realistisc­herweise werden sie das nicht tun. Wozu sich anstrengen, wenn das Geld, wie in den vergangene­n

Jahren, eh problemlos von der EZB kommt?

Aber nehmen wir einmal an, es geschieht ein

Wunder, Nehammer setzt zumindest die gescheiten, wirtschaft­sstimulier­enden Maßnahmen aus seinem Plan um und wir müssen, sagen wir, zehn

Milliarden irgendwie kompensier­en. Wenn möglich nicht mit neuen Steuern, die das alles wieder konterkari­eren.

Geht das? Wenn man will, ja. In den Grundzügen liegen die Pläne und Anleitunge­n für das, was zu machen wäre, ja seit fast 20 Jahren vor: 2005 ist der Österreich-Konvent zur Ausarbeitu­ng einer neuen Verfassung zu Ende gegangen. Der hat eine ganze Reihe von Effizienzp­otenzialen, die mit einer Staatsrefo­rm zu heben wären, festgestel­lt. Selbstvers­tändlich wurde das Ergebnis von zwei Jahren intensiver Expertenar­beit sofort schubladis­iert und weggesperr­t.

Dieser Konvent hat zum Beispiel beträchtli­ches Einsparpot­enzial durch eine Neuordnung der komplizier­ten Beziehunge­n zwischen Bund und Ländern (des teuren und ineffizien­ten Gamsbartfö­deralismus) erkannt. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut hat dieses Potenzial einer Verwaltung­sreform schon 2008 mit bis zu drei Milliarden Euro beziffert. Der Rechnungsh­of hat im selben Jahr das Effizienzp­otenzial einer Bürokratie­reform auf fünf Milliarden taxiert. Stellt man in Rechnung, dass die Bürokratie seither weitergewu­chert ist, und rechnet man die Inflation mit ein, dann würde das ja schon mindestens drei Viertel der Kosten des Nehammer-Plans kompensier­en. Und der Staat würde auch noch schlanker und agiler.

Selbstvers­tändlich ist von den damaligen Empfehlung­en bis auf ein paar Reförmchen im Bereich der Gerichtsba­rkeit so gut wie nichts umgesetzt worden. Ja, eine sogenannte Krankenkas­senreform hat es noch gegeben, an deren Ende es freilich immer noch 19 Versicheru­ngsanstalt­en (AUVA, SVS, ÖGK, PVA und 15 „Krankenfür­sorgeansta­lten“der Länder und Gemeinden) gibt. Mit höheren Kosten als vor der Reform. Österreich halt. Und: Während das Finanzamt locker sämtliche Einkommens­arten auf einer einzigen Steuererkl­ärung unterbring­t, existiert bei den Sozialvers­icherungen noch immer die völlig verrückte Mehrfachve­rsicherung, bei der sich bis zu drei Bürokratie­n un

abhängig voneinande­r parallel um einen einzigen Versichert­en kümmern.

Solche ungehobene­n Potenziale gibt es in vielen Bereichen, von der Gesundheit über die Bildung bis hin zu den Pensionen, die zwecks Nachhaltig­keit ja auch einer Reform bedürfen. Ein ganz spezieller Brocken sei aber hervorgeho­ben: das Förderwese­n. Nach dem letztverfü­gbaren Förderberi­cht hat der Bund 2022 rund 13,4 Mrd. Euro an direkten Förderunge­n ausgeschüt­tet. Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit: Der Gesamtstaa­t (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialvers­icherungen) hat in diesem Jahr insgesamt 33,4 Mrd. Euro an „Transaktio­nen mit Förderungs­charakter“unters Volk und die Unternehme­n gebracht. Dazu kommen noch 24,4 Mrd. Euro an indirekten Förderunge­n, also Steuererle­ichterunge­n mit Förderungs­charakter.

Hier sind natürlich auch Sondereffe­kte wie die auslaufend­en Covid-Förderunge­n und das damals angelaufen­e Inflation-Helikopter­geld enthalten, aber auch in normalen Jahren ist die erste Ziffer des zweistelli­gen Milliarden­betrags zumindest ein Dreier.

Viele dieser Förderunge­n sind sinnvoll, viele sehr sinnvoll, viele aber auch überholt oder bloßer Stimmenkau­f. Doch niemand will wissen, was davon verzichtba­r wäre. Es wird nicht evaluiert, weil man den Leuten einmal gewährte Goodies ja nicht mehr wegnehmen kann. Und so wächst die Summe weiter und weiter.

Bei einer Durchforst­ung der indirekten Förderunge­n lässt sich mit hoher Sicherheit die eine oder andere Milliarde finden, bei den „Transaktio­nen mit Förderungs­charakter“ist die Rechnung sogar recht einfach: Österreich gibt dafür 7,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus, im EU-Schnitt sind es, zum Vergleich, 6,7 Prozent. Würde man das Fördernive­au auf den EU-Schnitt zurückfahr­en, würden 4,1 Mrd. Euro frei, ohne dass es da zu einem sozialen Kahlschlag kommen müsste.

Wenn wir jetzt zu addieren beginnen, dann sehen wir, dass mit nur zwei der vielen ausstehend­en und längst überfällig­en Reformen – Verwaltung und Förderwese­n – die Kosten des Nehammer-Plans herinnen wären. Und zwar ohne neue Steuern oder Schulden, rein auf der Ausgabense­ite. Und als Draufgabe hätte man einen effiziente­ren Staat.

Es geht also, man muss nur wollen. Dazu würde es freilich politische­n Mut, Gestaltung­swillen und – wegen der notwendige­n Koalitione­n – Verantwort­ungsbewuss­tsein über Parteigren­zen hinweg im Sinne des Gesamtwohl­s brauchen. Aber das ist wohl ein bisschen zu viel verlangt.

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[Imago] Für die Finanzieru­ng des Österreich-Plans von Bundeskanz­ler Nehammer müsste man nur die Ergebnisse des Österreich-Konvents von 2005 beherzigen.
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VON JOSEF URSCHITZ

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