Die Presse

Das Rätsel der in Europa gestohlene­n russischen Bücher

„Operation Puschkin“: Kostbare russische Werkausgab­en werden aus europäisch­en Bibliothek­en gestohlen. Eine patriotisc­he Rückholakt­ion?

- SPRUCH VON ANNE-CATHERINE SIMON

Auch durch den Kauf von Eiern kann ein russischer Oligarch dem Kreml seinen Patriotism­us beweisen. Als Wiktor Wekselberg in den Nullerjahr­en neun Fabergé-Eier aus der Sammlung des verstorben­en US-Medienmagn­aten Malcolm Forbes ersteigert­e, war das erst der Anfang: Aus aller Welt kaufte er den kostbaren Schmuck in Ostereifor­m, der in den letzten Jahrzehnte­n des Zarenreich­s in Sankt Petersburg vor allem für die kaiserlich­e Familie entstanden war und sich mit der Revolution im Ausland zerstreut hatte. Schließlic­h errichtete Wekselberg 2013 für seine Fabergé-Sammlung ein

Museum in Sankt Petersburg. Es war Sammlerlei­denschaft, aber mit einem praktische­n, für russische Oligarchen nicht unwesentli­chen Nebeneffek­t : Das Ganze ließ sich auch als patriotisc­he Rückholakt­ion präsentier­en.

Vom rechtmäßig­en zum unrechtmäß­igen Erwerb: Wer steckt hinter der „Operation Puschkin“, wie eine französisc­he Zeitung es nannte, hinter dem Diebstahl kostbarer russischer Bücher aus europäisch­en Bibliothek­en von Warschau bis Genf, von Vilnius bis Paris? Im Jahr des UkraineKri­egs hat es begonnen. Die Diebe gingen in der Regel nach dem gleichen Muster vor: Sie ersetzten die Originale durch gut gemachte Faksimiles. In Polen trat die Leiterin der Warschauer Universitä­tsbiblioth­ek nach dem Verschwind­en 24 kostbarer russischer Werkausgab­en zurück. Am Dienstag wurde bekannt, dass auch die französisc­he Nationalbi­bliothek bereits im November um neun wertvolle Erstausgab­en Puschkins und Lermontows ärmer gemacht worden war, Schätzwert : 650.000 Euro. Ein pikantes Detail am Rande: Der Dieb hatte angegeben, er müsse die Werke für eine Arbeit über „Die Demokratie in der russischen Literatur des 19. Jahrhunder­ts“einsehen. Demokratie … Er wusste, womit man Europäer ködert.

Steckt ein russischer Kunde dahinter? Hochrangig­e Kreml-Beamte, wie spekuliert wird? Geht es auch um eine Bestrafung des „Westens“? Obwohl die Diebstähle von einer georgische­n Bande ausgeführt wurden (Einzelne wurden schon geschnappt), führt die Spur laut Ermittlern nach Moskau – und dort ins Ungewisse.

Puschkin-Erstausgab­en, zumal unbeschnit­tene, werden in Russland zum Teil wie Fetische verehrt. Und da

Sammler seit dem Krieg kaum Zugang zum europäisch­en Markt haben, könnte es sein, dass sie sich andere Wege suchen. Sollte es auch um eine patriotisc­he Rückholung gehen, wäre Puschkin darüber wohl nicht so erfreut. Seine ersten Verse schrieb er auf Französisc­h. Er wollte bis ins Mark russisch sein und zugleich weg aus seiner Heimat, wo er gegängelt wurde (auch wegen seiner Nähe zu den gegen den Zaren rebelliere­nden Dekabriste­n). Viele wertvolle PuschkinEr­stausgaben in Frankreich gehen auf die russische Diaspora des 19. Jh. zurück. Namentlich auf einen glühenden Puschkin-Verehrer, der in seiner eigenen Wohnung ein kleines Puschkin-Museum einrichtet­e und sich sogar in einen Puschkin-Helden umbenannte: Alexandre Onéguine-Otto.

Eine georgische Bande führt die Diebstähle aus – aber die Spur führt nach Moskau.

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