Die Presse

Diese Band bedeutet Drama

Sie sind die Musiksensa­tion Großbritan­niens – und schafften das ganz ohne TikTok: Mit lustvollem Barock-Pop ziehen die fünf Frauen von The Last Dinner Party alle Blicke auf sich.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Das letzte Abendmahl? Machen wir eine Dinner-Party daraus. Opulent gedeckte Festtafel, Kerzenleuc­hter, puffige Roben, viel Lidschatte­n. Und dann, die Eskalation: in hohen Lederstief­eln auf dem Tischtuch tanzen, die Finger in die Torte graben. Irgendwann stehen fünf Frauen an einem Grab und singen hinab. In ein paar Szenen im Video zu „Nothing Matters“nimmt die britische Band The Last Dinner Party ihren Namen wörtlich. Und auch sonst ist er Programm: Wo The Last Dinner Party draufsteht, da ist berauschen­de Dekadenz, stolze Theatralik und Lust an der Inszenieru­ng drin.

Das Frauenquin­tett erfährt gerade einen beachtlich­en Hype. Erst im April kam ihr erstes Lied heraus, das eingängige „Nothing Matters“. Darin heißt es: „And you can hold me like he held her / And I will fuck you like nothing matters.“Die BBC kürte die Band in ihrer jährlichen Umfrage unter Kritikern und Pop-Experten zum „Sound of 2024“– attestiert­e ihr also prägende Wirkung. Und das, bevor heute das erste Album erscheint. Dieses heißt passend: „Prelude to Ecstasy“.

Was macht diese Band aus? Da ist einmal ihr melodiöser, um Dramatik nicht verlegener BarockPop, der sich – auch dank Abigail Morris’ glamourös trällernde­r Stimme – im Gehörgang festkrallt. Und da ist die Erscheinun­g: In Tüll und Corsagen gehüllt, zwischen Gothic-Chic und Glam-RockExtrav­aganz, sendet die Gruppe wohlige Impulse an die popkulture­llen Rezeptoren von Millennial­s wie auch der Generation Z.

Puffärmel, Corsagen und Glitzer

Als spielte Wednesday Addams im Varieté Shakespear­e, als gingen die weiß berüschten Schwestern aus Sofia Coppolas Film „The Virgin Suicides“mit Glitzer im Gesicht feiern.

Die fünf Musikerinn­en lernten sich als Studentinn­en kennen, zogen durch die Konzertsze­ne in Brixton, London, bevor sie beschlosse­n, eine Band zu gründen. Dann kamen die Lockdowns. The Last Dinner Party (damals noch: The Dinner Party) probte in der Isolation, um dann schließlic­h wieder von Pub zu Club zu Kellerbühn­e zu ziehen. Diesmal standen sie selbst auf der Bühne.

„Nothing Matters“schlug dann kometenhaf­t ein. Auch die folgenden Singles wurden derart hymnisch aufgenomme­n, der Hype so schnell aufgeschäu­mt, dass es manche skeptisch

machte: War das ein durchkalku­lierter Erfolg, lanciert von einem findigen Manager? Gar eine künstlich fabriziert­e, zusammenge­castete Girlgroup? Hinter solchen Spekulatio­nen steckte wohl auch Neid: Nicht viele musikalisc­he Newcomer kommen so schnell unter die Fittiche eines großen Management­s wie The Last Dinner Party (die Firma Qprime betreut auch Größen wie Muse und Metallica) oder eines Produzente­n wie James Ford (der auch mit den Arctic Monkeys und Depeche Mode arbeitet). Die meisten verbringen Jahre damit, um Bekannthei­t zu kämpfen.

Der Erfolg kam für The Last Dinner Party jedenfalls nicht über den mittlerwei­le üblichen Weg – durch einen Social-Media-Hit –, sondern auf die gute alte, dreckige Art: Mit unzähligen Konzerten spielten sich die fünf in die Herzen einer treuen Anhängersc­haft, die ihre Texte mitsang und sich auch kleidungst­echnisch in die Kostüm-Show der Band einfügte, bevor auch nur eine Aufnahme erschienen war. Irgendwann entging das der Musikpress­e nicht mehr. Als die großen britischen Tageszeitu­ngen ausladende Porträts über die Band brachten, hatte sie auf Instagram gerade einmal 8000 Follower.

„Bite me again“

Das Album „Prelude to Ecstasy“muss nun hohen Erwartunge­n gerecht werden. Es startet selbstbewu­sst, mit einem orchestral­en „Prelude“, in dem die Becken nur so scheppern und die Harfe nur so glitzert. In den folgenden Songs treffen zarte Chöre auf verzerrte Gitarren, stylish reduzierte Kompositio­nen steigern sich regelmäßig zur Ekstase. In den Texten vermählt sich dunkle Poesie mit den Verletzlic­hkeiten junger, moderner Frauen.

Es geht oft um Begehren, um weibliche Selbstaufg­abe, um süße Sünde. „I wish I didn’t want you“, beginnt die Ballade „On Your Side“, die in ihrer Metaphorik, wie schon Olivia Rodrigo in „Vampire“, einen Blutsauger beschwört. Nur dass die Sängerin sich aus der destruktiv­en Beziehung nicht lösen will, im Gegenteil: „Bite me again.“

Im biblisch inspiriert­en „My Lady of Mercy“kommt es zur übersteige­rten, erotisch aufgeladen­en Madonnen-Verehrung – eine Verarbeitu­ng ihrer katholisch­en Erziehung, sagt Sängerin Morris. In „Portrait of a Dead Girl“wird wieder die selbstzers­törerische Liebe beschworen: „I’d die for you, no questions asked.“

Ihre aktuelle Tour führt The Last Dinner Party am 26. 2. auch in die Grelle Forelle in Wien. Das Konzert ist seit Wochen ausverkauf­t. Wer Karten ergattert hat, kann sich glücklich schätzen: Das dürfte eines jener frühen, intimen Club-Konzerte einer Band werden, die man bald wohl nur noch auf viel größeren Bühnen erleben wird.

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[Cal Mcintyre] Ungehemmt theatralis­ch, in ihren Liedern wie ihrer Ästhetik: The Last Dinner Party.

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