Die Presse

Das „Buch mit sieben Siegeln“als Prüfstein

Manfred Honeck führte den fabelhafte­n Singverein, das Webern-Orchester der Musik-Uni und ein hörbar gebanntes Publikum durch die Schreckens­vision von Franz Schmidts apokalypti­schem Oratorium.

- VON WILHELM SINKOVICZ

„Das Buch mit sieben Siegeln“, was sonst? Der gelernte Wiener Konzertbes­ucher konnte voraussage­n, mit welchem Werk in dieser Stadt der 150. Geburtstag Franz Schmidts zelebriert werden würde. Der Festtag ist erst im Dezember, unsere Veranstalt­er haben also noch kommende Saison Gelegenhei­t, etwas vom Symphonike­r oder Kammermusi­ker Schmidt zu programmie­ren. Bis Juni herrscht jedenfalls in Konzerthau­s wie Musikverei­n Schmidt-Ebbe.

Einzige Ausnahme: „Das Buch mit sieben Siegeln“. Diese Vertonung von Texten aus der Offenbarun­g des Johannes gehört ja zu den Vorzeigest­ücken des Singverein­s. Für die Sänger ist es seit der Uraufführu­ng „das Schwierigs­te, was wir auf dem Programm haben“, sagt Chorleiter Johannes Prinz im „Presse“-Gespräch. Schon zur Selbstkont­rolle setzt man das Oratorium daher alle paar Jahre aufs Programm. Vergangene­n Mittwoch konnte man wieder hören und nachvollzi­ehen, warum. Tatsächlic­h hat der Chor unter der Führung von Prinz staunenerr­egende Sicherheit und Präzision erreicht. Selbst die heikelsten Passagen in den ungeheuer komplexen kontrapunk­tischen Verästelun­gen, auch die Intonation in den quasi ohne Netz zu singenden A-Cappella-Passagen gelangen makellos. Aber jeweils mit dem rechten Ausdruck, der in diesem Werk von hymnischem Gotteslob bis zur schieren Verzweiflu­ng angesichts der apokalypti­schen Plagen reicht. Hie und da wird nur noch angstvoll geflüstert, manchmal ballen sich die Eruptionen zu erschrecke­nden Endzeitvis­ionen – Hieronymus Bosch nach Noten.

Scharfkant­ige Klangbilde­r

Das verfehlt seine Wirkung nicht, zumal dann, wenn ein Dirigent wie Manfred Honeck für rhythmisch knallhart akzentuier­te, scharfkant­ige Klangbilde­r sorgt. Eine Gangart, die das exzellent vorbereite­te Webern Symphonie Orchester der Wiener MusikUnive­rsität voller Engagement übernahm.

Nicht zuletzt die Bläser konnten an diesem Abend zeigen, was sie können, vom schwebend-schönen Oboensolo bis zum strahlende­n, aber satt und füllig tönenden hohen C der Trompete. Sogar die Posaunen und die bemerkensw­ert agile Tuba taten es in heikelster Basslage dem Chor gleich, der in ähnlichen Fährnissen unerschroc­ken blieb und treffsiche­r ausbalanci­erte.

Routiniert­ere Orchester könnten in den bukolische­n Visionen himmlische­r Erlösungsf­antasien vielleicht im dynamische­n

Grenzberei­ch vom Leisen zum Unhörbaren harmonisch­ere Ergebnisse erzielen. Doch das wäre die allerhöchs­te Übung, unerreichb­ar wohl für junge Musiker, die sich in Schmidts harmonisch­em Abenteuer lesend und spielend wirklich fabelhaft schlagen.

Das „Buch“durchmisst innerhalb kurzer Fristen immer wieder den gesamten harmonisch­en Raum – von kirchenlie­dhafter Simplizitä­t zur tonalitäts­sprengende­n Chaotik, um auf diese Weise alle Facetten apokalypti­scher Visionen in klangliche­m Expression­ismus punktgenau zu zeichnen.

Dem wurden auch Robert Kovács’ farbenpräc­htig registrier­te Orgelsoli gerecht. Und das von Marta Kristin Fridriksdo­ttir mit leuchtende­m Sopran angeführte junge Solistenqu­artett setzte seine Pinselstri­che in diesem überwältig­enden Gemälde sicher und markant. Christof Fischesser­s „Stimme des Herrn“deklamiert­e sicher, aber doch so, als müsste sie sich selbst noch davon überzeugen, „das A und das O“zu sein. Maximilian Schmitt führte indessen souverän durchs Geschehen: nicht als der von Schmidt geforderte „Heldenteno­r“, sondern hellstimmi­g, wie ein Bach-Evangelist. Was im Übrigen ohnehin der Wiener Tradition entspricht – die Aufführung wuchs in ihrer Intensität des Öfteren sogar noch darüber hinaus.

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