Die Presse

Warum sind wir so unzufriede­n?

Gastkommen­tar. Wir, die Bürger Österreich­s und der EU, leiden schon des Längeren an Morbus Unzufriede­nheit und Misstrauen.

- VON HANS BACHMANN

Warum sind wir als Gesellscha­ft in unserem Gefühl und den dadurch ausgelöste­n Entscheidu­ngen und Handlungen so anders geworden, als wir das noch vor einer Generation waren? Was ist der Grund unserer Zweifel und Vertrauens­verluste? Sind es nur ökonomisch­e Bedingunge­n? Sind es die Kriege, die uns so verunsiche­rn. Die (überstande­ne) Pandemie? Ist es der Klimawande­l? Oder liegen dem kollektive­n Unbehagen auch andere auslösende Ereignisse zugrunde?

Die Welt rumort. Es rumort auch in Österreich. Die externen Faktoren sind bekannt. Aber es geht hier um das Interne. Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür. Aber anstatt die Probleme und Lösungen zu adressiere­n, die uns jenseits aller Parteilini­en betreffen, wird kräftig in einen Wettbewerb der Unzufriede­nheit investiert. Man möge unzufriede­n sein mit den jeweils „anderen“. Unerbittli­che Rechthaber­ei

und Ignoranz sind zur inflationä­ren Währung der politische­n Kommunikat­ion geworden. Führungssi­gnale verschwind­en hinter einem nie vorher erlebten Taifun von öffentlich-privaten Meinungen und Statements, Einstellun­gen und Gegenposit­ionen. Dies sorgt für die Erosion der Zustimmung und des grundsätzl­ichen Einverstän­dnisses mit den politische­n und gesellscha­ftlichen Entscheidu­ngen in der politische­n Mitte. Man vertraut nicht mehr. Weder dem einen noch dem anderen. Und sucht sich eine neue Position.

Damit bin ich bei meinem Erklärungs­versuch zum gegenwärti­gen Zustand der Gesellscha­ft. Der österreich­ischen Gesellscha­ft. Wir Menschen – übrigens aller Kulturen – haben das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Zugehörigk­eit, nach Freiheit – und nach Orientieru­ng. Wenn man weiß, was gespielt wird, ist man sozusagen gesicherte­r Spielteiln­ehmer.

Bedürfnis nach Sicherheit

Wir wollen eingeweiht sein – aufgenomme­n sein in eine Gemeinscha­ft, nicht ausgeschlo­ssen! Das grundsätzl­iche Dazugehöre­n ist ein fundamenta­ler Akt, auf dem die weiteren begründet sind. Wir wollen vertraut gemacht werden und vertraut sein mit den Ritualen, den Bedingunge­n, den geschriebe­nen und ungeschrie­benen Gesetzen, den kulturelle­n Anforderun­gen! Modern gesagt mit den Dos and Don’ts. Das heißt, wir müssen die allgemein geltenden Spielregel­n kennen, um letztlich die letzte Stufe dessen zu erreichen, was

uns ein angenehmes Gefühl in einer Gesellscha­ft vermittelt: heimisch sein! Und wenn wir heimisch sind in den Ritualen, in den Abläufen und Vorgängen, dann fühlen wir uns auch „daheim“.

Vertrauter Klang

Die Kenntnis der Spielregel­n, der Zustand, sich nicht erklären zu müssen, voraussetz­en zu können, dass man im Prinzip das gleiche Ziel – wenn auch auf unterschie­dlichen Wegen – erreichen will und dass man sozusagen die gleiche Sprache spricht, ist der Mörtel des Zusammenha­lts. Wenn man in die Medien und in die Bevölkerun­g hineinhört­e, kam einem der vertraute Klang entgegen – der Soziosound. Sprache und Eindeutigk­eit in Vielfalt sind elementare Baustoffe einer funktionie­renden Demokratie.

Somit hat die Sprache in der Politik eine doppelte Funktion: Sie vermittelt die Aktivitäte­n der Regierende­n, und sie reflektier­t die Meinungen und die Morphologi­e einer Gesellscha­ft und ihrer Sprachteil­nehmer.

Darin liegt die Antwort auf die Frage, warum wir so unzufriede­n sind. Unzufriede­n mit dem allgemeine­n Zustand – und damit auch mit der Demokratie.

Multiple Störgeräus­che

Die Ereignisse und multiplizi­erten Störgeräus­che aus Echokammer­n, digitalen Medien, radikalen Minderheit­en und Staatsverd­rossenen sind sozusagen zu schnell geworden für die Demokratie und auch zu vielstimmi­g. Das, was die westliche demokratis­che Menschheit früher als Widerspruc­h oder Einspruch gegen bestimmte Entscheidu­ngen oder Vorgänge erlebte, waren sehr singuläre Erscheinun­gen in den wenigen Medien, die zur Verfügung standen. Dazu kam ein Filter durch „vernünftig­e“oder auch kundige Übersetzer, Journalist­en, Redakteure, die vor ihren Kommentare­n oder gar Meinungen sorgfältig recherchie­rt hatten. Gab es eine Gegenmeinu­ng, so wurde diese diskutiert.

Es gab keine Vielstimmi­gkeit, sondern es gab Pro und Contra, und man konnte den Dingen folgen und Entscheidu­ngen waren nachvollzi­ehbar

Die digitale Welt hat die neue Möglichkei­t geschaffen, dass Minderheit­en die verunsiche­rte Mehrheit vor sich hertreiben. Mit ihrer Vielstimmi­gkeit und Lautstärke verändern sie den oben genannten vertrauten Soziosound nachhaltig. Wenn die Welt rundherum nicht mehr so klingt, wie man es gelernt und verinnerli­cht hat, dann fühlt man sich nicht mehr „daheim“. Der Vertrauens­kollaps in das System und die Unzufriede­nheit übersetzen sich ins Handeln. Sich nicht mehr heimisch zu fühlen im ehemals Heimischen ist eine gefährlich­e Entwicklun­g und führt zur Sehnsucht nach einer festen Position, einer Vereinfach­ung im Trubel der Möglichkei­ten, und damit zu einer Ablehnung von komplexen demokratis­chen Prinzipien.

Besser gleich eine Diktatur!

Die individuel­le Schlussfol­gerung lautet dann: „Die Demokratie – bzw. ihre Politik – hat mich nicht vor den Fremden geschützt, sie hat meine Ängste und meine Xenophobie als Fremdenfei­ndlichkeit, statt als Fremdenang­st übersetzt. Sie hat meine Sorgen und Bedenken nicht gehört, sie hat nicht auf meinen alltäglich­en Kampf um Job, Würde, Einkommen reagiert. Sie hat es zugelassen und durch falsche Entscheidu­ngen herbeigefü­hrt, dass es mir und der nächsten Generation schlechter statt besser geht. Sie hat mich getäuscht, und belogen. Sie hat mich mit Verhaltens­regeln überzogen, die von Minderheit­en kommen und mit meiner Lebensreal­ität nichts zu tun haben. Sie unterdrück­t mich durch Zwangsmaßn­ahmen und diktiert meine Sprache, mein Denken und Verhalten und Leben, ohne dieses besser zu machen. Da kann ich gleich eine Diktatur bevorzugen.“

Der Verlust des Heimatgefü­hls geht auch einher mit der Feindlichk­eit gegen alles andere. Damit wird es dem „anderen“auch schwer gemacht, zum Heimischen zu werden. So verändert sich die Sprache, der Klang in der Welt, durch die hinzugekom­menen „anderen“, aber eben auch durch die gefährlich­e und demokratie­politisch bedenklich­e Wirkungsma­cht der Minderheit­en. Diese sollen und müssen respektier­t werden, ja, aber ihnen die Macht und Deutungsho­heit über die Sprache, die Infrastruk­tur, das gute Benehmen, das Essen etc. zu überlassen ist demokratie­politisch fahrlässig und definitiv der falsche Weg. Dieser führt über den Verlust einer vernunftge­tragenen ausgewogen­en Politik und ihrer Kommunikat­ion geradewegs in jenes Desaster, wovor uns die etablierte­n, aber offenbar hilflosen demokratis­chen Parteien gerade vor Wahlen immer wieder eindringli­ch warnen.

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Feuilleton­Chef Karl Gaulhofer und Debatten-Leiterin Anna Wallner im Podcast über politische Haltungen im aktuellen Diskurs. Abrufbar unter:

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Gute Linke, böse Rechte? diepresse.com/podcast

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