Die Presse

Eine vertane Chance

Wie Geschichts­aufarbeitu­ng besser nicht funktionie­rt, führte unlängst ein Gedenkvere­in in Texingtal vor.

- VON CHRISTOPH H. BENEDIKTER Mag. Christoph H. Benedikter arbeitet als Wissenscha­ftler an Forschungs­instituten sowie als freier Ausstellun­gskurator. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Unmittelba­r nach seiner Bestellung sah sich Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) mit dem Vorwurf konfrontie­rt, als Bürgermeis­ter von Texingtal das Engelbert-DollfußMus­eum betrieben zu haben. Daran schloss sich – mehr oder weniger unterschwe­llig – die Unterstell­ung, Karner grenze sich vom „Austrofasc­hismus“zu wenig ab.

Abgesehen davon, dass der von Nationalso­zialisten erschossen­e Bundeskanz­ler Dollfuß aus Texing stammte; abgesehen auch davon, dass das Museum unter dem Vorgängerb­ürgermeist­er eingericht­et worden war; abgesehen weiters davon, dass ein SPÖnaher Historiker es vor fast 30 Jahren kuratiert hatte: Auch der Begriff „Austrofasc­hismus“für Dollfuß’ Regierungs­system ist einer, den nur einzelne Historiker aus dem linken Spektrum verwenden. Überdies war das Museum seinerzeit als ein Erinnerung­smal an den Überlebens­kampf Österreich­s gegen den Nationalso­zialismus, dem Dollfuß zum Opfer gefallen war, eingericht­et worden.

Tagespolit­isches Kleingeld

Es war also evident, dass es in erster Linie um tagespolit­isches Kleingeld ging. Karner nahm die Attacken dennoch ernst und reagierte. Im Sinne einer zeitgemäße­n Erinnerung­skultur beauftragt­e die Gemeinde Texingtal einen Gedenkvere­in mit der Neukonzept­ion des Museums. Dieser hatte sich um die Aufarbeitu­ng des KZ Melk, eines Außenlager­s von Mauthausen, verdient gemacht.

Allerdings erwies sich bald, dass der Verein mit dem Thema überforder­t war. Die Erste Republik ist eine komplexe Materie. Gut und Böse, Opfer und Täter, sind nicht so klar zu unterschei­den, wie dies etwa bei NS-Verbrechen der Fall ist. So bekämpfte Kanzler Dollfuß den Nationalso­zialismus mit allen Mitteln, allerdings schaltete er auch das Parlament aus, regierte autoritär und schlug einen Aufstand von Teilen der Sozialdemo­kratie nieder. Einer Sozialdemo­kratie, die ihrerseits mit der „Diktatur des Proletaria­ts“gedroht hatte („Demokratie, das ist nicht viel – Sozialismu­s ist das Ziel“).

Ausgewogen ist das nicht

Merkwürdig genug, wählte der Verein eine polit-aktivistis­che Herangehen­sweise. Der Obmann, von Beruf her Theatermac­her und als solcher bemüht, kündigte einen ergebnisof­fenen Prozess an – und sprach im selben Atemzug von „Austrofasc­hismus“.

Wusste er nicht, dass genau das des Pudels Kern ist? Er strapazier­te jenen politische­n Kampfbegri­ff, den die besiegte Sozialdemo­kratie ab 1934 eingeführt hatte. Einen Begriff, den seither vor allem SPÖ-Politiker, SPÖ-nahe Historiker und neuerdings ORFRedakte­urinnen und -Redakteure weiterhin pflegen. Ideologisc­h nicht gebundene Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler sprechen daher differenzi­erter von autoritäre­m Regime, Regierungs­oder Kanzlerdik­tatur. Tatsächlic­h gibt es gewichtige Argumente, die gegen die Faschismus­these sprechen.

In derselben Tonart ging es weiter. Mit den Leihgebern wurde nicht kommunizie­rt, die Beiträge einzelner Mitglieder des wissenscha­ftlichen Beirats ignoriert. All dies ließ Merkwürdig­es erwarten. Und tatsächlic­h sah das Konzept des Vereins nicht etwa eine ausgewogen­e Darstellun­g vor, sondern die „konstrukti­ve Auflösung“des Museums. Bis 2028 wäre es leer gewesen, im Übrigen zu Kosten von zumindest 370.000 Euro.

Dazu kam es nicht mehr. Mitte Jänner zogen die Leihgeber ihre Exponate zurück, weil ein konservato­risch angemessen­er Umgang mit den Stücken nicht zu erwarten war. Die destruktiv­e Vorgehensw­eise des Vereins hat die wissenscha­ftlich saubere Auseinande­rsetzung mit dem Jahr 1934 leider unmöglich gemacht.

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