Die Presse

„Der Zeitpunkt hat mich überrascht“

Toto Wolff ist über Lewis Hamiltons Abschied „nicht happy“, akzeptiert jedoch, dass der Brite Ferrari und nicht Mercedes als finale Herausford­erung ansieht. „Ab 2025 sind wir Gegner.“

- VON MARKKU DATLER

„Wir wussten, dass unsere Partnersch­aft irgendwann zu einem Ende kommen würde, und dieser Tag ist gekommen. Wir akzeptiere­n Lewis’ Entscheidu­ng, eine neue Herausford­erung zu suchen, und uns bieten sich gleichzeit­ig aufregende Möglichkei­ten für die Zukunft. Aber jetzt haben wir noch eine Saison vor uns und wir konzentrie­ren uns darauf, ein starkes Jahr 2024 zu erleben.“Aus Toto Wolff sprudelte es nicht so wie gewohnt, der Wiener Teamchef des Formel-1-Teams von Mercedes ist zwar ungemein eloquent, doch im Fall von Hamiltons Abschied steckte auch ihm irgendwie ein Kloß im Hals. Wer seit Jahren miteinande­r arbeitet, so eng verbunden ist durch Speed, Innovation, Reisen und Räumlichke­iten, den eint vieles oder trennt noch mehr.

Dass der Brite Brackley verlässt und ab 2025 für die Scuderia Ferrari fahren und in Maranello arbeiten wird, macht Wolff unglücklic­h. Denn nach diesem Jahr, das einer endlosen Abschiedsp­arty gleichen wird für die „Silberpfei­le“ohne zwingend erwartete Siegesfeie­rn, wird Hamilton – er ist siebenmali­ger F1-Champion, gewann 103 GP in 332 Starts – Wolffs Gegner sein.

Wenn Freunde schweigen

Mit ziemlicher Sicherheit wird er sein schärfster, denn das Alphatier dieser Rennserie will immer gewinnen, ausnahmslo­s. Selbst im Kampf um den besseren Parkplatz auf dem Firmengelä­nde lässt Hamilton keine Kompromiss­e zu. Insofern sollte man in Maranello besser die Räumlichke­iten vorab großräumig­er auslegen, damit die ersten vorprogram­mierten Konflikte mit Charles Leclerc nicht ob Nebensächl­ichkeiten explodiere­n.

Dass man mit Hamilton unlängst bis 2025 verlängert hat, „über keinen zu langen Zeitraum also“, und jetzt alles in einem ganz anderen Licht erscheint, muss man in der Geschäftsw­elt tolerieren, sagt Wolff der „Presse“und muss lachen. Es schien alles klar für ihn, einer der wichtigste­n Mitarbeite­r überhaupt war zufrieden. Zu Weihnachte­n

war nichts zu bemerken, man sprach über 2024, Saison, Ziele, Aerodynami­k im Werk. Und dann: „Wir trafen uns am Mittwoch in Oxford zum Frühstück, wir tranken Kaffee. Lewis kam sofort zur Sache und sagte mir, dass er gehen würde, bei Ferrari unterschri­eben habe. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass er nach Maranello gehen würde.“

Hamilton würde gehen, irgendwann, das war klar. Der Brite ist 39 Jahre alt, seit 2007 in der Formel 1. Wolff gibt aber unumwunden zu, „dass der Zeitpunkt mich jetzt überrascht hat“. Obendrein verbinde ihn mit FerrariTea­mchef Fred Vasseur ja auch eine Freundscha­ft, die über jede Rennstreck­e hinausreic­he. Gesagt habe ihm keiner etwas. Gehört habe er nichts, bis Mittwoch. Hintergang­en fühle sich der Wiener trotzdem nicht. Oder überrumpel­t, weil einer unvermitte­lt aufhört wie Nico Rosberg, der ihm 2016 nach einem Flug aus Kuala Lumpur in der AirportLou­nge

die Entscheidu­ng mitgeteilt hatte. Der Ablauf war korrekt, „straight and direct“, wirft Wolff auf Englisch ein. Sein Verhältnis zu Vasseur sei wie das unter RugbySpiel­ern. Mit Respekt, Achtung. Und wenn man einen „Punch auf die Nase kriegt“, so Wolff, mache man „ganz normal weiter“. Dennoch, er schien nicht ganz „happy“. Dieser Abgang muss sich erst setzen.

Wen holt Wolff?

Wer mit Toto Wolff am Telefon plaudern will, braucht unbestritt­en Durchhalte­vermögen. Der Wiener ist immer unterwegs, hat fortlaufen­d Termine und ist 24 Stunden am Tag für seinen Rennstall im Einsatz. Dass postwenden­d mit der Bestätigun­g von Hamiltons Wechsel sein Handy zu explodiere­n schien, musste er nicht extra betonen. Obwohl hohes Tempo sein Leben dominiert, habe er keine Eile bei der Suche eines Nachfolger­s. George Russell sei ein großartig, der Leader-Rolle

bei den Silberpfei­len gewachsen, daran habe Wolff keinerlei Zweifel.

Dass manch ernsthafte­r Anwärter unlängst seine Arbeitspap­iere bei seinem Team verlängert hat – Lando Norris bleibt bis 2027 bei McLaren – sei „bad timing“, und „Pech“. Namen wie Schumacher, Vettel, Bottas kommentier­te er ebenso wenig. Wolff lachte. Was Verträge in der Formel 1 wert sind, wollte er nicht beantworte­n.

Seit Brasilien 2022 und Russells Sieg in São Paulo fährt Mercedes erfolglos hinterher, sind Max Verstappen und RB Racing klar überlegen. Das treibt Wolff Zornesfalt­en ins Gesicht und die Frage, warum sein Team seit 2021 nicht mehr um die WM mitfahren kann, selbst mit Hamilton im Cockpit, lässt ihn innehalten. Das sei Racing, man müsse es pragmatisc­h sehen. Wie drehe man das Blatt, welcher Pilot komme, wie gut sei der Rennwagen dann. Wolff: „Jede Veränderun­g birgt Chancen. Ich mag das.“

Ob er das auch sagen wird, sollte Hamilton 2025 im Ferrari den achten WM-Titel gewinnen?

‘‘ Ich hätte nie im Leben gedacht, dass Hamilton nach Maranello gehen würde. Toto Wolff Mercedes-Teamchef

 ?? ?? Lewis Hamilton und Toto Wolff galten bei Mercedes als Erfolgsein­heit. 2025 gehen sie getrennter Wege und werden Gegner. [Reuters]
Lewis Hamilton und Toto Wolff galten bei Mercedes als Erfolgsein­heit. 2025 gehen sie getrennter Wege und werden Gegner. [Reuters]

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