Europas Firmen bläst es eiskalt entgegen
Die Eurozone soll heuer wachsen. Die Industrie leidet aber nach wie vor, weshalb sie sich von Tausenden Beschäftigten trennt.
Hohe Zinsen, ein maues Wirtschaftswachstum, schwache Auftragseingänge und eine noch immer magere Produktion fordern bei zahlreichen wirtschaftlichen Flaggschiffen Europas zunehmend ihren Tribut. Versuchten Unternehmen ihre Arbeitskräfte trotz hoher (Lohn-)Kosten und unklarer Aussichten lange Zeit zu halten, gaben zuletzt immer mehr Konzerne den Abbau von Mitarbeitern bekannt.
So trennt sich etwa die dänische Reederei Maersk wegen des schwierigen Umfelds und einer schlechten Nachfrage von 10.000 Beschäftigten. Der Autozulieferer Continental streicht im Zuge des Umbaus seiner kriselnden Autosparte weltweit Tausende Jobs vor allem in der Verwaltung. Die Deutsche Bank wiederum plant nach einem Gewinnrückgang den Abbau von 3500 Arbeitsplätzen bis Ende nächsten Jahres, weil sie das deutsche Vertriebsnetz straffen und interne Prozesse vereinfachen will.
Die drei Konzerne sind freilich nicht die einzigen, die ihre Kosten in den Griff bekommen wollen. Firmen wie die französischen Alstom, der deutsche Pharmakonzern Bayer, die finnische Nokia oder der Chemiekonzern Lanxess haben ebenfalls den Abbau von Personal verkündet. Auch die heimische Industrie bleibt von Stellenstreichungen nicht verschont, wenngleich die Dimensionen andere sind. So verlautbarte etwa der Kfz-Zulieferer Pierer Mobility schon im Dezember, sich heuer von 300 Mitarbeitern trennen zu wollen. Es sei primär kein Abbau von Beschäftigten,
sondern eine Maßnahme, um den Heimatstandort zu sichern, sagte Firmenchef Stefan Pierer damals zur „Presse“. Und auch wenn die Beweggründe der einzelnen Unternehmen doch recht unterschiedlich ausfallen, so haben sie eines gemein: ihren Sitz in Europa.
Die Industrie auf dem Kontinent plagt sich schon länger, doch möglicherweise hat die Branche ihr Tief bereits durchschritten. So hat sich der Rückgang der EurozonenIndustrie im Jänner etwas verlangsamt. Der Einkaufsmanagerindex stieg zu Jahresbeginn im Vergleich zum Dezember um 2,2 Punkte auf 46,6 Zähler – lag damit aber nach wie vor seit Juli 2022 unter der Marke von 50 Punkten, die Wachstum signalisiert.
Lichtblick voraus?
Doch immerhin erreichte der Index im Jänner den höchsten Stand seit März des Vorjahrs. Auch die Geschäftsaussichten innerhalb der Eurozone kletterten auf ein NeunMonate-Hoch, wenngleich sie unterhalb des langjährigen Durchschnittswerts blieben. Die Stimmung
bleibt also gedämpft. Nachdem die Wirtschaft der Eurozone noch im Sommer geschrumpft war, entkam sie zwischen Oktober und Dezember haarscharf einer Rezession. Vor allem Deutschland, die größte Volkswirtschaft des Kontinents, schwächelte merklich, während es in Frankreich, Italien, Spanien und auch in Österreich (plus 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal) wieder zu leicht positiven Wachstumsraten kam. Ist das schon der Anfang vom Aufschwung? Vielleicht.
In der Eurozone wird im laufenden Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent gerechnet, der Wert könnte aber durchaus zu hoch gegriffen sein. „Der Welthandel hat an Schwung verloren, die geopolitischen Unsicherheiten sind größer geworden, und unsere Zinserhöhungen schlagen stark und schneller als erwartet auf die Wirtschaft durch“, sagte der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Luis de Guindos, jüngst der „Zeit“. Seine Vorgesetzte, EZBPräsidentin Christine Lagarde, versuchte zuletzt aber, Mut zu machen. Sie sprach kürzlich davon, dass die Frühindikatoren bereits signalisieren würden, dass sich das Wirtschaftswachstum im weiteren Verlauf beschleunigen dürfte.
Laut Einschätzung der Hamburg Commercial Bank ist es aber nicht ausgeschlossen, dass sich die Rezession des verarbeitenden Gewerbes noch bis ins erste Quartal hineinzieht. Doch könnte deren Erholung im Süden der Eurozone ihren Anfang nehmen und auch den größeren Volkswirtschaften dabei helfen, ihre Schwächen zu überwinden. Südeuropa kann zudem auf eine gute Tourismussaison hoffen, während Deutschland durch seinen Exportanteil vermutlich Sorgenkind bleibt.
In Österreich zeigte die Industriekonjunktur zuletzt jedenfalls erste Anzeichen einer Bodenbildung, so das Wifo. Von Freude kann aber keine Rede sein. Im vor wenigen Tagen publizierten Konjunkturtest des Instituts ist von einem „skeptischen Konjunkturbild“zu lesen, das von einer „sehr schwachen Industrie- und Baukonjunktur bestimmt ist“. Trotzdem soll das Wirtschaftswachstum heuer um 0,9 Prozent zulegen. (Zweck-)Optimismus ist also angesagt.