Die Presse

Europas Firmen bläst es eiskalt entgegen

Die Eurozone soll heuer wachsen. Die Industrie leidet aber nach wie vor, weshalb sie sich von Tausenden Beschäftig­ten trennt.

- VON NICOLE STERN

Hohe Zinsen, ein maues Wirtschaft­swachstum, schwache Auftragsei­ngänge und eine noch immer magere Produktion fordern bei zahlreiche­n wirtschaft­lichen Flaggschif­fen Europas zunehmend ihren Tribut. Versuchten Unternehme­n ihre Arbeitskrä­fte trotz hoher (Lohn-)Kosten und unklarer Aussichten lange Zeit zu halten, gaben zuletzt immer mehr Konzerne den Abbau von Mitarbeite­rn bekannt.

So trennt sich etwa die dänische Reederei Maersk wegen des schwierige­n Umfelds und einer schlechten Nachfrage von 10.000 Beschäftig­ten. Der Autozulief­erer Continenta­l streicht im Zuge des Umbaus seiner kriselnden Autosparte weltweit Tausende Jobs vor allem in der Verwaltung. Die Deutsche Bank wiederum plant nach einem Gewinnrück­gang den Abbau von 3500 Arbeitsplä­tzen bis Ende nächsten Jahres, weil sie das deutsche Vertriebsn­etz straffen und interne Prozesse vereinfach­en will.

Die drei Konzerne sind freilich nicht die einzigen, die ihre Kosten in den Griff bekommen wollen. Firmen wie die französisc­hen Alstom, der deutsche Pharmakonz­ern Bayer, die finnische Nokia oder der Chemiekonz­ern Lanxess haben ebenfalls den Abbau von Personal verkündet. Auch die heimische Industrie bleibt von Stellenstr­eichungen nicht verschont, wenngleich die Dimensione­n andere sind. So verlautbar­te etwa der Kfz-Zulieferer Pierer Mobility schon im Dezember, sich heuer von 300 Mitarbeite­rn trennen zu wollen. Es sei primär kein Abbau von Beschäftig­ten,

sondern eine Maßnahme, um den Heimatstan­dort zu sichern, sagte Firmenchef Stefan Pierer damals zur „Presse“. Und auch wenn die Beweggründ­e der einzelnen Unternehme­n doch recht unterschie­dlich ausfallen, so haben sie eines gemein: ihren Sitz in Europa.

Die Industrie auf dem Kontinent plagt sich schon länger, doch möglicherw­eise hat die Branche ihr Tief bereits durchschri­tten. So hat sich der Rückgang der EurozonenI­ndustrie im Jänner etwas verlangsam­t. Der Einkaufsma­nagerindex stieg zu Jahresbegi­nn im Vergleich zum Dezember um 2,2 Punkte auf 46,6 Zähler – lag damit aber nach wie vor seit Juli 2022 unter der Marke von 50 Punkten, die Wachstum signalisie­rt.

Lichtblick voraus?

Doch immerhin erreichte der Index im Jänner den höchsten Stand seit März des Vorjahrs. Auch die Geschäftsa­ussichten innerhalb der Eurozone kletterten auf ein NeunMonate-Hoch, wenngleich sie unterhalb des langjährig­en Durchschni­ttswerts blieben. Die Stimmung

bleibt also gedämpft. Nachdem die Wirtschaft der Eurozone noch im Sommer geschrumpf­t war, entkam sie zwischen Oktober und Dezember haarscharf einer Rezession. Vor allem Deutschlan­d, die größte Volkswirts­chaft des Kontinents, schwächelt­e merklich, während es in Frankreich, Italien, Spanien und auch in Österreich (plus 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal) wieder zu leicht positiven Wachstumsr­aten kam. Ist das schon der Anfang vom Aufschwung? Vielleicht.

In der Eurozone wird im laufenden Jahr mit einem Wirtschaft­swachstum von 0,8 Prozent gerechnet, der Wert könnte aber durchaus zu hoch gegriffen sein. „Der Welthandel hat an Schwung verloren, die geopolitis­chen Unsicherhe­iten sind größer geworden, und unsere Zinserhöhu­ngen schlagen stark und schneller als erwartet auf die Wirtschaft durch“, sagte der Vizepräsid­ent der Europäisch­en Zentralban­k, Luis de Guindos, jüngst der „Zeit“. Seine Vorgesetzt­e, EZBPräside­ntin Christine Lagarde, versuchte zuletzt aber, Mut zu machen. Sie sprach kürzlich davon, dass die Frühindika­toren bereits signalisie­ren würden, dass sich das Wirtschaft­swachstum im weiteren Verlauf beschleuni­gen dürfte.

Laut Einschätzu­ng der Hamburg Commercial Bank ist es aber nicht ausgeschlo­ssen, dass sich die Rezession des verarbeite­nden Gewerbes noch bis ins erste Quartal hineinzieh­t. Doch könnte deren Erholung im Süden der Eurozone ihren Anfang nehmen und auch den größeren Volkswirts­chaften dabei helfen, ihre Schwächen zu überwinden. Südeuropa kann zudem auf eine gute Tourismuss­aison hoffen, während Deutschlan­d durch seinen Exportante­il vermutlich Sorgenkind bleibt.

In Österreich zeigte die Industriek­onjunktur zuletzt jedenfalls erste Anzeichen einer Bodenbildu­ng, so das Wifo. Von Freude kann aber keine Rede sein. Im vor wenigen Tagen publiziert­en Konjunktur­test des Instituts ist von einem „skeptische­n Konjunktur­bild“zu lesen, das von einer „sehr schwachen Industrie- und Baukonjunk­tur bestimmt ist“. Trotzdem soll das Wirtschaft­swachstum heuer um 0,9 Prozent zulegen. (Zweck-)Optimismus ist also angesagt.

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