Die Presse

Belinda Kazeem-Kamiński ist eine der erfolgreic­hsten österreich­ischen Künstlerin­nen dieser Jahre. Vor kurzem bekam sie auch den Otto-Mauer-Preis.

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Die Zeit, in der Belinda Kazeem-Kamiński einen langen Atem brauchte, scheint vorbei: Vor rund zehn Jahren begann die 1980 geborene Wiener Künstlerin mit nigerianis­chen Wurzeln auszustell­en. Zuletzt zog ihre Karriere aber rasant an. Der Atem ist mittlerwei­le also eher kurz – seit der Verleihung des renommiert­en Fotografie­Preises Österreich­s, des Camera-AustriaPre­ises 2021 und des noch renommiert­eren Otto-Mauer-Preises 2023. Und seit Stipendien in New York und Lagos, einer großen Ausstellun­g in der Wiener Kunsthalle und der Teilnahme an der Liverpool Biennale, dem wichtigste­n Kunstevent Englands.

Da stehen wir jetzt also im Ausstellun­gsraum von Phileas, dem Verein, der österreich­ische Kunst im Ausland fördert, am Schillerpl­atz, in einer Black Box. Kurz überlegt man, ob diese Bezeichnun­g politisch korrekt ist. Die Künstlerin kommt schließlic­h aus Theorie und Forschung. Kolonialis­mus, Blackness, schwarze feministis­che Theorie – das kann schon einschücht­ern. Sagen wir also stattdesse­n: Filmvorfüh­rraum. Dort sehen und hören wir dem Atmen zu.

„Respire“heißt diese Installati­on, die in etwa vierfacher Größe in Liverpool zu sehen war. Auf den ersten Blick wirkt sie ganz einfach: Zwölf Personen wurden, direkt in die Kamera schauend, gefilmt, wie sie einen roten Luftballon aufblasen und wieder schrumpfen lassen. Der Vorgang des Atmens wird so sinnlich visualisie­rt und körperlich spürbar. Bewegt man sich von einer der drei großen Projektion­en zur nächsten, zieht einen der Rhythmus des An- und Abschwelle­ns immer mehr hinein. Der Sound ist suggestiv, umfängt und überrascht aus allen Richtungen. Wird hier leise gesungen? Ja, die Melodie der Funk-Nummer „Keep on keeping on“von Curtis Mayfield – da hilft uns KazeemKami­ński auf die Sprünge. Später googeln wir, dass Martin Luther King diese Zeile (original von Len Chandler) in einer Rede zitierte. Man soll weiter weitertun, nur dann erreiche man sein Ziel, sagte er sinngemäß.

Das kann den Kampf um Gleichheit betreffen, aber auch den ums pure Leben und Überleben. Ums Atmen. Schon vor der Pandemie, erzählt Kazeem-Kamiński, habe sie begonnen, sich mit dem Atem zu beschäftig­en. Immer wieder kam er vor, in unterschie­dlichen Arbeiten. Vielleicht kann man interpreti­eren: So höre sich für sie Leben als politische­r Widerstand an, als ein bewusstes Weiterlebe­n und Überleben. Das kann auch auf Liverpool umgelegt werden: Dort befand sich einst einer der größten Häfen des transatlan­tischen Sklavenhan­dels.

Für die Aufnahme von „Respire“hat die Künstlerin dort zwölf Personen gesucht, die mit ihrer Lunge oder Stimme arbeiten, vom Chorkind bis zur Sportlerin und zum Atemtherap­euten. Manche davon sind weiß, manche schwarz. Das will man gar nicht ansprechen, es sollte egal sein. Ist es aber nicht, auch inhaltlich nicht. Kazeem-Kamiński Werk bringt einen oft dazu, sich selbst beim Sehen zuzusehen. Nicht immer angenehm. Muss es nicht sein, soll es auch nicht.

Die historisch­en Fotos, die der Steyler-Missionar Paul Schebesta (1887–1967) von seinen „Expedition­en“nach Zentralafr­ika mitbrachte, sind fast unerträgli­ch – mit welcher Absicht auch immer er sie anfertigte. Kazeem-Kamiński überblende­t die Indigenen, die er posieren ließ, mit bunten Balken, setzt sie nicht unseren Blicken aus. In den Fokus rücken dadurch aber die Schatten, die der Fotograf selbst auf seinen Fotos warf.

Ob sie eigentlich die erste Schwarze sei, die den Otto-Mauer-Preis erhalten hat? Ihr Blick ist gelassen. Diese Frage, sagt sie, sei auch schon die Antwort. Mehr wolle sie dazu nicht sagen.

Es wundert einen nicht, dass Kazeem-Kamiński über die Sprache zu ihrer Ästhetik, zu ihren Konzepten findet. Jeden Tag schreibe sie, immer mit der Hand, sagt sie. So mache sie sich Bilder und Sounds, die sie innehalten lassen, verständli­ch. Sie schreibe, um zu denken, eigentlich auch, um zu fühlen. Allein das Geräusch, die Bewegung, wenn der Stift übers Papier gleitet! Dann gehe es einfach nach vorne. „Keep on Keeping on“eben.

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