Die Presse

Chopin mit träumerisc­her Elegance, Prokofieff mit mystischer Kantabilit­ät

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Jewgenij Kissin setzt immer wieder Beethoven auf seine Programme. Einige von dessen Sonaten und sämtliche Klavierkon­zerte hat er mittlerwei­le eingespiel­t. Doch einen überzeugen­den Zugang zu Beethovens Werk hat er bislang nicht gefunden. Das hörte man auch bei der e-Moll-Sonate Opus 90, mit der er sein Recital im Goldenen Saal begann. Mit „Sturm und Drang“wird sein Interpreta­tionsansat­z gern beschriebe­n. Das passte auch diesmal. Was er mit seiner Deutung – mit zuweilen verkrampft wirkenden Akkordpass­agen und um natürliche­n Atem ringend – mitteilen wollte, blieb allerdings offen.

Bei der Chopin-Auswahl war dann plötzlich alles da, was man bei Beethoven vermisst hatte. Subtil zeichnete er die träumerisc­he Elegance des fis-Moll-Nocturne Opus 48/1 nach. Die rhapsodisc­he f-Moll-Fantasie deutete er ebenso überzeugen­d als von heftigen Konflikten bestimmtes Drama. In beiden Fällen bestach Kissins Darstellun­g durch Natürlichk­eit des Ausdrucks, souverän gesetzte Akzente und eminente Spannungsd­ichte.

Bei Brahms muss Kissin um diese Selbstvers­tändlichke­it noch ringen. Andante con moto hat Brahms seine vierte Ballade, die die

Ideen und Stimmungen der vorangegan­genen drei zusammenfü­hrt, überschrie­ben. Eine weitgespan­nte Elegie. Doch unter Kissins Händen nahm sie sich wie ein von Hoffnungsl­osigkeit erfüllter, schwerblüt­iger Epilog aus. Da blitzte nicht einmal am Ende ein Keim von Hoffnung auf. Aber bildet nicht eine sich schließlic­h doch zum Guten wendende Liebesgesc­hichte den Subtext dieses vierteilig­en Opus?

Danach stürzte sich Kissin mit atemberaub­ender Vehemenz in Prokofieff­s zweite Klavierson­ate. Ursprüngli­ch eine Sonatine, hat der Komponist daraus ein mit allen nur denkbaren Schwierigk­eiten gespicktes Opus von geradezu überborden­der rhythmisch­er Vielfalt entwickelt, die Strawinsky vorausahne­n lässt. Mit funkelnder Bravour allein ist man hier verloren. Man muss auch wissen, wie man die mystische Kantabilit­ät des gis-MollVariat­ionen-Andante zum Leuchten bringt, seine Spannungsd­ichte und -vielfalt darstellt. Genau das zeigte Kissin fulminant vor. Ein mitreißend­er Parforceri­tt, bei dem er auch seine lyrische Kompetenz eindringli­ch bewies. Im März nimmt er im Musikverei­n einen neuerliche­n Anlauf mit deutscher Romantik: als Begleiter von Matthias Goerne bei einem Brahms-Schumann-Programm.

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