Macht, Sex und Widerstand im Kino Italiens Von Skandalfilmen wie dem in Wien gedrehten „Nachtportier“bis zur Kampfansage an die eigene Familie: Das Österreichische Filmmuseum würdigt bis Ende Februar die Meisterregisseure Liliana Cavani und Marco Bellocch
Dutzendweise liegen die Menschen tot auf den Straßen – die Passanten jedoch würdigen die Leichen keines Blickes. Und steigen notfalls, wenn sie direkt in Haus- oder Geschäftseingängen liegen, kaltblütig über sie drüber. Liliana Cavanis Spielfilmdebüt „I cannibali“(1969) verwandelt die Sophokles-Tragödie „Antigone“in einen dystopischen Science-Fiction-Film: Mitleid ist in seiner Welt polizeilich verboten, die elementarsten Akte der Menschlichkeit werden darin zu Gesten des Widerstands.
Dass alles, gerade auch das Persönliche, Zwischenmenschliche, politisch sein kann: Diese Erkenntnis verbindet die in vielem sehr unterschiedlichen Werke der beiden Regiegrößen, denen das Wiener Filmmuseum derzeit eine Doppelretrospektive widmet. Cavani und Marco Bellocchio, beide geboren in den 1930er-Jahren, gehörten zu einer Generation des Umbruchs im italienischen Kino.
Politisch geprägt von den Kriegserfahrungen ihrer Kindheit und den linken Studentenbewegungen, die sich im Laufe der 1960er-Jahre radikalisierten, hatten sie wenig Interesse an den Formeln des Unterhaltungskinos, die das italienische Filmschaffen in der Nachkriegszeit bestimmten. Wo ihre älteren Kollegen zumeist über Jobs in der Unterhaltungsindustrie zum Film fanden, besuchten sie beide eine Filmschule: das Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom. Cavani wurde danach gleich vom Fernsehen übernommen. Die Dokumentarfilme, die sie dort umsetzen konnte – u. a. über Widerstandskämpferinnen im Zweiten Weltkrieg – sind im heutigen Italien immer noch bekannt. In vielerlei Hinsicht bilden sie den thematischen Kern ihres späteren Spielfilmwerks.
Bellocchio wiederum drehte sein Langfilmdebüt auf dem Anwesen und mit den Geldern seiner eigenen Familie: „Die Faust in der Tasche“(1965) ist der erste von vielen Filmen
des Regisseurs, in denen sich Autobiografie und Gesellschaftskritik zu einer explosiven, unberechenbaren Substanz vereinigen. Tatsächlich hat man bei fast allen Filmen Bellocchios den Eindruck, dass sie zumindest auch von ihm selbst handeln.
In seinem Debüt ist es Lou Castel, der, als Bellocchios Alter Ego, jenen harten Bruch mit seiner Herkunftsfamilie ausagiert, den der Regisseur im echten Leben nie vollzogen hat. Ein Schlüsselerlebnis für Bellocchio war der Selbstmord seines Bruders Camillo – ein hartnäckiges Trauma, an dem sich seine Filme über die Jahrzehnte wieder und wieder abarbeiten, bevor es im zu Tränen rührenden Dokumentarfilm „Marx Can Wait“(2021) endlich ganz an die Oberfläche dringt.
Aber auch in einem Historienfilm wie Bellocchios neuestem, „Rapito – Die Bologna-Entführung“, schwingt die Lebensgeschichte (und vor allem die Kindheit) des Filmemachers stets im Hintergrund mit. Die Geschichte eines Buben aus einer jüdischen Familie, der von der katholischen Kirche entführt und – teilweise unter direkter Aufsicht des Papstes – christlich erzogen wird, ist eine fast spiegelbildliche Umkehr von Bellocchios eigener: Streng katholisch aufgewachsen, wendet er sich später vom Christentum ab – kehrt aber in seinen Filmen immer wieder, auf nahezu obsessive Art, zu religiösen Stoffen und Motiven zurück.
Ganz anders die Filme Cavanis. Die Regisseurin bringt zwar ihre intellektuellen Interessen in ihr Kino ein: Neben dem Erbe von Nationalsozialismus und Faschismus verhandelt ihr Werk – in immer neuen Facetten – den Zusammenhang von Macht und Sexualität. Sie selbst bleibt jedoch hinter ihren Filmen verborgen. Vielleicht ist genau das – Cavanis nüchterne, protokollarische Perspektive – auch einer der Gründe dafür, dass ihr bekanntester Film, „Der Nachtportier“, 1974 zum Skandal wurde. Die in Wien spielende Liebesbeziehung zwischen der Titelfigur, die einst als SS-Offizier in Konzentrationslagern diente, und einem ehemaligen KZ-Häftling, der Tochter eines Sozialisten, inszeniert sie kalt, analytisch und äußerst stilbewusst, ohne die Theatralität und überbordende Melancholie, die etwa Luchino Viscontis inhaltlich vergleichbare Deutsche Trilogie prägt.
Cavani blickt auf die – gleichzeitig politischen und libidinösen – Untiefen ihrer Figuren mit den Augen einer stets hellwachen, manchmal aber auch leicht spöttischen Forscherin, der nichts Menschliches fremd ist, die niemanden verurteilt, aber auch keine falschen Rücksichten nimmt. Die Nachkriegsgroteske „La pelle“(1981), einer ihrer stärksten und schockierendsten Filme, entwirft die abgründige Vision einer Welt, der nach dem Ende des Faschismus noch die allerletzten Sicherheiten abhandengekommen sind, in der die Panzer der Befreier brave Familienväter zu Knochenmatsch zermalmen und Kriegsgefangene zu Seife verarbeitet werden.
Diese Welt ist in Cavanis Inszenierung freilich keineswegs eine vergangene. Vielmehr wirkt es, als würde sie einen Vorhang aufziehen und den Blick freigeben auf die geheimen Triebkräfte, die, nur notdürftig verborgen, auch unsere Gegenwart prägen.