Die Presse

Diese beiden Dealer sind Marxisten

Zwei Regalschli­chtern reicht es, dass sie mit ihrem Gehalt nicht über die Runden kommen. José Faleros „Supermarkt“ist ein Roman über Armut, Abwege und gewitzte Helden.

- Von Bettina Steiner

Manche Helden sind Verbrecher, und man schließt sie trotzdem in sein Herz. Pedro und Marques etwa. Die beiden leben in einer Favela, der eine noch bei der Mama, der andere mit Frau und Kind. Sie arbeiten für einen Supermarkt in einem besseren Viertel, was aber nicht heißt, dass sie besser bezahlt würden. In diesem von Armut geprägten Leben bedeutet ein kaputtes Wohnungssc­hloss eine existenzie­lle Katastroph­e. Und was Marques tun soll, als seine Angélica wieder schwanger ist, weiß er auch nicht. Weder für das Kind noch für eine Abtreibung ist genug Geld da.

Aber die beiden wissen sich zu helfen. Am Beginn ihrer kriminelle­n Karriere futtern sie in der Umkleide heimlich für den Verkauf bestimmte Pralinen, Schokorieg­el und Schmalzgeb­äck, später entwickeln sie einen raffiniert­en Plan, wie sie Steaks, Rippchen und den teuren Whiskey am zunehmend verzweifel­ten Manager vorbei aus dem Laden schmuggeln. Schlechtes Gewissen? Haben sie keines: Pedro weiß den Diebstahl zu rechtferti­gen, er hat nämlich Marx gelesen. „Der heißt so wie ich?“, will Marques wissen. „Nein, mit x.“

Pedro weiß auch, warum der Marxismus gescheiter­t ist. „Weil niemand will, dass es funktionie­rt. Die Reichen wollen nicht, dass die Welt gerecht ist, aber die Armen wollen es auch nicht. Glaub mir: Nicht einmal die Menschen, die am meisten an der Ungerechti­gkeit leiden, nicht mal die wollen eine gerechte Welt, wenn man ihnen erzählt, wie sie aussehen würde. Weil in einer gerechten Welt, wenn sie wirklich gerecht ist, niemand reich werden würde.“

Siehe da, eine Marktlücke!

Auf die Revolution kann Pedro jedenfalls nicht warten. Aber er entdeckt, als er einmal von seiner Marx-Lektüre aufschaut, ein interessan­tes Geschäftsm­odell: Die Drogenboss­e des Viertels verkaufen kein Gras mehr, nur mehr die harten Sachen. Eine Marktlücke! Jetzt gibt es noch Investitio­nen, die zu tätigen, Lieferkett­en, die aufzubauen, Vertriebss­trategien, die festzulege­n, ein Team, das zu engagieren, Gewinnspan­nen, die zu kalkuliere­n sind . . . Und so schauen wir Pedro und Marquez dabei zu, wie sie mit ihren Freunden ein „Business“aufziehen und nach und nach die eigenen Ideale verraten. Tja, die Gier. Die packt letztlich auch den überzeugte­sten Marxisten.

José Falero wurde 1987 in Porto Alegre geboren, wo der Roman auch spielt, und arbeitete als Maurer. Mittlerwei­le hat er das nicht mehr nötig, sein Debüt wurde in Brasilien zum Bestseller. Kein Wunder: „Supermarkt“besticht durch Dialoge, die durchs Buch rasen, die ungeschönt­e, aber immer empathisch­e Beschreibu­ng des Lebens in den Favelas, großartige Nebenfigur­en (unser Liebling: der muskelbepa­ckte Mann von Pedros Cousine, der beim Kochen eine geblümte Schürze trägt und laut Britney Spears hört) und eine etwas andere „Vom Tellerwäsc­her zum Millionär“-Story. Am Ende gibt es zwar eine „Moral von der Geschicht’“, und das hätte man vielleicht ein bisschen eleganter lösen können, aber sei’s drum. Das Buch hat jedenfalls Spaß gemacht. José Falero Supermarkt Roman. Aus dem brasiliani­schen Portugiesi­sch von Nicolai von Schweder-Schreiner. 320 S., geb., € 26,50 (Hoffmann und Campe)

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