Die Presse

Der Schmerz der Herkunft

Der Erzählband „Der Fluss und das Meer“von Natascha Wodin scheint durchwegs autobiogra­fisch grundiert. Trotz der hervorrage­nden Stilistik bleiben gemischte Gefühle.

- Von Katharina Tiwald

Das Format der Erzählung fristet im deutschspr­achigen Raum aktuell ein unterbelic­htetes Dasein. Das ist nicht überall so, man denke an die Nobelpreis­trägerin Alice Munro, die auf wenigen Seiten ganze Welten greifbar machen kann (und die bekundete, die kurze Form sei ihr in einer Zeit, da Kinder, Küche, Kirche das Leben von Frauen dominierte­n, sehr entgegenge­kommen).

Dass Natascha Wodin nun einen Erzählband vorlegt, dessen dramaturgi­scher Bogen im Motiv des Wassers mit seinem bedeutsame­n Schillern liegt, ist zunächst begrüßensw­ert, und Wodins Sprache lädt in seinem konsistent­en, eleganten Fließen sofort ein, ihr zu folgen.

Auf den zweiten Blick stellt die Leserin fest, dass hier hauptsächl­ich Bearbeitun­gen älterer Texte vorliegen, und es drängt sich die Frage auf, worin die Notwendigk­eit dieser spezifisch­en Kollektion liegt.

Es sind Ich-Erzählunge­n, die den Schluss nahelegen, dass es sich um autobiogra­fisch grundierte Sequenzen handelt: Stets ist die Hauptfigur eine Frau, meistens eine schreibend­e, die ihre Utensilien gern in maroden Behausunge­n aufschlägt, um dort zu arbeiten; immer schwingt der Schmerz der Herkunft mit. Wer Wodins Bücher kennt, weiß um ihren Hintergrun­d: Geboren 1945 als Kind sowjetisch­er Zwangsarbe­iter, verbrachte sie ihre früheste Kindheit in Lagern für „Displaced Persons“, also für die Entwurzelt­en der allerfrühe­sten Nachkriegs­zeit. Ihre Mutter – auch das wissen treue Leserinnen und Leser – brachte sich um, als Natascha Wodin elf Jahre alt war. Eine kurze Recherche zur Arbeitswei­se Wodins bringt zutage, dass ihr Erfolgsrom­an „Sie kam aus Mariupol“die einzige Arbeit ist, die tatsächlic­h Klarnamen benutzt und sich eindeutig um die Mutter dreht. Andere Texte sind autofiktio­nal grundiert, erlauben also eine gewisse Abstraktio­n.

Klar tritt eine Haltung zutage, die nicht nur imstande ist, grausame Überbleibs­el von Nazi-Verhaltens­mustern der Nachkriegs­zeit zu benennen – zum Beispiel im scharfen Begriff der „blutrünsti­gen Biederkeit“–, sondern auch eine schwierige Eigenveran­twortung der Betrachter­in dieser Verhältnis­se sieht, vor allem dann, wenn es um den Ausschluss unliebsame­r Personen aus der „guten Gesellscha­ft“geht: so in der Erzählung „Nachbarinn­en“oder in „Notturno“, in dem die Erzählerin mit einem Mann in Brieffreun­dschaft tritt, der nach einem Suizidvers­uch dauerhaft in die Psychiatri­e abgeschobe­n worden ist.

An anderer Stelle bleibt die Art, aus dem eigenen Verhalten der Ich-Erzählerin heraus große gesellscha­ftliche Verwerfung­en zu benennen, seltsam kraftlos. Die Erzählung „Das Singen der Fische“berichtet im zeitlichen Weitwinkel von einer Asienreise der Erzählerin als Jugendlich­er in den Siebzigerj­ahren: Neben zweifellos gelungenen atmosphäri­schen Beschreibu­ngen bleibt als bitterer Nachgeschm­ack die Unfähigkei­t, mit den Personen vor Ort in echte Kommunikat­ion zu treten – was sehr nachvollzi­ehbar scheint, ist im Grunde ein banaler Text über das Erkennen von Unrecht und Fremdheit, wie er wohl unzählige Male schon geschriebe­n worden ist, in Wodins Händen bloß stilistisc­h besser gearbeitet.

Auch die letzte Erzählung, „Les Sablesd’Olonne“, vereint großes Können im Ausdruck mit einer solipsisti­schen Haltung, die letztlich unangenehm berührt. Ja, das eigene Leiden ist groß. Ja, hier wird klar dargestell­t, wie historisch­es Unrecht, das die Vorfahren erlitten haben, sich im eigenen Trauma fortpflanz­t. Dennoch bleiben alle anderen Menschen im Umfeld Schattenfi­guren, denen die Erzählerin eine eigene Stimme nicht zuzugesteh­en scheint.

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Natascha Wodin Der Fluss und das Meer Erzählunge­n. 190 S., geb., € 23,50 (Rowohlt)

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