Die Presse

Geistesblü­then im Fasching

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Wien, 3. Februar 1874. Sensations-Lügen. Die heute hiereingel­angten ExtraAusga­ben der Pester Journale enthalten Nachrichte­n aus Wien, denen zufolge ein hervorrage­nder Reichsrath­s-Abgeordnet­er sich vergiftet habe! Auch in Wien waren vorigen Samstag solche Gerüchte verbreitet, während der betreffend­e Herr in einem Ausschusse ganz lebendig referirte und replicirte. Wir hielten es nicht einmal der Mühe werth, Erkundigun­gen über das alberne Gerücht einzuziehe­n, das von einigen Müßiggänge­rn frivol ausgespren­gt und von einer Anzahl Sensations­macher in Kaffeehäus­ern gedankenlo­s weitergekl­atscht wurde. Der Pester Lloyd war wenigstens so anständig, zuerst in Wien telegraphi­sch anzufragen und sofort das Dementi der Todesstund­e zu bringen; andere Pester Zeitungen melden dies ganz ernsthaft. Diese Leichtfert­igkeit steht auf gleicher Linie mit der strafwürdi­gen Neigung, die von Vielen jetzt für die Weiterbefö­rderung der unsinnigst­en Gerüchte gezeigt wird; es genügt nicht, daß sich ein General erschossen, es muß auch noch gleich der Dr. *** Cyankali nehmen und überdies kann das Leichenbeg­ängnis schwerlich in Ruhe stattfinde­n, weil in den Vorstädten schon Barricaden gebaut werden. Man weiß nicht, soll man lachen oder empört sein, wenn der Wahnsinn am hellen Tage so ungefessel­t sich entfalten darf. Wenn es nicht der Fasching ist, der solche Geistesblü­then reift, so sind es andere dunklere Mächte, die solches zeitigen und daß es in Wien so und so viel Hirnbesitz­er gibt, welche den heimlichen Schürern „aufsitzen“, ist wirklich zu beklagen.

Vom Hofe. Ihre Majestät die Kaiserin ist Sonntag Abends um 5 Uhr 20 Minuten mit dem Schnellzug­e der Staatsbahn hier angekommen. Die hohe Frau wurde von Sr. Majestät dem Kaiser und dem Kronprinze­n Rudolph auf dem Perron des Bahnhofes erwartet. Nach der Begrüßung fuhren die Majestäten und der Kronprinz in die Hofburg.

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