Die Presse

„Das erinnert mich an dunkle Zeiten“ ‘‘

Reinhold Lopatka spricht über Wahlziele, Asylpläne, EU-Armee – und Herbert Kickl. Die Kurz-Ära in der ÖVP will er nicht bewerten.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER UND ANNA GABRIEL

Die Presse: Vergangene Woche rief Ihnen Karl Nehammer bei seiner Kanzlerred­e von der Bühne aus zu: „Danke, Reinhold, dass du dir das antust!“Ist die Spitzenkan­didatur bei der EU-Wahl denn so eine Zumutung?

Reinhold Lopatka: Keinesfall­s ist es eine Zumutung. Aber natürlich weiß Bundeskanz­ler Nehammer, was Wahlkampf bedeutet. Da tut man sich tatsächlic­h etwas an, weil man Tag und Nacht unterwegs ist. Haben Sie sich aktiv um die Spitzenkan­didatur beworben?

Das habe ich nicht. Ich habe mich nur am Beginn meiner Laufbahn bei der Kandidatur für den Landtag (im Jahr 1986, Anm.) aktiv beworben. Danach wurde ich immer in der Oststeierm­ark aufgestell­t. Wie haben Sie reagiert, als Nehammer Sie um den Antritt bat?

Ich war überrascht. Es war ja relativ spät, schon im Dezember. Sie haben mich an diesem Tag übrigens noch vor dem Kanzler angerufen, als Sie gefragt haben, ob ich antrete. Zuvor haben also offenbar andere Menschen Gespräche darüber geführt. Sie waren ab der Parteiüber­nahme von Sebastian Kurz nun rund sieben Jahre weg aus der ersten Reihe. Im Rückblick: Wie sehen Sie die Kurz-Obmannscha­ft?

Erstens: Welche erste Reihe? Sie reden von Österreich. Ich rede von politische­r Arbeit. Und da war ich sehr wohl in der ersten Reihe, etwa als Vizepräsid­ent in der parlamenta­rischen Versammlun­g der OSZE und des Europarate­s. Aus der Innenpolit­ik war ich verschwund­en. Auch, weil parlamenta­rische Europaund Außenpolit­ik kaum auf Interesse stößt. Und die Kurz-Zeit?

Es ist noch zu früh, sie zu beurteilen. Viele Fragen sind noch offen, wie die gerichtsan­hängigen Verfahren. Wie lautet Ihr Wahlziel? Umfragen prognostiz­ieren der ÖVP ein zweistelli­ges Minus.

Bei Europawahl­en ist das Ergebnis der EVP entscheide­nd. Wir werden unseren Beitrag leisten, dass die EVP die mit Abstand stärkste Fraktion im Europäisch­en Parlament bleibt. Und national?

Wir kämpfen mit der FPÖ um Platz eins. Othmar Karas, ihr Vorgänger als Spitzenkan­didat, wandte sich von der ÖVP ab, weil sie seiner Ansicht nicht mehr „Kraft der Mitte“sei. Ist das so?

Ich sehe das anders. Die SPÖ ist unter Andreas Babler nach links und die FPÖ mit Herbert Kickl nach rechts gerückt. Wir waren und sind die Kraft der Mitte. Wie ist Ihr Verhältnis zu Karas?

Sehr gut. EU-Kommissar Johannes Hahn und ich waren schon in der Schüleruni­on seine Stellvertr­eter und sind dann gemeinsam in die Junge ÖVP gewechselt. Er hat mir ehrlichen Herzens zur Kandidatur gratuliert. Diese Woche sprach er wie ich im Nationalra­t, zwischen seine und meine Aussagen passt kein Löschblatt. Ich war verschwund­en, was die Innenpolit­ik betrifft. Reinhold Lopatka ÖVP-Spitzenkan­didat Etwas mehr als ein Löschblatt passt in der Migrations­frage zwischen Karas und die ÖVP. Im Dezember wurde ein neuer Asylpakt beschlosse­n. Reicht der aus, um die Probleme zu lösen?

Wir brauchen mehr. Es wird nie den lückenlose­n Außengrenz­schutz geben. Daher müssen wir es schaffen, dass niemand mehr einen Vorteil daraus zieht, dass er nach Österreich, Deutschlan­d oder Schweden kommt. Also muss man alle Verfahren in Transitzon­en an der Außengrenz­e oder in Drittstaat­en abwickeln. Damit fällt weg, dass sich jemand Schleppern ausliefert, weil er ohnehin an die Transitzon­e zurückgesc­hickt wird. Die Blockade des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien hat neben diplomatis­cher Zerwürfnis­se auch negative wirtschaft­liche Folgen. Wann lässt die Regierung das Veto fallen?

Das Schengen-Veto war aus unserer Sicht ein notwendige­r Aufschrei, um auf EU-Ebene gehört zu werden und das Thema Migration zu einer Priorität zu machen. Die Frustratio­n in Sofia und Bukarest rührt wohl auch daher, dass die Aufgabe des Vetos an keine konkreten Bedingunge­n geknüpft ist.

Die ÖVP verknüpft Schengen mit dem Paradigmen­wechsel in der Migration. Ein ganz wichtiger

Schritt ist mit dem Beschluss zum Asyl- und Migrations­paket im Dezember getan, nun muss die Kommission intensiv an der Umsetzung arbeiten. Wie beurteilen Sie die erste Amtszeit von Ursula von der Leyen?

Sie kann wie in den letzten Wochen durchaus auf Erfolge verweisen: Die Regelung bei der künstliche­n Intelligen­z macht Europa zum Vorreiter, und zuletzt gab es große Fortschrit­te bei der Migrations­frage. Beim Klimaschut­z ist sie vielen Konservati­ven zu ambitionie­rt.

Europa muss ein starker Industrieu­nd Wirtschaft­sstandort bleiben. Nur Öko ist zu wenig, nur Wirtschaft auch. Aber die Wirtschaft leidet schon sehr unter der Überreguli­erung durch die EU. In diesem Bereich habe ich mir von Präsidenti­n von der Leyen mehr erwartet. Diese Woche hat das Bundesheer ein düsteres Zukunftsbi­ld gezeichnet, wonach man sich auf zwei Jahrzehnte mit vielen Kriegen einstellen müsse. Österreich sei darauf nicht vorbereite­t, und die Neutralitä­t schütze nicht. Soll man dem Vorbild Schwedens und Finnlands folgen und die Neutralitä­t opfern?

Unsere Sicherheit­slage hat sich mit dem EU-Beitritt ohnehin fundamenta­l geändert. Bis dahin war Österreich als neutrales Land allein verantwort­lich, sein Territoriu­m zu schützen, heute sichert Artikel 42 des EU-Vertrages Österreich im Angriffsfa­ll den Beistand aller anderen Mitgliedst­aaten zu. Im Gegenzug leisten österreich­ische Soldaten bei internatio­nalen EU- und Nato-Missionen Außerorden­tliches. Unsere Neutralitä­t steht nicht zur Debatte. Sie ist nichts Statisches, sie hat sich mit dem EU-Beitritt geändert. Im aktuellen ÖVP-Programm wird eine gemeinsame europäisch­e Armee angestrebt. Sind Sie für ein EU-Heer?

Die gemeinsame Erklärung zur Zusammenar­beit zwischen EU und Nato von Jänner 2023 hält fest, dass die Nato die Grundlage kollektive­r

Verteidigu­ng für Europa bleibt. 23 der 27 EU-Mitgliedst­aaten sind in der Nato, daher ist eine europäisch­e Armee in weite Ferne gerückt. Das soll auch so bleiben, wenn Donald Trump nächster US-Präsident wird?

Trump kann die USA nicht im Alleingang aus der Nato führen, dafür bräuchte er eine Zweidritte­lmehrheit im Senat. Seine erste Amtszeit war jedoch für Europa ein Weckruf. Trotzdem bleibt die transatlan­tische Achse für Europa ganz wichtig. Kanzler Nehammer bezeichnet Herbert Kickl neuerdings als rechtsextr­em. Hat er recht?

Wenn Kickl – ohne zu differenzi­eren – die Identitäre­n als „NGO von rechts“bezeichnet, begibt er sich damit in das Lager der Rechtsextr­emen. Wenn Kickl den Bundespräs­identen als „Mumie in der Hofburg“abkanzelt, wenn er Menschen als „fette Spinnen“zu Ungeziefer abwertet, erinnert mich das an sehr dunkle Zeiten. Das ist menschenve­rachtend. Seine Art, Politik zu machen, schließt eine Regierungs­zusammenar­beit aus. Kickl ist in der FPÖ unumstritt­en, andere Blaue reden genau wie er. Wieso sollte die FPÖ plötzlich eine andere sein, wenn er nicht mehr an ihrer Spitze stünde?

Weil er die FPÖ zur Führerpart­ei gemacht hat. Niemand in der Partei traut sich, den Mund aufzumache­n. Der Letzte, der das getan hat, war Andreas Mölzer. Den wollte Kickl sofort ausschließ­en. Die FPÖ unter Norbert Steger war eine andere. Das ist mehr als 30 Jahre her.

Ja, aber die FPÖ wird es nach Kickl noch geben. Es ist zu hoffen, dass sie dann wieder eine andere Entwicklun­g nimmt. Wie viele Perioden wollen Sie im Europaparl­ament sitzen?

Meine erste Perspektiv­e reicht bis zum 9. Juni, danach werde ich alles tun, österreich­ische Interessen durchzuset­zen. Im Gegensatz zum österreich­ischen Parlament habe ich die Gewissheit, dass die Periode fünf Jahre dauert.

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[Clemens Fabry] Der 64-jährige Ex-Klubchef Reinhold Lopatka führt die ÖVP-Liste bei der EU-Wahl im Juni an.

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