„Politische Bestellung ist nicht unüblich“
VwGH-Präsident Rudolf Thienel musste schmunzeln, weil die Regierung seinen Nachfolger schon paktiert hat. Die Gerichtsreform sei ein Erfolg gewesen, die neue Informationsfreiheit werde für Antragsteller nicht viel ändern.
Die Presse: Was halten Sie davon, dass die Regierung 14 Monate gebraucht hat, um die vakante Spitze des größten Gerichts Österreichs, des Bundesverwaltungsgerichts, zu besetzen?
Rudolf Thienel: Ich bin sehr froh, dass endlich eine Entscheidung getroffen wurde. 14 Monate war zu lang. Ich finde es bedauerlich, dass durch die Diskussion dieses Gericht dermaßen in eine politische Diskussion gezogen wurde.
Wie finden Sie es, dass Sabine Matejka als von der Besetzungskommission Erstgereihte nicht Präsidentin werden durfte?
Alle, die in diesem Vorschlag genannt wurden und in den Medien kolportiert wurden, sind hervorragend geeignet. Christian Filzwieser kennt das Gericht und wird sicher in der Lage sein, es sehr gut zu führen. Das Gesetz sieht einen Dreiervorschlag vor, womit die Regierung eine Auswahlmöglichkeit hat. Eine Reihung des Vorschlags ist im Gesetz nicht vorgesehen und daher auch nicht bindend. Dass die Regierung dann von der Reihung abweicht, ist nicht a priori illegitim. Ich verstehe die Judikatur der internationalen Instanzen aber so, dass man dafür eine Begründung haben sollte.
Man könnte meinen, die von der Kommission Erstgereihte wäre die Bestqualifizierte.
Das will ich nicht beurteilen.
Im türkis-grünen Sideletter war vorgesehen, dass die ÖVP den Präsidenten, die Grünen den Vizepräsidenten des VwGH nominieren, falls hier etwas frei wird. Sie gehen aber erst 2025 in Pension. Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie gehört haben, dass Ihre Stelle schon paktiert ist?
Ich habe geschmunzelt, weil meine Amtszeit länger als die Legislaturperiode ist.
Neu sind solche Überlegungen nicht. Sie sind 2014 als ÖVP-Mitglied Präsident geworden, Ihre Stellvertreterin, Anna Sporrer, ist der SPÖ zuzuordnen.
Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich der ÖVP angehöre. Für mich ist ganz klar: Es gibt eine strikte Trennung zwischen der eigenen persönlichen Anschauung und der Ausübung des Amtes. Andererseits wäre es eine Diskriminierung, Persönlichkeiten nur deshalb, weil sie einer politischen Partei angehören, von einer Funktion auszuschließen.
Was war Ihr Motiv, der ÖVP beizutreten?
Ich komme aus einer Familie, die in dritter Generation der ÖVP zugehörig ist. Ich bin so sozialisiert, das ist meine Wertegemeinschaft.
Sind Sie mit dem Auftreten der ÖVP momentan zufrieden?
Darf ich das bitte nicht kommentieren müssen?
Für die Spitze des VwGH gibt es bisher keine Besetzungsvorschläge. Sollte das geändert werden? Auch beim Obersten Gerichtshof gibt es dafür neuer
dings eine Kommission, von deren Vorschlag die Politik nur mit Begründung abweichen darf.
Es ist bis jetzt so vorgesehen, dass die Präsidentenebene beim VwGH und VfGH von der politischen Ebene frei bestellt wird. Das ist ein Modell, das in der heutigen Zeit der Transparenz ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Andererseits hat man gerade beim Bundesverwaltungsgericht gesehen, dass das Modell von Besetzungskommissionen auch nicht unbedingt glücklich ist. Rein politische Bestellungen sind aber auch in anderen Ländern nicht unüblich – schauen Sie nach Deutschland. Auch der EGMR und der EuGH sagen, dass eine rein politische Bestellung nicht unzulässig ist. Sie verlangen allerdings klare Kriterien für die Bestellung und die Sicherheit der Unabhängigkeit nach der Ernennung.
Die zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zehn Jahre alt. Wie hat sie sich bewährt?
Das war ein voller Erfolg. Das Ziel war, ein System zu schaffen, das den europarechtlichen Anforderungen an eine unabhängige Gerichtsbarkeit entspricht. Man wollte auch die Verfahren relativ rasch machen. Insgesamt dauern die Verfahren bei den Verwaltungsgerichten im Schnitt weniger als sechs Monate. Und weit mehr als 90 Prozent der Entscheidungen werden rechtskräftig. Das zeigt die Akzeptanz. Man wollte auch den VwGH entlasten, die Einführung des Zulassungssystems, wonach die Revision nur für eine wichtige Rechtsfrage zulässig ist, hat sich extrem gut bewährt.
Am Landesverwaltungsgericht Wien werden Mitglieder, die zwei Jahre hindurch als nicht entsprechend beurteilt werden, entlassen. Alle anderen Richter, denen das passieren würde, würden in den Ruhestand versetzt werden. Ist das in Ordnung?
Ja, das ist Föderalismus. Man muss aber sagen: Diese Beurteilungen werden durch ein richterliches Gremium vorgenommen, den Personalsenat. Und diese Entscheidung unterliegt der Kontrolle durch den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof.
Aber inhaltlich prüfen Sie ja die Entscheidungen nicht, weil sie als eine Art Gutachten angesehen werden.
Ja, aber wir verlangen schon eine schlüssige Begründung dafür.
FPÖ-Chef Herbert Kickl sagt: „Wenn jemand glaubt, er kann unserer Werte angreifen, dann können wir auch eine Rechtslage herstellen, dass man solchen Leuten die Staatsbürgerschaft auch wieder entziehen kann.“Wäre das möglich?
Nach dem geltenden Staatsbürgerschaftsgesetz geht das nicht. Und Artikel 3 des vierten Zusatzprotokolls zur EMRK verbietet die Ausweisung eigener Staatsangehöriger. Es gibt in der Lehre durchaus die Meinung, ein Entzug der Staatsangehörigkeit, um die Ausweisung zu ermöglichen, wäre auch EMRK-rechtlich nicht zulässig. Selbst ein Nichtstaatsbürger kann nicht ohne Weiteres ausgewiesen werden, dazu gibt es Judikatur des EGMR und des VfGH. Es gibt neuerdings eine sehr ausgefeilte Judikatur des Europäischen Gerichtshofes zum Entzug der Staatsangehörigkeit. Der EuGH verlangt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dann gibt es ein Europaratsabkommen, das regelt genau, welche Fälle einer Entziehung der Staatsangehörigkeit zulässig sind. Also hier bewegen wir uns schon in einem sehr abgesteckten rechtlichen Rahmen.
Wie viel Arbeit an Ihrem Gericht entfällt auf das Fremdenrecht?
2023 hatten wir insgesamt 6883 neue Verfahren. Davon waren 2585 eigentliche Asylsachen. Und an sonstigen fremdenrechtlichen Verfahren – das reicht von humanitärem Aufenthalt nach dem Asylgesetz über Rückkehrentscheidunglaube gen und Aufenthaltserlaubnis bis zu Niederlassungsbewilligungen – gab es zusammen 649 Verfahren. Also man kann sagen, deutlich mehr als 3000 unserer Verfahren sind im Bereich Fremden- und Asylrecht, das sind wesentlich mehr als 40 Prozent.
Es wird in dem Bereich viel prozessiert, ist das Fremdenrecht zu kompliziert?
Wir haben oft Fälle, die schauen sehr ähnlich aus: Syrische Staatsangehörige, die bei uns in der Regel subsidiären Schutz bekommen und dann versuchen, im Wege der Revision noch den Asylstatus zu erlangen, der ihnen mehr Rechte verschafft. Dann gibt es ein breites Spektrum der Rückkehrentscheidungen wegen strafrechtlicher Verurteilungen und Ähnlichem. Und natürlich kämpfen die Leute, das muss man akzeptieren, das ist für sie lebenswichtig, und das muss man rasch und zügig erledigen.
Sie haben vorhin die Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs durch die Verwaltungsgerichte erster Instanz erwähnt. Könnte man den Verwaltungsgerichtshof angesichts dieser Entlastung eigentlich verkleinern?
Das hat mich ein Politiker auch schon mal gefragt. Wir sind jetzt, ich, von der Größe, was die Richterzahl angeht, dort, wo wir sagen, wir können das bewältigen. Und damit hat die Reform das erreicht, was das Ziel war. Wenn man die Richterzahl verringert, hätten wir wieder eine lange Verfahrensdauer.
Erwarten Sie durch die Informationsfreiheit, die in der Vorwoche vom Nationalrat beschlossen wurde, eine steigende Anzahl an Beschwerden?
Als man das Auskunftspflichtrecht 1988 eingeführt hat, war da die Befürchtung, es werde eine Welle an Verfahren kommen, das ist nicht eingetreten. Und de facto ist vieles von dem, was jetzt im Informationsfreiheitsgesetz drinsteht, schon geltendes Recht beziehungsweise durch die Judikatur gerade des Verwaltungsgerichtshofs auch schon judiziert. Was wirklich neu ist und was einen Fortschritt an Transparenz bringt, ist die proaktive Veröffentlichungspflicht.
Das heißt für Leute, die von sich aus Auskunft begehren, wird sich gar nicht so viel ändern.
Da wird sich nicht sehr viel ändern.
Wie finden Sie es, dass kleine Gemeinden auch weiterhin nicht proaktiv Informationen veröffentlichen müssen?
Das ist eine politische Entscheidung. Ich verstehe die Gemeinden schon, dass sie damit schwer umgehen, denn es ist ein großer administrativer Aufwand. Politik ist die Kunst des Möglichen.
Hätten Sie als politischer Mensch selbst Interesse an einem politischen Amt?
Ich fühle mich als Richter sehr wohl. Erinnern Sie sich noch an den Herrn Withalm (Hermann Withalm, ÖVP-Politiker, Anm.)? Der hat einen schönen Satz geprägt, an den ich mich auch halte: Nihil petere, nihil recusare (nichts anstreben, nichts ausschlagen, Anm.). Ich strebe nicht aktiv ein politisches Amt an.