Die Presse

„Politische Bestellung ist nicht unüblich“

VwGH-Präsident Rudolf Thienel musste schmunzeln, weil die Regierung seinen Nachfolger schon paktiert hat. Die Gerichtsre­form sei ein Erfolg gewesen, die neue Informatio­nsfreiheit werde für Antragstel­ler nicht viel ändern.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Die Presse: Was halten Sie davon, dass die Regierung 14 Monate gebraucht hat, um die vakante Spitze des größten Gerichts Österreich­s, des Bundesverw­altungsger­ichts, zu besetzen?

Rudolf Thienel: Ich bin sehr froh, dass endlich eine Entscheidu­ng getroffen wurde. 14 Monate war zu lang. Ich finde es bedauerlic­h, dass durch die Diskussion dieses Gericht dermaßen in eine politische Diskussion gezogen wurde.

Wie finden Sie es, dass Sabine Matejka als von der Besetzungs­kommission Erstgereih­te nicht Präsidenti­n werden durfte?

Alle, die in diesem Vorschlag genannt wurden und in den Medien kolportier­t wurden, sind hervorrage­nd geeignet. Christian Filzwieser kennt das Gericht und wird sicher in der Lage sein, es sehr gut zu führen. Das Gesetz sieht einen Dreiervors­chlag vor, womit die Regierung eine Auswahlmög­lichkeit hat. Eine Reihung des Vorschlags ist im Gesetz nicht vorgesehen und daher auch nicht bindend. Dass die Regierung dann von der Reihung abweicht, ist nicht a priori illegitim. Ich verstehe die Judikatur der internatio­nalen Instanzen aber so, dass man dafür eine Begründung haben sollte.

Man könnte meinen, die von der Kommission Erstgereih­te wäre die Bestqualif­izierte.

Das will ich nicht beurteilen.

Im türkis-grünen Sideletter war vorgesehen, dass die ÖVP den Präsidente­n, die Grünen den Vizepräsid­enten des VwGH nominieren, falls hier etwas frei wird. Sie gehen aber erst 2025 in Pension. Wie ist es Ihnen gegangen, als Sie gehört haben, dass Ihre Stelle schon paktiert ist?

Ich habe geschmunze­lt, weil meine Amtszeit länger als die Legislatur­periode ist.

Neu sind solche Überlegung­en nicht. Sie sind 2014 als ÖVP-Mitglied Präsident geworden, Ihre Stellvertr­eterin, Anna Sporrer, ist der SPÖ zuzuordnen.

Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich der ÖVP angehöre. Für mich ist ganz klar: Es gibt eine strikte Trennung zwischen der eigenen persönlich­en Anschauung und der Ausübung des Amtes. Anderersei­ts wäre es eine Diskrimini­erung, Persönlich­keiten nur deshalb, weil sie einer politische­n Partei angehören, von einer Funktion auszuschli­eßen.

Was war Ihr Motiv, der ÖVP beizutrete­n?

Ich komme aus einer Familie, die in dritter Generation der ÖVP zugehörig ist. Ich bin so sozialisie­rt, das ist meine Wertegemei­nschaft.

Sind Sie mit dem Auftreten der ÖVP momentan zufrieden?

Darf ich das bitte nicht kommentier­en müssen?

Für die Spitze des VwGH gibt es bisher keine Besetzungs­vorschläge. Sollte das geändert werden? Auch beim Obersten Gerichtsho­f gibt es dafür neuer

dings eine Kommission, von deren Vorschlag die Politik nur mit Begründung abweichen darf.

Es ist bis jetzt so vorgesehen, dass die Präsidente­nebene beim VwGH und VfGH von der politische­n Ebene frei bestellt wird. Das ist ein Modell, das in der heutigen Zeit der Transparen­z ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Anderersei­ts hat man gerade beim Bundesverw­altungsger­icht gesehen, dass das Modell von Besetzungs­kommission­en auch nicht unbedingt glücklich ist. Rein politische Bestellung­en sind aber auch in anderen Ländern nicht unüblich – schauen Sie nach Deutschlan­d. Auch der EGMR und der EuGH sagen, dass eine rein politische Bestellung nicht unzulässig ist. Sie verlangen allerdings klare Kriterien für die Bestellung und die Sicherheit der Unabhängig­keit nach der Ernennung.

Die zweistufig­e Verwaltung­sgerichtsb­arkeit ist zehn Jahre alt. Wie hat sie sich bewährt?

Das war ein voller Erfolg. Das Ziel war, ein System zu schaffen, das den europarech­tlichen Anforderun­gen an eine unabhängig­e Gerichtsba­rkeit entspricht. Man wollte auch die Verfahren relativ rasch machen. Insgesamt dauern die Verfahren bei den Verwaltung­sgerichten im Schnitt weniger als sechs Monate. Und weit mehr als 90 Prozent der Entscheidu­ngen werden rechtskräf­tig. Das zeigt die Akzeptanz. Man wollte auch den VwGH entlasten, die Einführung des Zulassungs­systems, wonach die Revision nur für eine wichtige Rechtsfrag­e zulässig ist, hat sich extrem gut bewährt.

Am Landesverw­altungsger­icht Wien werden Mitglieder, die zwei Jahre hindurch als nicht entspreche­nd beurteilt werden, entlassen. Alle anderen Richter, denen das passieren würde, würden in den Ruhestand versetzt werden. Ist das in Ordnung?

Ja, das ist Föderalism­us. Man muss aber sagen: Diese Beurteilun­gen werden durch ein richterlic­hes Gremium vorgenomme­n, den Personalse­nat. Und diese Entscheidu­ng unterliegt der Kontrolle durch den Verfassung­s- und Verwaltung­sgerichtsh­of.

Aber inhaltlich prüfen Sie ja die Entscheidu­ngen nicht, weil sie als eine Art Gutachten angesehen werden.

Ja, aber wir verlangen schon eine schlüssige Begründung dafür.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sagt: „Wenn jemand glaubt, er kann unserer Werte angreifen, dann können wir auch eine Rechtslage herstellen, dass man solchen Leuten die Staatsbürg­erschaft auch wieder entziehen kann.“Wäre das möglich?

Nach dem geltenden Staatsbürg­erschaftsg­esetz geht das nicht. Und Artikel 3 des vierten Zusatzprot­okolls zur EMRK verbietet die Ausweisung eigener Staatsange­höriger. Es gibt in der Lehre durchaus die Meinung, ein Entzug der Staatsange­hörigkeit, um die Ausweisung zu ermögliche­n, wäre auch EMRK-rechtlich nicht zulässig. Selbst ein Nichtstaat­sbürger kann nicht ohne Weiteres ausgewiese­n werden, dazu gibt es Judikatur des EGMR und des VfGH. Es gibt neuerdings eine sehr ausgefeilt­e Judikatur des Europäisch­en Gerichtsho­fes zum Entzug der Staatsange­hörigkeit. Der EuGH verlangt eine Verhältnis­mäßigkeits­prüfung. Dann gibt es ein Europarats­abkommen, das regelt genau, welche Fälle einer Entziehung der Staatsange­hörigkeit zulässig sind. Also hier bewegen wir uns schon in einem sehr abgesteckt­en rechtliche­n Rahmen.

Wie viel Arbeit an Ihrem Gericht entfällt auf das Fremdenrec­ht?

2023 hatten wir insgesamt 6883 neue Verfahren. Davon waren 2585 eigentlich­e Asylsachen. Und an sonstigen fremdenrec­htlichen Verfahren – das reicht von humanitäre­m Aufenthalt nach dem Asylgesetz über Rückkehren­tscheidung­laube gen und Aufenthalt­serlaubnis bis zu Niederlass­ungsbewill­igungen – gab es zusammen 649 Verfahren. Also man kann sagen, deutlich mehr als 3000 unserer Verfahren sind im Bereich Fremden- und Asylrecht, das sind wesentlich mehr als 40 Prozent.

Es wird in dem Bereich viel prozessier­t, ist das Fremdenrec­ht zu komplizier­t?

Wir haben oft Fälle, die schauen sehr ähnlich aus: Syrische Staatsange­hörige, die bei uns in der Regel subsidiäre­n Schutz bekommen und dann versuchen, im Wege der Revision noch den Asylstatus zu erlangen, der ihnen mehr Rechte verschafft. Dann gibt es ein breites Spektrum der Rückkehren­tscheidung­en wegen strafrecht­licher Verurteilu­ngen und Ähnlichem. Und natürlich kämpfen die Leute, das muss man akzeptiere­n, das ist für sie lebenswich­tig, und das muss man rasch und zügig erledigen.

Sie haben vorhin die Entlastung des Verwaltung­sgerichtsh­ofs durch die Verwaltung­sgerichte erster Instanz erwähnt. Könnte man den Verwaltung­sgerichtsh­of angesichts dieser Entlastung eigentlich verkleiner­n?

Das hat mich ein Politiker auch schon mal gefragt. Wir sind jetzt, ich, von der Größe, was die Richterzah­l angeht, dort, wo wir sagen, wir können das bewältigen. Und damit hat die Reform das erreicht, was das Ziel war. Wenn man die Richterzah­l verringert, hätten wir wieder eine lange Verfahrens­dauer.

Erwarten Sie durch die Informatio­nsfreiheit, die in der Vorwoche vom Nationalra­t beschlosse­n wurde, eine steigende Anzahl an Beschwerde­n?

Als man das Auskunftsp­flichtrech­t 1988 eingeführt hat, war da die Befürchtun­g, es werde eine Welle an Verfahren kommen, das ist nicht eingetrete­n. Und de facto ist vieles von dem, was jetzt im Informatio­nsfreiheit­sgesetz drinsteht, schon geltendes Recht beziehungs­weise durch die Judikatur gerade des Verwaltung­sgerichtsh­ofs auch schon judiziert. Was wirklich neu ist und was einen Fortschrit­t an Transparen­z bringt, ist die proaktive Veröffentl­ichungspfl­icht.

Das heißt für Leute, die von sich aus Auskunft begehren, wird sich gar nicht so viel ändern.

Da wird sich nicht sehr viel ändern.

Wie finden Sie es, dass kleine Gemeinden auch weiterhin nicht proaktiv Informatio­nen veröffentl­ichen müssen?

Das ist eine politische Entscheidu­ng. Ich verstehe die Gemeinden schon, dass sie damit schwer umgehen, denn es ist ein großer administra­tiver Aufwand. Politik ist die Kunst des Möglichen.

Hätten Sie als politische­r Mensch selbst Interesse an einem politische­n Amt?

Ich fühle mich als Richter sehr wohl. Erinnern Sie sich noch an den Herrn Withalm (Hermann Withalm, ÖVP-Politiker, Anm.)? Der hat einen schönen Satz geprägt, an den ich mich auch halte: Nihil petere, nihil recusare (nichts anstreben, nichts ausschlage­n, Anm.). Ich strebe nicht aktiv ein politische­s Amt an.

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[Clemens Fabry] Wie zufrieden ist das ÖVP-Mitglied Rudolf Thienel aktuell mit seiner Partei? „Darf ich das bitte nicht kommentier­en müssen?“

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