Die Presse

Rüge für Gerichts-Chef: Weisung ist unwirksam

Höchstgeri­cht ortet Versuch eines unzulässig­en Eingriffs in die Rechtsprec­hung.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Richter unterliege­n in ihrer Kerntätigk­eit, Recht zu sprechen, keinen Weisungen. Das ist ein zentrales Element ihrer Unabhängig­keit ; Entscheidu­ngen unterliege­n demnach ausschließ­lich der Kontrolle im Instanzenz­ug.

Am Landesverw­altungsger­icht Wien versuchte der Präsident, Dieter Kolonovits, einer Richterin mittels einer „Mitteilung“eine Richtung vorzugeben. Vergeblich, wie jetzt eine Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VwGH) zeigt.

Der Fall nahm seinen Ausgang beim Wiener Magistrat, der mit Entscheidu­ngen des Gerichts unzufriede­n war: Dieses hatte eine Kürzung der bedarfsori­entierten Mindestsic­herung aufgehoben, und zwar durch eine Rechtspfle­gerin. Statt dagegen eine Vorstellun­g an die vorgesetzt­e Richterin zu erheben, schaltete der Magistrat die Volksanwal­tschaft ein. Und die ortete eine grobe Verkennung der Rechtslage, die ihr auch schon bei anderen Landesrech­tspflegern aufgefalle­n sei.

Deshalb fragte sie bei Kolonovits nach, wie die Rechtspfle­ger geschult würden und welche Kontroll- und Qualitätss­icherungss­ysteme am Gericht eingericht­et seien. Kolonovits teilte daraufhin der Richterin mit, was die Volksanwal­tschaft von der Entscheidu­ng hielt. Und dass die Richterin die ihr zugeordnet­e Rechtspfle­gerin „angemessen zu beaufsicht­igen“habe. Diese Mitteilung ging auch gleich in den Personalak­t der Richterin, was für ein etwaiges späteres Disziplina­rverfahren relevant sein könnte.

Die Richterin wehrte sich gegen beides, gegen die Mitteilung wie gegen deren Dokumentat­ion. Doch weder rückte der Präsident selbst davon ab, noch sah das Bundesverw­altungsger­icht die Frau in ihren Rechten verletzt.

Unzuständi­ges Organ

Immerhin ließ es eine Revision zu, weil der VwGH noch nie entschiede­n habe, ob Richter ein durchsetzb­ares Recht auf ihre Unabhängig­keit hätten. Genau darauf gab das Höchstgeri­cht zwar keine Antwort; trotzdem bekam die Richterin Recht. Die fragliche Mitteilung könne nur als Weisung verstanden werden, so der VwGH: Die Richterin sollte verpflicht­et werden, die Rechtspfle­gerin „dazu anzuhalten, künftig keine Entscheidu­ngen mehr in dem von der Volksanwal­tschaft als grobe Verkennung der Rechtslage beanstande­ten Sinn zu treffen“(Ro 2022/12/0029).

Für eine solche Weisung fehle aber jede Rechtsgrun­dlage; sie wurde also von einem unzuständi­gen Organ erlassen und war nicht zu befolgen. Gegen den Vermerk im Personalak­t sieht der VwGH jedoch keine Handhabe.

Dass die Rechtspfle­gerin die Rechtslage verkannt hätte, ist laut Kennern der Materie indes durch nichts belegt.

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[Benedikt Kommenda] Landesverw­altungsger­icht im Amtshaus der Stadt Wien in der Muthgasse.

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