Rüge für Gerichts-Chef: Weisung ist unwirksam
Höchstgericht ortet Versuch eines unzulässigen Eingriffs in die Rechtsprechung.
Wien. Richter unterliegen in ihrer Kerntätigkeit, Recht zu sprechen, keinen Weisungen. Das ist ein zentrales Element ihrer Unabhängigkeit ; Entscheidungen unterliegen demnach ausschließlich der Kontrolle im Instanzenzug.
Am Landesverwaltungsgericht Wien versuchte der Präsident, Dieter Kolonovits, einer Richterin mittels einer „Mitteilung“eine Richtung vorzugeben. Vergeblich, wie jetzt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) zeigt.
Der Fall nahm seinen Ausgang beim Wiener Magistrat, der mit Entscheidungen des Gerichts unzufrieden war: Dieses hatte eine Kürzung der bedarfsorientierten Mindestsicherung aufgehoben, und zwar durch eine Rechtspflegerin. Statt dagegen eine Vorstellung an die vorgesetzte Richterin zu erheben, schaltete der Magistrat die Volksanwaltschaft ein. Und die ortete eine grobe Verkennung der Rechtslage, die ihr auch schon bei anderen Landesrechtspflegern aufgefallen sei.
Deshalb fragte sie bei Kolonovits nach, wie die Rechtspfleger geschult würden und welche Kontroll- und Qualitätssicherungssysteme am Gericht eingerichtet seien. Kolonovits teilte daraufhin der Richterin mit, was die Volksanwaltschaft von der Entscheidung hielt. Und dass die Richterin die ihr zugeordnete Rechtspflegerin „angemessen zu beaufsichtigen“habe. Diese Mitteilung ging auch gleich in den Personalakt der Richterin, was für ein etwaiges späteres Disziplinarverfahren relevant sein könnte.
Die Richterin wehrte sich gegen beides, gegen die Mitteilung wie gegen deren Dokumentation. Doch weder rückte der Präsident selbst davon ab, noch sah das Bundesverwaltungsgericht die Frau in ihren Rechten verletzt.
Unzuständiges Organ
Immerhin ließ es eine Revision zu, weil der VwGH noch nie entschieden habe, ob Richter ein durchsetzbares Recht auf ihre Unabhängigkeit hätten. Genau darauf gab das Höchstgericht zwar keine Antwort; trotzdem bekam die Richterin Recht. Die fragliche Mitteilung könne nur als Weisung verstanden werden, so der VwGH: Die Richterin sollte verpflichtet werden, die Rechtspflegerin „dazu anzuhalten, künftig keine Entscheidungen mehr in dem von der Volksanwaltschaft als grobe Verkennung der Rechtslage beanstandeten Sinn zu treffen“(Ro 2022/12/0029).
Für eine solche Weisung fehle aber jede Rechtsgrundlage; sie wurde also von einem unzuständigen Organ erlassen und war nicht zu befolgen. Gegen den Vermerk im Personalakt sieht der VwGH jedoch keine Handhabe.
Dass die Rechtspflegerin die Rechtslage verkannt hätte, ist laut Kennern der Materie indes durch nichts belegt.