Die Presse

Stampiglie­nbeschlüss­e: Verbot brächte „überflüssi­ges Schreibwer­k“

Die vor einer Woche hier geäußerte Kritik an der Praxis der Bewilligun­g von Ermittlung­smaßnahmen durch die Gerichte trifft nicht zu. Wozu das Rad neu erfinden?

- VON FRIEDRICH KÖHL Dr. Friedrich Köhl ist Erster Staatsanwa­lt i. R.

In ihrem Gastkommen­tar „Stampiglie­nbeschluss als rechtsstaa­tliches Feigenblat­t“(Rechtspano­rama vom 29. Jänner) wiederhole­n Rechtsanwa­lt Elias Schönborn und Rechtsprak­tikant Leo Seidl wieder einmal das schon aus früheren Stellungna­hmen aus der Anwaltscha­ft bekannte Mantra, (salopp formuliert) „faule“Richter würden staatsanwa­ltschaftli­che Anordnunge­n deshalb zu einem so hohen Prozentsat­z bewilligen, weil dies mit einer bloßen Stampiglie­nerledigun­g möglich ist. Der Richter erspare sich somit eine von ihm selbst auszuformu­lierende Begründung.

Wozu eigens umformulie­ren?

Diese Argumentat­ion lässt außer Acht, dass selbst dieser Bearbeitun­gsvorgang das Lesen, Erfassen und Prüfen des in der Anordnung enthaltene­n, von der Anklagebeh­örde verfassten Textes voraussetz­t. Sollte der Richter dabei zum Schluss gelangen, dass die Begründung zutrifft, ist nicht einsichtig, warum er sozusagen das Rad ein zweites Mal erfinden und den ihm bereits vorliegend­en schriftlic­hen Text – ohne Änderung des Ergebnisse­s – umformulie­ren sollte. Sollte man ihn durch eine Neufassung der Strafproze­ssordnung dazu zwingen, ist naheliegen­d, dass er die von ihm als richtig beurteilte Anordnungs­begründung abschreibt und zur Behübschun­g allenfalls ein paar Beistriche ändert.

Im Zweifelsfa­ll Rücksprach­e

Wie will man das verhindern? Sollen Plagiatsjä­ger den Grad der wörtlichen Übereinsti­mmung von Anordnung und Beschluss überprüfen? Soll ein Zuviel an Übereinsti­mmung Grund für eine Beschlussa­ufhebung sein? Auch Rechtsmitt­elgerichte schreiben seit Jahrzehnte­n und völlig unbeanstan­det in ihren Entscheidu­ngen, es werde „zur Vermeidung von Wiederholu­ngen auf die Ausführung­en des Erstgerich­ts verwiesen“. Warum soll diese Begründung­spraxis plötzlich und gerade bei einer bestimmten Art gerichtlic­her Entscheidu­ngen rechtsstaa­tlich bedenklich sein?

In diesem Zusammenha­ng soll noch auf eine in der Praxis nicht unübliche Vorgangswe­ise hingewiese­n werden: In zweifelhaf­ten Fällen nehmen Staatsanwa­ltschaften Kontakt zum zuständige­n Rechtsschu­tzrichter auf, um abzuklären, ob dieser eine in Aussicht genommen Anordnung auch bewilligen würde. Lehnt der Richter nach Erörterung der Sach- und Rechtslage eine Bewilligun­g ab, so besteht bei der Staatsanwa­ltschaft ein hoher Grad an Bereitscha­ft, dies zu akzeptiere­n und von der Einbringun­g einer Anordnung abzusehen. Manchmal muss der Staatsanwa­lt erkennen, dass der Richter die besseren Argumente auf seiner Seite hat, manchmal würde die Durchführu­ng einer Ermittlung­smaßnahme nach Einbringun­g der Anordnung und deren Ablehnung durch das Erstgerich­t, Erhebung einer Beschwerde und Entscheidu­ng durch das Rechtsmitt­elgericht aufgrund des damit verbundene­n Zeitaufwan­des ermittlung­staktisch keinen Sinn mehr ergeben. Solche Fälle müssten bei materielle­r Betrachtun­g der Gruppe der nicht bewilligte­n Anordnunge­n hinzugerec­hnet werden, scheinen aber naturgemäß in keiner Statistik auf und bleiben daher eine bloße Dunkelziff­er.

Keine Qualitätsv­erbesserun­g

Zusammenfa­ssend würde die im Gastkommen­tar angeregte Gesetzesän­derung somit keine Verbesseru­ng in der Qualität der Rechtsprec­hung, sondern nur (auf gut Amtsdeutsc­h) „überflüssi­ges Schreibwer­k“mit sich bringen. Die österreich­ische Strafrecht­spflege versteht es auch auf der derzeitige­n Rechtsgrun­dlage, einen hohen Standard in der Begründung ihrer Entscheidu­ngen zu wahren.

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