Stampiglienbeschlüsse: Verbot brächte „überflüssiges Schreibwerk“
Die vor einer Woche hier geäußerte Kritik an der Praxis der Bewilligung von Ermittlungsmaßnahmen durch die Gerichte trifft nicht zu. Wozu das Rad neu erfinden?
In ihrem Gastkommentar „Stampiglienbeschluss als rechtsstaatliches Feigenblatt“(Rechtspanorama vom 29. Jänner) wiederholen Rechtsanwalt Elias Schönborn und Rechtspraktikant Leo Seidl wieder einmal das schon aus früheren Stellungnahmen aus der Anwaltschaft bekannte Mantra, (salopp formuliert) „faule“Richter würden staatsanwaltschaftliche Anordnungen deshalb zu einem so hohen Prozentsatz bewilligen, weil dies mit einer bloßen Stampiglienerledigung möglich ist. Der Richter erspare sich somit eine von ihm selbst auszuformulierende Begründung.
Wozu eigens umformulieren?
Diese Argumentation lässt außer Acht, dass selbst dieser Bearbeitungsvorgang das Lesen, Erfassen und Prüfen des in der Anordnung enthaltenen, von der Anklagebehörde verfassten Textes voraussetzt. Sollte der Richter dabei zum Schluss gelangen, dass die Begründung zutrifft, ist nicht einsichtig, warum er sozusagen das Rad ein zweites Mal erfinden und den ihm bereits vorliegenden schriftlichen Text – ohne Änderung des Ergebnisses – umformulieren sollte. Sollte man ihn durch eine Neufassung der Strafprozessordnung dazu zwingen, ist naheliegend, dass er die von ihm als richtig beurteilte Anordnungsbegründung abschreibt und zur Behübschung allenfalls ein paar Beistriche ändert.
Im Zweifelsfall Rücksprache
Wie will man das verhindern? Sollen Plagiatsjäger den Grad der wörtlichen Übereinstimmung von Anordnung und Beschluss überprüfen? Soll ein Zuviel an Übereinstimmung Grund für eine Beschlussaufhebung sein? Auch Rechtsmittelgerichte schreiben seit Jahrzehnten und völlig unbeanstandet in ihren Entscheidungen, es werde „zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Erstgerichts verwiesen“. Warum soll diese Begründungspraxis plötzlich und gerade bei einer bestimmten Art gerichtlicher Entscheidungen rechtsstaatlich bedenklich sein?
In diesem Zusammenhang soll noch auf eine in der Praxis nicht unübliche Vorgangsweise hingewiesen werden: In zweifelhaften Fällen nehmen Staatsanwaltschaften Kontakt zum zuständigen Rechtsschutzrichter auf, um abzuklären, ob dieser eine in Aussicht genommen Anordnung auch bewilligen würde. Lehnt der Richter nach Erörterung der Sach- und Rechtslage eine Bewilligung ab, so besteht bei der Staatsanwaltschaft ein hoher Grad an Bereitschaft, dies zu akzeptieren und von der Einbringung einer Anordnung abzusehen. Manchmal muss der Staatsanwalt erkennen, dass der Richter die besseren Argumente auf seiner Seite hat, manchmal würde die Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme nach Einbringung der Anordnung und deren Ablehnung durch das Erstgericht, Erhebung einer Beschwerde und Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwandes ermittlungstaktisch keinen Sinn mehr ergeben. Solche Fälle müssten bei materieller Betrachtung der Gruppe der nicht bewilligten Anordnungen hinzugerechnet werden, scheinen aber naturgemäß in keiner Statistik auf und bleiben daher eine bloße Dunkelziffer.
Keine Qualitätsverbesserung
Zusammenfassend würde die im Gastkommentar angeregte Gesetzesänderung somit keine Verbesserung in der Qualität der Rechtsprechung, sondern nur (auf gut Amtsdeutsch) „überflüssiges Schreibwerk“mit sich bringen. Die österreichische Strafrechtspflege versteht es auch auf der derzeitigen Rechtsgrundlage, einen hohen Standard in der Begründung ihrer Entscheidungen zu wahren.