Die Presse

Florenz darf eine Hure sein, nur bitte keine Kurtisane

Die Direktorin der Accademia in Florenz hat den Massentour­ismus mit kräftigen Worten gegeißelt. Aber wohin soll die Reise gehen?

- VON KARL GAULHOFER E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

Wenn eine Stadt erst einmal zur Hure geworden ist, ist es für sie schwierig, wieder Jungfrau zu werden“: Also sprach vorige Woche Cecilie Hollberg, Direktorin der Galleria dell’Accademia in Florenz, jenes Museums, das Michelange­los „David“hütet. Sie geißelte damit, dass die Stadtregie­rung den Touristenm­assen keinen Einhalt gebiete. Im Palazzo Vecchio stellte man sich schützend vor die Florentine­r, die gar nicht gemeint, aber angeblich gekränkt wurden – von einer Deutschen noch dazu, die nur Gastrecht hat. „Hart und beleidigen­d“fand der Bürgermeis­ter ihre Worte, „irrsinnig“seine Vize, „schändlich“das frühere Stadtoberh­aupt, Ex-Premier Renzi, der die Geschmähte im Senat vorladen will. Auch Kulturmini­ster Sangiulian­o erwägt Schritte. Die regierende­n Postfaschi­sten wollen ja eh alle ausländisc­hen Kulturmana­ger durch solche mit italienisc­hem Blut ersetzen.

Dabei ist Hollbergs Invektive weniger derb als antiquiert: Die „meretrice“, besser als „Dirne“übersetzt, führt uns zurück zu Dantes „Inferno“oder zu den Predigten Savonarola­s, der einen korrupten Papst als „Hure Babylon“verdammte, was ihn auf den Scheiterha­ufen brachte. Später hat man ihm recht gegeben. Sollen wir auch Hollbergs Schmähung preisen? Sie platzierte sie – leicht absurd – in einer Pressekonf­erenz, in der sie stolz einen Besucherre­kord für ihr Museum verkündete. Aber dort sei ja alles sauber und geordnet. Trete sie aber auf die Straße, finde sie nur Schmutz, ambulante Händler und nächtliche Trunkenbol­de. Keine Handwerker mehr im Centro Storico, nur noch Souvenirlä­den. Deshalb müsse man eine „absolute Bremse“ziehen.

Viele Florentine­r sehen das ähnlich, wie auch Salzburger, Amsterdame­r und Prager. Aber wohin wollen sie zurück? In selige Zeiten, als nur die privilegie­rtesten Europäer einer Bildungsre­ise frönen konnten? Oder reichen ihnen ein paar Jahrzehnte retour, als China, Indien oder Brasilien noch Armenhäuse­r waren? Es könnte uns ja auch freuen, dass heute so viele die Schätze der Menschheit mit eigenen Augen sehen können. Dass so viele Schlange stehen, um Botticelli­s „Venus“oder die Domkuppel von innen zu bestaunen. Und auch nicht wenige der Aura wegen zum originalen „David“pilgern, statt sich mit der Kopie auf der Piazza della Signoria zu begnügen. Es soll sogar ein paar weichherzi­ge Weltbürger geben, denen all dies Tränen des Jubels in die Augen treibt.

Will man die Entwicklun­g von Altstädten staatlich steuern, wie in einer Diktatur mit Planwirtsc­haft? Eine freie Kommune hat wenig Spielraum: illegale Vermietung­en eindämmen oder die Tickets für Top-Spots einschränk­en und auf sonst übersehene Kostbarkei­ten umlenken. Man kann auch noch kräftiger in die Richtung steuern, die der Markt von selbst einschlägt: alles noch teurer – Edeltouris­mus. Aber dann wird die Stadt eben zur Edelhure, zur Kurtisane. Die Jungen bleiben dann fort, sehen weder „David“noch „Venus“, bis ihnen graue Haare wachsen. Wollen wir das? Übrigens: Sie gehen in Florenz nicht zu McDonald’s, sondern warten brav vor den typischen Läden, die Lampredott­o verkaufen, mit Kutteln gefüllte Semmeln. Köstlich für den, der’s mag. Wer nicht, soll eben an andere Orte reisen.

Es könnte uns ja auch freuen, dass heute so viele die Schätze der Menschheit mit ihren eigenen Augen sehen können.

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