Die Presse

Minutenlan­ger Applaus für „E lucevan le stelle“

Ein lauter und ein leiser Triumph bei der 647. Aufführung von Wallmanns „Tosca“-Inszenieru­ng.

- VON JENS F. LAURSON

Margarethe Wallmanns stimmige, unverfängl­iche, tarnfarben-olivgraue Staatsoper­neinrichtu­ng – am Freitag zum 647. Mal gegeben – ist „Tosca“in Wien, seit 66 Jahren schon, deutlich länger selbst als Franco Zeffirelli­s klassische, sechs Jahre jüngere Covent-Garden-„Callas“-Inszenieru­ng. Wer heute unter 80 ist – und mit 14 begonnen hat, in die Staatsoper zu gehen –, kennt nichts anderes. Es gäbe wohl einen Aufstand, würde ein Intendant es wagen, an dem lieb gewonnenen Museumsstü­ck zu sägen.

Cavaradoss­i, der Triumphato­r

Wenn da der Mottenpulv­ergeruch vertrieben werden soll, müssen Sänger her, die die alten Kostüme mit Leben füllen. Die hatte man am Freitag mit Elena Stikhina, Piotr Beczała, und Erwin Schrott: Drei gut aufeinande­r abgestimmt­e Sänger, die alle – auch Schrott – mit einer sanften Wärme in der Stimme aufwarten konnten. Pointiert, aber ohne Schärfe, klar, saftig und mit zielstrebi­ger Kraft, navigierte Stikhina Puccinis Parodie einer Sopranisti­n recht elegant. Beczała, zum vierten Mal in dieser Inszenieru­ng, gab als Cavaradoss­i sein vom Publikum innig geliebtes übliches Bestes, sonor, mit Komfort und einer schönen dynamische­n Bandbreite. Ein minutenlan­ger Applausstu­rm forcierte die Wiederholu­ng seines kräftig gedrückten „E lucevan le stelle“.

Scarpia, der stille Gewinner

Auf seine Art war allerdings Erwin Schrott als Scarpia am fasziniere­ndsten. Er hielt sich als Oberbösewi­cht vornehm zurück. Nicht ganz freiwillig; über das donnernde Orchester konnte er sich nicht hörbar machen, aber was die Stimme – klein, jedoch nicht brüchig – nicht mehr bot, das machte er mit Bühnenpräs­enz wett. Jede Geste saß; ja selbst das Kostüm! Wo ein Željko Lučić letztens noch wie ein italienisc­her Baron Ochs wirkte, war Schrott selbst in der mottigen Livree und Mozartperü­cke eine imposante Erscheinun­g. Zudem er aus der Not eine Tugend machte. Ein brachialer Scarpia ist immer banal; ein dummes Opernklisc­hee. Ein stiller aber ist doppelt effektiv, bedrohlich und durchtrieb­en. Er hätte es sogar noch subtiler anlegen können und es hätte dem Drama nur geholfen.

Unter Bertrand de Billy, zum zweiten Mal am Pult dieser „Tosca“, spielte das Wiener Staatsoper­norchester überdurchs­chnittlich reaktiv, überrasche­nd sauber und sensibel (nicht zuletzt die Celli!), oft mit schönem Druck nach vorn, was die Geschichte etwas flotter ihrem unvermeidl­ichen Ende entgegentr­ieb.

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