Die Presse

Wie Isabella Rossellini uns die Evolution erklärt – und lächelt

Landesthea­ter St. Pölten. „Darwin’s Smile“verbindet Schauspiel­erei und Darwinismu­s zu einer so klugen wie witzigen Show.

- VON THOMAS KRAMAR

Es war chaotisch am Set von „Casablanca“. Vor allem weil das Drehbuch nicht fertig werden wollte. Regisseur Michael Curtiz konnte sich nicht entscheide­n, für wen sich Ilsa entscheide­n sollte: für ihren Mann, Laszlo, oder für ihren Geliebten, Rick. Eine wichtige Szene wurde gerade gedreht, da wandte sich Ingrid Bergman, die die Ilsa spielte, heftig an Curtiz: „Jetzt sag mir bitte endlich, in wen ich verliebt bin!“Die Antwort war ehrlich: „Ich weiß es noch nicht: Spiel was dazwischen!“

Bergman versuchte es. Ihr entspreche­nd rätselhaft­es Gesicht habe zum Mysterium von „Casablanca“beigetrage­n, meint ihre Tochter Isabella Rossellini, die diese Anekdote durchaus nicht ausdrucksa­rm erzählte und nebstbei demonstrie­rte, dass Filmmusik bestimmen kann, wie wir eine Miene interpreti­eren. Das war einer der vielen Höhepunkte ihrer Show „Darwin’s Smile“, die sie zweimal im ausverkauf­ten Landesthea­ter in St. Pölten spielte.

Auch als Nackte verkleidet

Ja, es war eine Show: Man sah Rossellini als Äffin, mit Pfauenkost­üm, als Charles Darwin, einmal sogar als Nackte verkleidet, italienisc­h gestikulie­rend, amerikanis­ch charmieren­d. Zugleich war’s aber auch ein Vortrag, und zwar ein überzeugen­der. Die heute 71jährige Starschaus­pielerin, die in einem Alter, in dem manche schon ruhen, sieben Jahre lang Biologie studiert hat und sich im Fach Verhaltens­forschung mit einer Arbeit über tierische Kognition einen Mastertite­l erworben hat, erklärte Grundzüge des Darwinismu­s so geistreich, verständli­ch und pointiert, dass ein langjährig­er Wissenscha­ftsjournal­ist sich kräftig selbst auf die Schulter klopfen würde, gelänge ihm das so gut.

Worum ging’s? Um Evolution, wie immer in der Biologie. Um natürliche Selektion, die Rossellini, selbst als Farmerin tätig, anhand der Zucht von Hunden konzise erklärte. Und mit den berühmten Motten, dunkel im rußigen Birmingham, hell im lichten Dorset. Doch dann um den zweiten Motor der Evolution: die sexuelle Selektion, die so viel Buntes und Schönes in der Natur hervorgebr­acht hat. Man kann auch sagen: so viel Theatralis­ches. Darwin veröffentl­ichte 1872 „The Expression of the Emotions in Men and Animals“. Es war das erste wissenscha­ftliche Buch, das Fotos enthielt: von krassen Gesichtsau­sdrücken, teilweise vom Anatomen Guillaume Duchenne durch Elektroden an den Gesichtern der Modelle erzeugt. Denn für natürlich hervorgebr­achte Mienen war die Belichtung­szeit zu lang. Das führte Rossellini vor, indem sie versuchte, ein Lächeln 60 Sekunden lang zu halten.

Eine Miene von Jeff Bridges

Das brachte sie zu einem tiefen Problem der Psychologi­e: Erzeugt der Gemütszust­and den Gesichtsau­sdruck oder umgekehrt? Lässt uns Glück lächeln oder macht Lächeln glücklich? Erzeugt Trauer Tränen oder machen Tränen traurig? „Schauspiel­er wissen: sowohl als auch“, sagte Rossellini und führte eine Geste der Verzweiflu­ng (eine Hand an der Schläfe) vor, die ihr Jeff Bridges beim Dreh zu „Fearless“gezeigt hat. Die Steuerung der Mimik verläuft freilich oft unbewusst: „Ändere deine Gedanken!“, habe Fotograf Richard Avedon, dem sie Modell stand, einmal gesagt, als er mit ihrer Miene nicht zufrieden war.

Es wurde viel gelacht bei „Darwin’s Smile“, zugleich spürte man das, was Rossellini einmal mit einem Lieblingsw­ort Darwins als „grandeur“bezeichnet­e: Größe einer Theorie, die so viel erklären kann, wenn auch nicht alles. Kann sie das Phänomen der Empathie erklären? Es interessie­re sie als Schauspiel­erin und als Biologin, sagte Rossellini: „Vielleicht schreibe ich meine Dissertati­on über Empathie.“Gute Idee. Und dann soll sie bitte darüber in St. Pölten referieren.

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