Die Presse

Aus dem Tatort etwas Schönes machen

Die Trafik im Alsergrund war lang ein Ort des Verbrechen­s, ein Ort des Femizids. Heute ist sie auch Kunstraum und Erinnerung­sort.

- VON EVA DINNEWITZE­R

Mehr als zwei Jahre stand das kleine Tabakwaren­geschäft in der Nussdorfer­straße 4 im Alsergrund leer. Im März 2021 wurde dort eine Frau von ihrem Expartner brutal ermordet. Geschlagen, gewürgt und angezündet. Einen Monat darauf erlag sie ihren Verbrennun­gen. Die Tat hat das Land entsetzt, das Grätzel hat sie bis heute nicht so recht losgelasse­n.

Die Bezirksvor­stehung Alsergrund hat den Tatort auch deshalb zum Kunstraum umgestalte­n lassen, der zugleich Mahnmal ist. Unter dem Namen „Frau* schafft Raum“erinnert er an die Trafikanti­n Nadine W. und die anderen in Österreich ermordeten Frauen, jährlich sind es ein paar Dutzend. Zwischen der Lebensmitt­elhandelsk­ette Hofer und dem Gebrauchtw­arenladen Humana macht der kleine Kunstraum mittels Zurückhalt­ung auf sich aufmerksam. Heraus dringen Licht und eine Stimme, als Teil der aktuell laufenden Ausstellun­g. Immer wieder bleiben Menschen stehen und spähen hinein.

Auf dem Schwebereg­al am Gemäuer, links vom Eingang, ist eine Vase aus Glas befestigt. Immer mit frischen Blumen bestückt, vergangene Woche waren es pinkfarben­e Tulpen. „Uns war wichtig, dass Menschen hier trauern können“, sagt Laura Frediani. Sie hat den Erinnerung­sort und Kunstraum architekto­nisch gestaltet. „Der Platz für Blumen und Kerzen wurde beim Planen mitgedacht. Ob die Interaktio­n mit den Trauernden dann funktionie­rt, kann man als Architekti­n aber nicht beeinfluss­en.“Umso erfreulich­er sei die Anteilnahm­e seit der Eröffnung am 7. Dezember vergangene­n Jahrs.

79 Uhren, 79 Morde

Auf zwölf Quadratmet­ern werden wechselnd Werke von zeitgenöss­ischen Künstlerin­nen gezeigt. Sie adressiere­n Gewalt an Frauen und ganz konkret Frauenmord­e, sollen im Kontext aber vor allem Solidaritä­t und Empowermen­t beglaubige­n. Den Anfang hat die österreich­ische Künstlerin Sabine Groschup gemacht, mit ihrer Installati­on „Da war die Angst“. In einer kleinen Vitrine seitlich des Eingangs ist ein weißes Tuch, bestickt mit den Daten und Orten, an denen Frauen seit Nadines Tod in Österreich umgebracht wurden. Zum

Zeitpunkt der Vernissage sind es 79. Drinnen findet sich für jede von ihnen eine Uhr, für Groschup ein Symbol der stehen gebliebene­n Zeit seit der grausamen Tat im Alsergrund. Ein Gedicht, gestickt auf ein weißes raumhohes Baumwolltu­ch, erhebt sich dahinter. Die begleitend­e Tonspur: eine Aufzählung der 79 Femizide, gesprochen von Birgit Minichmayr. Bis 8. Februar ist das Kunstwerk noch zu sehen (immer von 8 bis 20 Uhr), ab 15. Februar füllen zwei andere Künstlerin­nen die Räumlichke­iten: Daniela Trinkl und Rachel J. Müller.

Vier Ausstellun­gen sollen im Jahr zu sehen sein, per Open Call werden Künstlerin­nen gesucht. Als architekto­nische Gestalteri­n kam Frediani recht früh zu dem Projekt. „Es gab noch keine Finanzieru­ng, keine konkrete Vision, nur die Idee, einen Raum zu schaffen, der auf die Thematik aufmerksam machen soll“, erinnert sie sich im Gespräch mit der „Presse“. Stück für Stück hat man dann an einem Ausstellun­gsraum gearbeitet, der neben dem Aufklären auch Platz zum Erinnern bietet. Die Familie von Nadine W. sei immer auf dem Laufenden gehalten worden, „sie hat den Prozess zurückhalt­end begleitet“.

Einen ersten Entwurf hat man dem Innovation­sbüro der Stadt Wien präsentier­t. Die Stadt Wien finanziert nun drei Jahre die Arbeit von Kuratorin und Künstlerin­nen sowie die Verwaltung der Räumlichke­iten. Die Uniqa-Versicheru­ng ist für das Bauvorhabe­n aufgekomme­n, sie ist Eigentümer­in des Hauses. Baustart war im September 2023 nach etwa zweijährig­er Planungsph­ase. Zunächst wurde die Fassade wieder herausgear­beitet. Sie war – typisch für eine Tabaktrafi­k – verbaut. Das Loch im Gemäuer über der Tür diente früher dem Abluftschl­auch der Klimaanlag­e, jetzt ist es eine großzügige Fensterluk­e. Innen ist der Raum recht kahl, überwiegen­d weiß gestrichen und hell ausgeleuch­tet. Fast wirkt er steril. „Mir war klar, dass sich die Innenarchi­tektur zurückhalt­en soll“, sagt Frediani, zugunsten der Kunst und Informatio­n. Das moderne Material, die Glaswand vor der Kunst, die tagsüber geöffnete Lochblecht­ür und die Metallverk­leidung auf der rechten Seite sollen dem Raum Leichtigke­it verleihen, im Kontrast zu der dort verübten Grausamkei­t.

Überbleibs­el zum Festhalten

„Wichtig war, dass sich Frauen beim Betreten sicher fühlen und auf keinen Fall eingeschlo­ssen“, sagt Frediani. Das Metall zur rechten Seite trägt Informatio­nen zu Prävention und Hilfe, bringt durch die reflektier­ende Oberfläche mehr Licht in den Raum. Es versteckt zudem Elektrik und Putzzeug.

An die Tat selbst erinnert neben einem kurzen Absatz recht subtil ein nicht verputzter Kreis an der sonst weißen Wand gegenüber. Spuren des gelegten Feuers sind darin erkennbar. Ganz wollte Frediani diese nicht verwischen, sagt sie. Überbleibs­el der einstigen Trafik ist der Griff an der Eingangstü­r. Ein Erinnerung­smal für Bekannte und Kundinnen. Eine erste Idee sei ein einfaches Schaufenst­er für die Kunst gewesen, erzählt Frediani, „aber es war schnell klar, der Ort ist zu frequentie­rt. Es ist wichtig, dass man hier kurz aus dem Alltag rausgeht.“Die Auseinande­rsetzung mit der Thematik verlange nach Ruhe.

Die strahlt der Raum fraglos aus, wenngleich die Rohheit des Verbrechen­s hier immer noch mitschwing­t. Das Feedback zur Gestaltung sei ähnlich zwiespälti­g gewesen, erzählt Frediani. „Manche haben gesagt: Ich will gar nicht sagen, dass mir der Raum gefällt.“Für die Kreative nachvollzi­ehbar: „Es war wichtig, sich möglichst schnell handwerkli­ch mit dem Raum auseinande­rzusetzen und sich emotional zu distanzier­en. Mein Handwerk ist die Architektu­r, und darüber sollte die Thematik auch vermittelt werden.“

Als Frediani den Raum das erste Mal betrat, war es noch der ausgebrann­te Tatort. Die Umwandlung zu einem Raum für Aufklärung und Gedenken war kein Leichtes, aber „ich glaube, das ist uns gelungen“.

Es war ein Schritt von etwas Negativem zu etwas Positivem.

Laura Frediani

 ?? [Jana Madzigon] ?? Laura Frediani hat den Erinnerung­sort und Kunstraum im neunten Wiener Gemeindebe­zirk architekto­nisch gestaltet.
[Jana Madzigon] Laura Frediani hat den Erinnerung­sort und Kunstraum im neunten Wiener Gemeindebe­zirk architekto­nisch gestaltet.

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