Die Heldinnen der Grammys
Superstar Taylor Swift überstrahlte bei der Grammy-Gala alles. Legende Joni Mitchell debütierte 80-jährig live. Und Phoebe Bridgers sorgte für einen kleinen Skandal.
Oh, oh, I don’t know, man!“, stammelte Taylor Swift sichtlich aufgeregt ins Mikrofon. Hastig holte sie sich Jack Antonoff auf die Bühne und bedankte sich zuallererst bei ihm, einem Mann. Das war wohl nicht gerade das, was die Recording Academy erwartet hat, in einem Jahr, in dem sie Frauen so stark in den Fokus gerückt hat. Diese Unberechenbarkeit Taylors erinnerte an die Schauspielerin Jody Foster, die sich bei Dankesreden auch stets herzlich wenig um die Erfordernisse des Zeitgeists kümmerte.
Die Idee, dass in so einem arbeitsteiligen Prozess auch nur irgendetwas rein weiblich oder rein männlich ablaufen könnte, ist ja ziemlich absurd. Ohne Antonoff unnötig erhöhen zu wollen, hat er doch ziemlich viel von dem komponiert und produziert, was weibliche Topstars wie Taylor Swift, Lana Del Rey, Lorde und St. Vincent der Welt in den vergangenen Jahren erfolgreich vorgestellt haben. Aber vielleicht manifestiert sich just darin der gesellschaftliche Fortschritt, wenn man jetzt sagt, dass hinter jeder erfolgreichen Frau ein starker Mann steckt. Vor nicht allzu langer Zeit war es umgekehrt.
Swift holte sich auch Kollegin Lana Del Rey, die auf einem Song von „Midnights“mitmachte, auf die Bühne. Davor wandelten die beiden über den Red Carpet. Del Rey in einem transparenten, schwarzen Blumenkleid, Swift in cremefarbener Robe samt Schleppe.
Swifts viertes „Album des Jahres“
Inszeniert waren sie wie stutenbissige Kontrahentinnen, tatsächlich sind sie einander emotional zugetan wie innige Schulfreundinnen. Swift gewann für ihr zehntes Album „Midnights“den wichtigsten Preis des Abends, jenen für das „Album des Jahres“. Die zart elektrifizierte Liedersammlung schnalzte in nicht weniger als 27 Staaten auf die Topposition der Charts. „Midnights“kam, strategisch klug, in vier unterschiedlichen Covers auf den Markt, sodass ihre eingefleischten Fans nicht umhinkamen, mehrmals zuzuschlagen.
Von der visuellen Anmutung her wirkte das Album, als wäre es aus den Siebzigerjahren, jener Ära, in der Joni Mitchell die Szene mit einer Musik beherrschte, die so fragil wie intellektuell war. Mit 80 Jahren debütierte sie nun auf der Grammy-Bühne und macht wieder einmal klar, dass Industriepreise wenig bis nichts über die Qualität der Musik aussagen. Ihre künstlerisch nachhaltigsten Konzeptalben von „Blue“bis „Hejira“wurden negiert. Der zehnte Grammy, der ihr heuer überreicht wurde, rührt von einem eher spontanen Livekonzert in Newport, das ihr die jüngere Kollegin Brandi Carlile ausgerichtet hat. In ihrer besten Zeit bekam sie nur zwei Grammys in Nebenkategorien.
So richtig ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Mainstream-Amerika kam sie erst 2008, als Jazzpianist Herbie Hancock mit seiner Hommage „River: The Joni Letters“, die Kategorie „Album des Jahres“gewann. Mitchells vergangene Jahre waren geprägt durch massive gesundheitliche Probleme, ausgelöst durch ein Aneurysma im Gehirn.
Tapfer kämpfte sie sich zurück und war der Höhepunkt des Entertainmentprogramms der 66. Ausgabe der Grammys. Mit Pullmankappe und blonden, geflochtenen Zöpfen in einem hellen Fauteuil sitzend sang sie ihr nachdenkliches „Both Ends Now“mit fast so tiefer Stimme, wie es Frank Sinatra 1968 interpretiert hatte. Am Ende ließ sie sich stimmlich doch noch von den zirpenden Geigen himmelwärts locken.
Weil die wie stets äußerst sittsame Gala strikt durchchoreografiert war, blieb für jegliches Höllische der Backstagebereich reserviert. Indiepopgröße Phoebe Bridgers, die mit vier Trophäen die erfolgreichste Künstlerin des Abends war, ließ es sich nicht nehmen, dort dem sexueller Übergriffe verdächtigten Grammy-Ex-Präsidenten Neil Portnow etwas auszurichten. „I know you’re not dead yet. But when you are, rot in piss.“
Preise für Billie Eilish und Miley Cyrus
Das war der einzige Rock ’n’ Roll-Moment eines sehr gesitteten Abends. Sogar die Performances von wilden Buben wie dem Rapper Travis Scott und dem Afro-Retro-Futuristen Burna Boy verliefen skandalfrei. Was die Preise betraf, war es befriedigend, dass einige der besten Popsongs des Jahres, etwa „What Was I Made For?“von Billie Eilish, „White Horse“von Chris Stapleton und „Flowers“von Miley Cyrus, tatsächlich honoriert wurden.