Die Presse

Klassik-Grammys: Wenn wir „unsere“Dirigenten nicht hätten!

Bei den Grammys gibt es auch eine Klassikspa­rte. Allerdings durchschau­t die Verleihung­en wohl nur, wer die amerikanis­che Musikszene kennt.

- VON WILHELM SINKOWICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Ein finnischer Chor hat es bei den Grammys 2024 sogar zu einem KlassikHau­ptpreis geschafft.

Meine Sprache versteht man in der ganzen Welt“, meinte einst Joseph Haydn. Mag sein, das stimmt – aber es muss einem auch jemand zuhören. Da haben die Klassiker heutzutage natürlich wenig zu melden; sogar in ihrer Heimat, erst recht jenseits des Ozeans. Das lässt sich bei den Grammy-Verleihung­en gut studieren. Ja, es gibt sie, die Grammys für Klassikauf­nahmen!

Bemerkensw­ert, was für die US-Juroren zum Beispiel als „Vokalsolo“unter der Rubrik Klassik firmiert: Platz 1 belegt 2024 „Walking in the Dark“von Julia Bullock, nominiert waren auch „Because“(Reginald Mobley) und „Broken Branches“(Karim Sulayman). Letzteres Album kombiniert immerhin „Chinesisch­e Lieder“von Benjamin Britten mit barocken Fundstücke­n von Caccini bis Monteverdi.

Besser findet sich der rettungslo­s abendländi­sche Musikfreun­d freilich zurecht bei den Besten Orchestera­ufnahmen: Gustavo Dudamel mit Los Angeles Philharmon­ic belegt für die Aufnahme von Thomas Adès’ „Dante“Rang 1. Unter den Nominierte­n fanden sich Philadelph­ia Orchestra, Buffalo Philharmon­ic und San Francisco Symphony. Sage aber keiner, da ginge es nur um Amerikaner: Das Netherland­s Radio Philharmon­ic war für seine Aufnahme von Béla Bartóks „Konzert für Orchester“auch in der engeren Auswahl – immerhin von einer Dame dirigiert, Karina Canellakis. Und der Helsinki Chamber Choir trug mit der Aufnahme von Kaaija Saariahoos „Reconaissa­nce“in der Kategorie Chor sogar den Sieg davon.

Dass Österreich immerhin zwei Dirigenten an Pulten amerikanis­cher Orchester bereitstel­lt, verschafft „uns“zumindest Nennungen in Kategorien, in denen es vor allem um die technische Beschaffen­heit von Aufnahmen geht. Das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst kommt gleich zweimal in der Kategorie Produzent des Jahres vor: Elaine Martone hat nicht nur eine CD mit Musik des Amerikaner­s George Walker produziert, sondern auch eine mit Musik, bei der Welser-Möst Heimvortei­l hat: Strauss’ „Rosenkaval­ier“-Suite, gepaart mit Alban Bergs „Lyrischer Suite“.

In der Liste Best Engineered Album findet sich wiederum das Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck – nebst Stücken von Erwin Schulhoff sogar mit einem auch hierzuland­e viel gespielten Werk: Tschaikows­kys Fünfter.

Was europäisch­e Spitzenorc­hester herausbrin­gen, spricht sich offenbar nur zögerlich herum – und sei es, wie etwa im Fall der Berliner Philharmon­iker unter Kirill Petrenko, auch im Bereich spannender Repertoire-Erweiterun­gen angesiedel­t.

Dabei haben die Grammy-Juroren dereinst auch einmal an ausgeprägt­en Hahnenkämp­fen gestaltend mitgewirkt, wenn sie etwa nach Wagners „Walküre“mit den Wiener Philharmon­ikern unter Georg Solti den „Siegfried“mit den Berlinern unter Karajan kürten. Aber das ist lang her …

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