Schau an: Die ganz Armen sind so glücklich wie die Reichsten
Je wohlhabender ein Land, desto zufriedener die Bewohner: Das schien gesichert. Nun bringen Indigene alles ins Wanken. Was lehrt uns das?
Zurück zur Natur!“: Nein, das hat Rousseau nie gefordert, auch wenn seine Gegner es ihm gern in den Mund legten. Am bissigsten war Voltaire: „Was nun? Zurück in die Wälder und mit den Bären leben?“Und an den Autor selbst gerichtet: „Wenn man Ihr Werk liest, bekommt man Lust, auf allen vieren zu gehen. Aber das ist mir leider unmöglich, weil ich seit über 60 Jahren die Übung darin verloren habe.“
Tatsächlich war auch für den romantischen Aufklärer Rousseau die Rückkehr in den Urzustand des „guten Wilden“nur ein Gedankenspiel. Er wusste: Die Unschuld ist verloren. Kultur, Zivilisation und Gesellschaft lassen sich nicht rückabwickeln. Wir haben uns für immer aus dem Paradies vertrieben. Wir können nicht retour, und wir wollen es auch nicht.
Daran muss man denken, wenn man die Studie liest, die Eric Galbraith und sein Team an den Universitäten von Barcelona von McGill in Kanada soeben veröffentlicht haben (Pnas, 5.2.). Sie kratzen am scheinbar gesicherten Wissen der Ökonomen und Glücksforscher. Deren große, weltweite Umfragen haben ergeben: Es gibt eine starke positive Korrelation zwischen dem Durchschnittseinkommen in einem Land und der Lebenszufriedenheit seiner Bewohner. Je reicher, desto glücklicher, auch wenn die Kurven nach oben hin abflachen.
Aber in diesen Massenerhebungen kommt eine Gruppe kaum vor: die letzten Menschen, die dem Ideal Rousseaus noch nahekommen. Denn diese Erdenbürger, die naturnah am Rande der Zivilisation leben, sind zu wenige, um statistisch relevant zu sein. Sie leben auf Subsistenzniveau, haben selten Geld in der Hand, aber rechnet man ihren Konsum in ein fiktives Einkommen um, gehören sie mit weniger als 1000 Dollar pro Jahr zu den Ärmsten. Also müssten sie, nach dem üblichen Kurvenverlauf, besonders unzufrieden mit ihren Lebensumständen sein. Punktuelle Untersuchungen wiesen schon darauf hin, dass dies nicht stimmt. Galbraith und Co. haben es nun breit gezeigt.
Sie verwendeten Daten von knapp 3000 Befragten aus 19 indigenen oder abgeschotteten Dörfern weltweit, von Amazonien bis in die Südsee, von der Mongolei bis Madagaskar. Der mittlere Wert über alle Befragten liegt bei 6,8 (auf der üblichen Glücksskala von null bis zehn). Einen solchen Durchschnitt erreichen sonst nur wohlhabende Staaten, mit rund 50.000 Dollar BIP pro Kopf, in etwa dem Niveau von Österreich. Mehr noch: In vier Gemeinschaften lag das Mittel über acht, in den lichten Höhen der Skandinavier, die uns wegen ihres überragenden Entwicklungsstands so oft als Vorbild dienen.
Vergleicht man die Dörfer und ihre Bewohner untereinander, korreliert das Glück mit dem Einkommen wieder, auch wenn der Zusammenhang schwächer, die Kurve flacher ist als üblich. Ein wenig verdorben von der Moderne sind also auch die letzten Vormodernen. Aber es geht ihnen, wie andere Studien zeigen, noch stärker um sozialen Zusammenhalt, Spiritualität und Verbindung zur Natur.
Nun hofften freilich die Aufklärer, dass uns die Zivilisation mehr Vernunft gebracht habe. Daran lässt das blauäugige Fazit der Forscher zweifeln: Sie halten ihre Erkenntnisse für „good news“, weil sie zeigten, dass „ressourcenintensives Wachstum nicht notwendig für hohe Niveaus an subjektivem Wohlbefinden“sei. Das ist vulgär-rousseauistisch. Wir mögen seufzend davon träumen, wieder ganz im Einklang mit der Natur zu leben. Aber mit den Indigenen tauschen? Kein Skiurlaub, keine Waschmaschine, keine Krebsbehandlung? Das würde uns unglücklich machen, wie die Bewohner der armen Länder in den globalen Umfragen. Wir müssen wohl einen anderen Weg finden. Nicht zurück ins Paradies. Aber zum Glück.
In manchen naturnahen Dorfgemeinschaften liegt der Durchschnitt des Glückswerts in den lichten Höhen der Skandinavier.