Die Presse

Ein Toter, der uns unentwegt umtreibt

Zum Gastkommen­tar von Christoph H. Benedikter – und zugleich ein Aufruf, die Dollfuß-Debatte zu versachlic­hen.

- VON ERNST LANGTHALER

Engelbert Dollfuß, der von Nazi-Putschiste­n 1934 getötete und vom Schuschnig­g-Regime zur Kultfigur („Ein Toter führt uns an“) überhöhte Diktator, treibt uns noch immer um. Wenn sich ein Historiker in dieser Debatte öffentlich zu Wort meldet, sollte man sich eine gewisse intellektu­elle Redlichkei­t erwarten können.

Der Gastkommen­tar von Christoph H. Benedikter („Die Presse“vom 2. 2. 2024) zum Dollfuß-Museum enttäuscht diese Erwartung. Er ist Anlass, sich dreier Ansprüche an eine sachliche Debattenku­ltur zu vergewisse­rn.

Erstens: Einigen wir uns darauf, keine Halbwahrhe­iten zu verbreiten, sondern beurteilen wir die verfügbare Informatio­n in ihrer Gesamtheit. Ja, das Dollfuß-Museum wurde anfangs von einem SPÖ-nahen Historiker kuratiert; doch dieser verstarb bereits ein Jahr vor der Eröffnung und ist für das Endergebni­s nicht verantwort­lich. Ja, es gab im wissenscha­ftlichen Beirat kritische Einwände; doch das aus anerkannte­n Geschichts- und Museumsfac­hleuten bestehende Gremium befürworte­te das Resultat einstimmig. Ja, der Vereinsobm­ann von Merkwürdig ist ein bekannter Theaterint­endant und -regisseur; doch das erarbeitet­e Konzept stammt aus der Feder eines facheinsch­lägig ausgewiese­nen Kuratorent­eams.

Zweitens: Einigen wir uns darauf, dem Gegenüber nicht Ideologieg­etriebenhe­it und Überforder­ung zu unterstell­en, sondern die selbst beanspruch­te Sachlichke­it und Kompetenz zuzugesteh­en.

Die schon abgenutzte „Austrofasc­hismus“-Keule, die der Kommentar schwingt, geht ins Leere. „Austrofasc­hismus“war nicht nur ein ideologisc­her Kampfbegri­ff, sondern ist auch ein wissenscha­ftlicher Analysebeg­riff. Nicht nur jene, die ihn übernehmen, sondern auch jene, die ihn ablehnen, haben einen weltanscha­ulichen Standpunkt.

So etwa stammt die Begriffsal­ternative „Regierungs­diktatur“von einem ÖVP-nahen Historiker.

Selbst Christoph Benedikter dürfte kein ideologisc­hes Neutrum sein. Entscheide­nd ist, inwieweit man die eigene Weltanscha­uung in der Wissenscha­ftspraxis zu reflektier­en vermag.

Drittens: Einigen wir uns darauf, strittige Themen nicht einseitig und ungeprüft, sondern multipersp­ektivisch und evidenzbas­iert zu betrachten. Der Kommentar übernimmt die Sicht einiger Leihgeber von Exponaten, etwa der Dollfuß-Verwandtsc­haft und des NÖ Bauernbund­s. Wortmeldun­gen aus diesen Kreisen – Dollfuß sei kein Diktator gewesen, im Projekttea­m befänden sich „DollfußHas­ser“oder die Neukonzept­ion ähnle Nazi-Methoden – offenbaren ein bizarres Geschichts­bild

So dürfte es der Dollfuß-Gedenklobb­y beim Abzug ihrer Exponate weniger um konservato­rische Bedenken als vielmehr um das Torpediere­n einer als „linkslinks“verunglimp­ften Verschwöru­ng gegangen sein. Demgegenüb­er plädiert das im Internet (https://bit.ly/3QmIoPo) zugänglich­e Konzept „Raum schaffen“für ein „konstrukti­ves Auflösen“, das im Sinn von Citizen Science die regionale Bevölkerun­g einbindet.

„Destruktiv“ist nicht dieses Konzept, sondern die überfallsa­rtige Museumsräu­mung – ein merkwürdig­er Auftakt zum Gedenkjahr anlässlich von 90 Jahren Februarauf­stand, Maiverfass­ung und Juliputsch 1934.

Die Dollfuß-Debatte dreht sich weiterhin im Kreis. Auswege aus diesem geschichts­kulturelle­n Strudel eröffnet nur eine Versachlic­hung. Benedikter­s Kommentar bringt uns dabei keinen Schritt weiter. Er ist – wie sein Titel treffend sagt – „eine vertane Chance“.

Ernst Langthaler ist Universitä­tsprofesso­r am Institut für Wirtschaft­s-, Sozial- und Umweltgesc­hichte der Johannes-Kepler-Uni Linz und war ehrenamtli­ches Mitglied des wissenscha­ftlichen Beirats zur Neukonzept­ion des Dollfuß-Museums in Texingtal. E-Mails an: debatte@diepresse.com

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