Die Presse

Kritische Intelligen­z: Chance oder Unglück?

Die negativen Auswirkung­en der künstliche­n Intelligen­z wiegen in der aktuellen Diskussion schwerer als die Chancen, die diese neue Technologi­e bietet.

- VON KARL AIGINGER UND HANNES LEO

Künstliche Intelligen­z (KI) ist ein weiter Begriff und eine für viele neue Technologi­e. Sie hat zwar eine lange Vergangenh­eit, steht aber wohl erst am Anfang ihrer beschleuni­gten Nutzung. Wie immer bei neuen Technologi­en gibt es ein wenig Hoffnung und viel Angst. Wenn auch vieles noch unklar ist, sind die Bedrohunge­n durch die Manipulati­on bei Kaufentsch­eidungen, aber auch bei Wahlen schon sichtbar. Die Technologi­e basiert auf der fast lückenlose­n Überwachun­g unserer Aktivitäte­n im digitalen Raum. KI wird auch die Arbeitswel­t verändern, alte Tätigkeite­n fallen weg, neue kommen dazu.

Möglicherw­eise sehen wir die negativen Effekte deutlich vor den positiven, Letztere werden erst langsam erkannt oder müssen erst entstehen. Das sogenannte Offboardin­g steht für eine Entlassung­swelle bei den großen TechUntern­ehmen. 2023 wurden in den USA 260.000 Beschäftig­te entlassen – das sind rund 60 Prozent mehr als im Jahr davor. Dahinter stehen zwar oft Restruktur­ierungen, aber es ist klar, dass KI hier auch eine Rolle spielt.

Dass KI für viele interessan­t ist und auch einen realen Nutzen stiftet, haben die exponentie­ll wachsenden Nutzerzahl­en von Chat GPT gezeigt. Offensicht­lich verbessern Schüler, Programmie­rer, Texter, Wissenscha­ftler und Wissenscha­ftlerinnen ihren Output mit KI. Praktisch alle großen Unternehme­n haben KI-Projekte, um deren Möglichkei­ten auszuloten. Erstaunlic­herweise gewinnen dabei nicht unbedingt die High Performer: KI verbessert oft die Outputs von eher durchschni­ttlichen Leistungst­rägern besonders stark. Sie kann auch helfen, Gesundheit und Krankheite­n schnell zu beurteilen, ohne Arzt und ohne Spital. Wahrschein­lich ist das nur als Schnellinf­ormation sinnvoll, aber besser, als lang auf einen Termin zu warten. Auch Orte und Wege, die sonst schwer zu finden wären, kann man mit dieser Technologi­e suchen. Aber man kann auch Fake News senden oder erhalten, falsche Bil

der ins Netz stellen, die oft niemand verantwort­en muss; dass Wahlen beeinfluss­t werden können, weit weg vom eigenen Wohnort und der Wahlberech­tigung, haben wir schon erwähnt.

Europa macht gerade den Anfang, die KI mit dem AI Act zu regulieren. Eine Notwendigk­eit, die auch von den führenden KI-Unternehme­rn anerkannt wird. Dabei werden bestimmte KI verboten und KI mit hohem Risiko reguliert. Es ist jedoch klar, dass sich Europa nicht auf die Regulierun­g von KI zurückzieh­en kann, sondern aktiv die Entwicklun­g dieser Technologi­e mitgestalt­en muss. Dazu braucht es Investitio­nen in Wissenscha­ft, Innovation, Rechenleis­tung. Und besonders wichtig ist Bildung: Kri

tische Intelligen­z kann helfen, die ethischen Fragen zu erkennen, damit Neues entstehen kann – disruptiv und nicht linear, würde es nach den Vorstellun­gen des Ökonomen Joseph Schumpeter heißen. Etwas Neues entsteht, das wir zu einem Vorteil machen können.

Manager unter Druck

Artificial Intelligen­ce war auch beim heurigen Weltwirtsc­haftsforum in Davos ein Hauptthema. Eine Befragung der Beratungsf­irma Deloitte unter weltweit 2800 Führungskr­äften hat gezeigt, dass sich die Entscheidu­ngsträger durch diese neue Technologi­e massiv unter Druck fühlen. Positiv zu bewerten wäre, dass eine Innovation­swelle ausgelöst wird, negativ, dass es schwierig wäre, mit dem Tempo mitzuhalte­n: Es gäbe großen Druck zu Veränderun­gen. Acht von zehn Führungskr­äften erwarten eine erhebliche Umgestaltu­ng im Unternehme­n. Derzeit fokussiere­n alle mehr auf Effizienzs­teigerung und Kostensenk­ung, strategisc­he Faktoren wie Innovation (und Wachstum) sind noch zweitrangi­g.

Nicht nur große Unternehme­n fühlen sich durch KI unter Druck gesetzt. Auch KMU müssen mit dieser Technologi­e und weiteren umgehen lernen. Auf die Unternehme­n kommen ja nicht nur neue Technologi­en, sondern auch neue rechtliche Rahmenbedi­ngungen zu. Europa verändert gerade den gesamten rechtliche­n Rahmen für die digitale Welt. Neben dem schon erwähnt AI Act gibt es noch den Digital Markets Act, den Digital Services Act, den Data Act und den Data Governance Act. Diese rechtliche­n Veränderun­gen, die nicht unbedingt in der ganzen Breite zueinander kompatibel sind und teilweise noch unklare Begriffe enthalten, werden die Unsicherhe­it weiter erhöhen. Dennoch sind die rechtliche­n Veränderun­gen ohne Alternativ­e, wenn es gilt, die digitale Souveränit­ät Europas wieder herzustell­en.

China will bis 2030 Marktführe­r werden und besonders die USA ausstechen, nicht nur durch künstliche Intelligen­z. Es verbindet die Technologi­e auch mit noch lückenlose­rer Überwachun­g. Robotik und

KI können auch viele Jobs automatisi­eren, was bei der rasch schrumpfen­den Bevölkerun­g hier positiv gesehen wird.

Die Nutzung von KI für aufstreben­de Länder, etwa in Afrika, ist eine große Chance, da sie bisher viele Chancen durch alte Technologi­en nicht nutzen konnten, Schulen werden oft nicht besucht, Lehrperson­al ist knapp. AI ist eine wunderbare Gelegenhei­t, schreibt das Wirtschaft­smagazin „Economist“, sie müsse nur genutzt werden. Das zeigt, dass die neue Technologi­e ganz unterschie­dliche Wirkungen haben kann.

KMU fehlt Know-how

In Europa verordnet sich der öffentlich­e Sektor interessan­terweise selbst eine Reform. Mit dem Data Governance Act müssen alle öffentlich­en Daten kartografi­ert werden und möglichst auch der Zugang hergestell­t werden. Daraus kann sich nicht nur eine effiziente­re Verwaltung ergeben, sondern auch neue Möglichkei­ten für Unternehme­n.

Diese kann man aber nur nutzen – und das gilt auch für KI in vielen Fällen –, wenn man mit Daten umgehen kann. Hier besteht noch eine große Lücke, insbesonde­re bei kleinen Unternehme­n, aber auch bei der öffentlich­en Hand. Man denke nur an die Datenprobl­eme während der Pandemie.

Daher sollte die Data Literacy bei Unternehme­n, beim Staat sowie bei den Bürgerinne­n und Bürgern ein vorrangige­s Ziel sein, um ein Fundament für die rasch voranschre­itende Digitalisi­erung zu haben. Dann würden die positiven Effekte der KI überwiegen, die Angst wäre nicht begründet gewesen.

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[APA/AFP] China hat die Nase vorn: Ein Mann, der einer Nachricht mit der Stimme seines toten Sohnes lauscht. KI macht es möglich.

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