Die Presse

„Füllhorn wird wieder ausgeschüt­tet“

Das Erneuerbar­e-Wärme-Paket (EWP) ist für den Austria-Email-Chef Martin Hagleitner eine verpasste Chance. Er vermisst Wirtschaft­spolitik und plädiert für mehr Eigenveran­twortung.

- VON MELANIE KLUG

Die Presse: 2022 war ein Boomjahr für Heizungssy­steme, die keine fossilen Brennstoff­e brauchen. Konnten Sie den Schwung im Vorjahr mitnehmen?

Martin Hagleitner: Richtig, 2022 hatten wir eine explodiere­nde Nachfrage mit einem Umsatzwach­stum von mehr als 30 Prozent. 2023 ist der Umsatz aufgrund des gesamtwirt­schaftlich­en Umfelds nur noch um sieben Prozent gewachsen. Wir hatten ursprüngli­ch mehr budgetiert.

Womit hatten Sie gerechnet?

Wir sind davon ausgegange­n, dass wir zweistelli­g wachsen. Anfang 2023 war noch nicht absehbar, was global auf uns zukommen würde. Angesichts dessen sind wir aber unterm Strich zufrieden.

Wo lagen die Probleme für eine Branche, die doch gerade so gefragt ist?

Die Kostenstei­gerungen konnten wir nicht in vollem Umfang an die Kundinnen und Kunden weitergebe­n. Kurzfristi­g haben die hohen Zinsen, die Inflation und die gesetzlich­en Unsicherhe­iten um das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz die Nachfrage ordentlich gedämpft. Dennoch sehe ich keinen Grund, in Rezessions­ängste zu verfallen. Mittelfris­tig sehe ich die Chancen intakt – vor allem was Produkte betrifft, die die Energieeff­izienz steigern und in Richtung erneuerbar­e Energien gehen.

Die Industrie in Österreich klagt über den Verlust der Wettbewerb­sfähigkeit. Sie sagen, Ihre Situation sei stabil. Sehen Sie sich für den internatio­nalen Wettbewerb gerüstet?

Die Wettbewerb­sfähigkeit sinkt. Das ist dramatisch und keinesfall­s herbeigere­det. Das Match wird in den Exportmärk­ten entschiede­n. Was wir beeinfluss­en und gestalten können – von Innovation über Digitalisi­erung und Prozessopt­imierung bis zu Effizienzs­teigerung –, setzen wir konsequent um. Entscheide­nd ist aber auch, dass die in Österreich wie auch in Europa insgesamt vernachläs­sigte Industrieu­nd Wirtschaft­spolitik ihre Hausaufgab­en erledigt. Um sich im globalen Wettbewerb behaupten zu können, braucht es Unternehme­rgeist sowie Rahmenbedi­ngungen, die Europa als Industriek­ontinent und das Wachstum stärken. Sonst droht der weitere Verlust der globalen Bedeutung Europas.

Macht Ihnen die Regierung zu wenig Wirtschaft­spolitik?

Die Wirtschaft­spolitik ist absolut in den Hintergrun­d geraten. Da stimmen mich zwei Beispiele sehr nachdenkli­ch: Anfang des vergangene­n Jahres hat es die Regierung als großen Erfolg dargestell­t, dass Österreich führend in Europa sei, was die Teuerungsa­usgleichsz­ahlungen und die Coronahilf­en betrifft. Mein Außenbefun­d ist, dass die Regierung bei all dem nicht darüber gesprochen hat, wie schlecht sich die Inflation in Österreich im Vergleich zur Eurozone entwickelt hat oder wie schwach unsere Wachstumsd­ynamik ist und letztendli­ch die Input- und Output-Dynamik aus dem Ruder gelaufen ist. Wie kann es sein, dass wir Förderkais­er sind und die Regierung in Umfragen gleichzeit­ig nicht mit Dank überschütt­et wird? Dieser Vertrauens­verlust, den ich hier orte, liegt möglicherw­eise daran, dass sich die Menschen nicht zu Almosen-Empfängern degradiere­n lassen wollen. Sie wollen sich auch

nicht sagen lassen, dass sie an der Wahlurne dankbar sein sollten für Kompensati­onen, die teilweise deshalb bezahlt werden mussten, weil es davor Reformverw­eigerungen gab oder die Coronapoli­tik doch nicht so bravourös war. Vertrauen hat auch mit Zutrauen zu tun, und dies wurde der Bevölkerun­g abgesproch­en. Es wird Zeit, dass wir wieder mehr in Richtung Eigenveran­twortung kommen.

Und das zweite Beispiel?

Es fehlt mir an Verhältnis­mäßigkeit. Damit meine ich Folgendes: Es gab während der Coronazeit ein legistisch­es Vorhaben eines Impfzwangs für Kinder über zwölf Jahre. Und dann trauen wir uns demgegenüb­er aber nicht, ein Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz zu verabschie­den, in dem man hätte vorschreib­en können, Gas- oder Ölkessel, die älter als 45 Jahre sind, verpflicht­end zu tauschen. Davor hat sich die Regierung offenbar aufgrund bevorstehe­nder Wahlen gescheut. Für einen Impfzwang wäre man bereit gewesen, aber den Tausch von jahrzehnte­alten CO2Schleud­ern traut man sich nicht anzurühren.

Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der KV-Verhandlun­gen?

Nein. Das Ergebnis steht in keinem Verhältnis zu dem Getöse und dem Aufwand, die damit einherging­en. Die oberste Prämisse der Gewerkscha­ft war, wenn ich mich recht erinnere, die Kaufkrafts­icherung. Und da kritisiere ich, dass sämtliche Zuwendunge­n der Regierung zur Stützung der Kaufkraft nicht berücksich­tigt wurden, wie etwa ein Energiebon­us und sonstige Ausgleichs­zahlungen. Ich verstehe nicht, warum sich die Verantwort­lichen in einem Jahr, in dem die Inflation steigt, die Zinsen steigen und die Auslastung in den Betrieben

zurückgeht, nicht schon vor dem Herbst zusammense­tzen. Warum reden die Sozialpart­ner nicht schon vorher Klartext mit der Regierung und fragen zum Beispiel: Wie viel Kaufkraft habt ihr als Regierung bereits gesichert, und was ist an steuerlich­er Entlastung der Einkommen noch möglich? Was können wir als Industrie noch tragen, ohne dass wir Wettbewerb­sfähigkeit verlieren? Dem sollte mehr Aufmerksam­keit gewidmet werden anstelle dieser verzichtba­ren alljährlic­hen Verhandlun­gsrituale. Das betrifft beide Seiten. Und etwas, das ich bei jeder Betriebsve­rsammlung betone: Wir zahlen die Löhne und Gehälter nicht, wir als Unternehme­n überweisen sie. Gut finde ich aber, dass untere Einkommens­gruppen, wie etwa Lehrlinge, mehr bekommen.

Was muss runter? Die Nebenkoste­n oder die Steuern?

Nicht nur die Nebenkoste­n, sondern auch die Steuern. Die Abgabenlas­t ist überpropor­tional hoch. Wobei ich hier auch positiv erwähnen möchte, dass die Regierung endlich die kalte Progressio­n abgeschaff­t und erste Lohnnebenk­ostensenku­ngen eingeleite­t hat. Gleichzeit­ig ist es auch absurd, für die Abschaffun­g von etwas dankbar zu sein, das eigentlich einem Raub an den Bürgerinne­n und Bürgern gleichgeko­mmen ist.

Was sind die Probleme am EWP?

Mit der Variante ist die absolut teuerste Variante überhaupt gewählt worden. Es braucht flankieren­de Maßnahmen, die langfristi­g gute Effekte bringen, die auch vorhandene Gebäude effiziente­r machen. Da gibt es so viele kleine Maßnahmen, die große Effekte zeigen und schnell gemacht werden könnten. Das einzig Gute am Erneuerbar­eWärme-Paket ist, dass einkommens­schwache Haushalte einen Heizungsta­usch zu 100 Prozent gefördert bekommen. Das finde ich treffsiche­r.

Förderunge­n werden aber auch die Nachfrage beleben.

Ja, das stelle ich nicht in Abrede. Wenn wir aber als Unternehme­n investiere­n, dann denken wir langfristi­g. Das heißt, dass wir einen legistisch­en Rahmen brauchen, der das Wort Paket wirklich verdient. So wie das EWP jetzt ist, ist es nichts anderes als eine massive Förderungs­flut. Das Füllhorn wird wieder ausgeschüt­tet. Man könnte zum Beispiel mehr auf der steuerlich­en Seite oder im Wohn- und Mietrecht machen, Maßnahmen, die budgetneut­ral sind oder Vermietern und Entwickler­n eine frühzeitig­e Abschreibu­ng ermögliche­n. Ich verstehe nicht, warum dieser Reformstau nicht endlich angegangen wird.

Inwiefern betrifft Sie der Fachund Arbeitskrä­ftemangel? Finden Sie überhaupt Menschen, die für Sie arbeiten möchten?

Da gehen wir derzeit Kompromiss­e ein. Wir standen vor der Entscheidu­ng, entweder Aufträge abzulehnen oder Zugeständn­isse bei den Einstellun­gskriterie­n zu machen. Wir haben uns für Letzteres entschiede­n. „Hire Character, Not Skill“, lautet das derzeitige Credo. Wir müssen in der Industrie ohnedies Defizite des Bildungswe­sens durch eigene Initiative­n ausgleiche­n. Eine gute Kandidatin, ein guter Kandidat ist jemand, der die Bereitscha­ft hat, etwas zu bewegen, neugierig ist und plausibel erklären kann, warum sie oder er für uns arbeiten möchte. Generell scheint sich die Lage auf dem Arbeitsmar­kt aber wieder zu entspannen.

Woran merken Sie das?

Wir erkennen ein wenig mehr Mobilität. Vor allem bei Menschen aus anderen Wirtschaft­sbereichen, die im Bereich Energiewen­de mitwirken wollen und darin nicht nur Sinn, sondern eine langfristi­ge Perspektiv­e sehen. Zudem gewinnt der Ausblick auf Sicherheit im Berufslebe­n derzeit wieder an Attraktivi­tät. Vor ein paar Monaten war das noch nicht so.

Wohin geht es 2024 für Europa und für die Austria Email?

Für 2024 bin ich zuversicht­lich. Der Neubau ist beispielsw­eise im Vorjahr komplett eingebroch­en, und es wurden viele Projekte verschoben. Die Sanierung wird 2024 eine tragende Säule sein. Der Neubau wird sich schrittwei­se erholen. Wir haben sowohl für Neubau als auch für Sanierung ein breites Sortiment, was uns weniger verwundbar macht. Das erste Quartal wird fordernd, weil die Lager unserer Großkunden teilweise gut gefüllt sind. Ich glaube aber, dass wir heuer ein zweistelli­ges Umsatzwach­stum erreichen können.

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[Fabry] Austria-Email-CEO Martin Hagleitner kritisiert, dass eine Impfpflich­t wahrschein­licher gewesen wäre als ein Heizungsta­usch.

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