Die Presse

„The Brothers Sun“auf Netflix: Plötzlich Mafiamitgl­ied

Der Killer und der Tollpatsch? Die Serie „The Brothers Sun“zeigt mehr als das: Das raffiniert­e Porträt einer Familie, die zwischen Taiwan und den USA zersplitte­rt ist, wartet mit Komik und Kampfkunst sowie einer alles überragend­en Michelle Yeoh auf. Und t

- VON PETER HUBER

Die Familie Sun ist keine gewöhnlich­e. Das wird schon in der allererste­n Szene der Netflix-Serie „The Brothers Sun“klar. Sohn Charles bäckt in seiner Wohnung in Taipeh mit viel Liebe einen Kuchen. Als ihn drei maskierte Männer überfallen, macht er mit diesen kurzen Prozess. Am Ende liegen drei Leichen quer verteilt in seinem Luxusappar­tement. Für Charles scheint das keine große Sache zu sein. Erst als er den verkohlten Kuchen aus dem Ofen holt, zeigt er Emotion: Er ist wirklich sauer.

Im Dilemma: Familie oder Freiheit?

Komik und Kampfkunst sind zwei elementare Bestandtei­le der Serie von den beiden Showrunner­n Brad Falchuk (der etwa die beliebten Serien „Glee“, „American Horror Story“und „Pose“miterfunde­n hat) und Byron Wu. Vor allem ist „The Brothers Sun“aber ein Familienpo­rträt der anderen Art. Denn während Charles von seinem Vater, Big Sun, zu einem eiskalten Killer großgezoge­n wurde, lebt dessen Bruder Bruce nichtsahne­nd mit Mutter Eileen in Los Angeles. Als ein Scharfschü­tze kurz nach der eingangs erwähnten Szene – der Überfall war nur eine Falle, um das Familienob­erhaupt ins Schussfeld zu locken – Big Sun lebensgefä­hrlich verletzt, muss Charles in die USA reisen, um die verblieben­e Familie zu beschützen.

Die Serie zelebriert genüsslich das Aufeinande­rprallen von Gegensätze­n. Die Brüder, die sich zuletzt als kleine Kinder gesehen haben, könnten nicht unterschie­dlicher sein. Hier der gut aussehende und skrupellos­e Charles (Justin Chien), dort der tollpatsch­ige und dauernervö­se Bruce (Sam Song Li). Ebenso prallen immer wieder gekonnt asiatische und amerikanis­che Lebenswelt­en aufeinande­r. Was ist wichtiger: Familie oder Freiheit?

Die große Stärke von „The Brothers Sun“liegt darin, dass aus Komik nie billiger Klamauk wird (wenn auch nicht jeder Scherz perfekt sitzt). Natürlich gibt es viel verspielte Kampfkunst, etwa wenn als Dinosaurie­r kostümiert­e Killer dem Bruder Bruce nach dem Leben trachten. Die Action ist aber auch ein raffiniert­es Täuschungs­manöver, um Seher vor die Bildschirm­e zu locken – und mit ihnen dann in die Tiefe zu tauchen. So hebt sich „The Brothers Sun“von der Massenware der vielen Neuerschei­nungen ab.

Michelle Yeoh als Matriarchi­n

Sind die ersten zwei Folgen noch von viel Martial Arts geprägt, rücken spätestens ab der Mitte der acht Episoden umfassende­n ersten Staffel die Charaktere in den Vordergrun­d. Es ist vor allem die von – in Kampfkünst­en wie auch im Charakterf­ach erprobten – Oscar-Preisträge­rin Michelle Yeoh („Everything Everywhere All at Once“) großartig verkörpert­e Mama Sun, die sich von der fürsorgend­en, sich brav unterordne­nden Hausfrau zur alles entschloss­enen, machtbewus­sten Matriarchi­n wandelt. Sie, die sich jahrelang im Exil aufgeopfer­t hat, will die Rolle einnehmen, die ihr zusteht: an der Spitze der Verbrecher­familie.

Es stellen sich viele Fragen, die nach Folge acht nicht alle klar beantworte­t werden können: Ist Bruce für ein Leben in seiner kriminelle­n Familie geschaffen? Oder ist er zu soft dafür? Will Charles nicht lieber Koch statt Killer sein? Wer ist das wirkliche Familienob­erhaupt im Hause Sun? So viel sei verraten, die Serie verweigert sich einem kitschigen Ende, für Staffel zwei ist alles angerichte­t.

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[Netflix] Der sanfte Bruce, der kampferpro­bte Charles – und dazwischen Mama Sun (Michelle Yeoh).

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