Oper in Wien leuchtet auch im Off
Für Repertoire-Vielfalt sorgt im Wiener Musiktheaterleben vor allem eine rege Offtheater-Szene, die unsere Spielpläne in Richtung Barock und Avantgarde erweitert.
Dieser Tage hat die Wiener Zeitungsredaktionen ein offener Brief an Staatssekretärin Andrea Mayer erreicht, der die Spielplanpolitik der Staatsoper beklagt. Unter anderem wird kritisiert, dass vor allem Werke neu inszeniert würden, die ohnehin über die Jahrzehnte hin im Repertoire standen, dass die Qualität der neuen Produktion mit jener der altgewohnten nicht mithalten könne und vor allem dadurch die „Repertoire-Vielfalt“verloren ginge. Mit solchen Fragen könnte sich die Wiener Kulturpolitik tatsächlich befassen, zumal die beiden anderen Häuser wenig dazu beitragen, dass Wiener Musikfreunde und Gäste der Stadt hier ein wirklich breites Angebot an verschiedenen Titeln vorfänden.
Immerhin: Es gibt jenseits von Staatsoper, Volksoper und Theater an der Wien hier durchaus auch eine „Off-Opernszene“. Und die sorgt wirklich für Buntheit. Zwei Bücher sind in der jüngsten Vergangenheit erschienen, die genau diesen Aspekt des Wiener Kulturlebens abbilden. Zum einen bitten Peter-Sylvester Lehner und Walter Kobéra, Dirigenten-Intendant der Neuen Oper Wien, zu „Begegnungen“(Verlag: Echomedia) mit jenen Opernproduktionen, die Kobéra seit 1990 herausgebracht hat. Zum anderen hat Bernd Roger Bienert unter dem Titel „Teatro barocco – Oper als Körperrede“
(Artbook) eine reich illustrierte Dokumentation seiner Arbeit an der Wiederbelebung historischer Aufführungspraktiken publiziert.
Mit ihren Premieren erweitern die „Neue Oper Wien“und das „Teatro barocco“seit Langem konsequent den Horizont der Musiktheater-Spielpläne in Wien. Vorrangig um Werke des 20. und 21. Jahrhunderts das eine, um Meisterwerke aus Barock und Klassik das andere Ensemble. Wobei im Fall Bernd Bienerts der Reiz in der Präsentation von Stücken Mozarts oder dessen Zeitgenossen – etwa Georg Anton Benda, die Brüder Joseph und Michael Haydn, Johann Adolf Hasse oder Ignaz Holzbauer – nicht zuletzt darin besteht, dass es dem Impresario gelungen ist, dank eingehender Studien zeitgenössischer Literatur ein optisches Äquivalent zur allerorts gepflogenen „Originalklang“-Aufführungspraxis zu schaffen.
So kam Wien nicht zu spät
Damit bekommen neugierige Opern-Aficionados nicht nur Stücke zu sehen, die in der einschlägigen Literatur als bedeutend für den Gang der Musikgeschichte angesehen werden, in der Realität der aktuellen Opernwelt aber kaum eine Chance kriegen. Sie bekommen sie auch in Dekorationen und in Inszenierungen zu sehen, die so akribisch wie möglich nach originalen Quellen rekonstruiert werden. Wobei eine besonders pikante Pointe lautet, dass man anders als bei der allgemein akzeptierten musikalischen Spielpraxis der Originalklangbewegung im Fall der Regie und der Bühnenbilder auf genaue Beschreibungen und Abbildungen zurückgreifen kann, also weit weniger als die Musiker auf Spekulationen angewiesen ist – Tonaufnahmen aus der Mozartzeit gibt es ja naturgemäß keine.
Was die Neue Oper Wien betrifft, darf Walter Kobéra sich zugutehalten, einige der wichtigsten Werke der Moderne und der Postmoderne in Wien erstaufgeführt zu haben. Das eine oder andere diente dann als Ansporn zu Aktivitäten der Staatsoper: „Billy Budd“von Benjamin Britten etwa brachte 1996 das Rollendebüt von Adrian Eröd, der später zum Publikumsliebling als Ensemblemitglied im Haus am Ring werden sollte, wo „Billy Budd“dann erst fünf Jahre später seine Erstaufführung erlebte.
Beispiele für Österreich-Premieren (oft mit Jeunesse oder Wien modern) finden sich in den „Begegnungen“zahlreich, ob Kurt Weills „Silbersee“, Ernst Kreneks „Pallas Athene weint“, Max Brands „Maschinist Hopkins“, Manfred Trojahns „Enrico“oder „Orest“, Alfred Schnittkes „Faust“oder Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“. Der Opernfreund blättert und staunt – auch darüber, dass eine „Fachjury“jüngst angeregt hat, die Subventionen an die Neue Oper einzustellen.