Die Presse

Das Beste aus beiden Welten: Eine Bilanz

Statt ständig in Angststarr­e vor dem politische­n Schreckges­penst FPÖ zu verharren, wäre es hoch an der Zeit, dass die Koalitions­partner ÖVP und Grüne die Errungensc­haften ihrer bisherigen Regierungs­arbeit präsentier­en.

- VON KLAUS ATZWANGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wir haben alle zu lang auf die Schlange gestarrt und verschreck­t verharrt. Es wird Zeit aufzuwache­n – und nicht mehr nur auf das Migrations­thema sowie die polarisier­enden, menschenve­rachtenden und unrealisti­schen Ansagen der FPÖ zu blicken, sondern zu sehen, dass diese Regierung trotz der durchaus herausford­ernden Lage viele positive Akzente gesetzt hat.

Die Ausgangspo­sition mit „dem Besten aus beiden Welten“war nicht einfach. Zwei sehr unterschie­dliche Parteiprog­ramme standen sich zu Beginn gegenüber. Wenn die Pandemie, der UkraineKri­eg und die darauffolg­ende Inflation Herausford­erungen gebracht haben, die vermutlich jede Regierung gefordert und auch manchmal überforder­t haben, ist es dennoch wichtig, jene Veränderun­gen zu sehen, die durchgeset­zt wurden.

Zusätzlich hat sich die ÖVP im Lauf dieser Legislatur­periode umgebaut, der erzwungene Rückzug von Sebastian Kurz als Kanzler und Parteichef hat die Volksparte­i intern sehr gefordert und die Regierungs­zusammenar­beit nicht erleichter­t, da der neue Parteichef nachvollzi­ehbarerwei­se versucht, Profil als Führungskr­aft zu entwickeln.

Koalition = Kompromiss

Dennoch ist diese Koalition ein Versuch, das konservati­ve Programm der ÖVP mit dem ambitionie­rten Programm des grünen Juniorpart­ners zu kombiniere­n. Gerade der Aspekt, dass man als kleinerer Partner in einer Koalition naturgemäß weniger durchsetze­n kann als der größere Partner, wird von grünen Sympathisa­nten oft unterschät­zt. Unter diesem Blickwinke­l haben die Grünen sehr viel umgesetzt, denn Koalition bedeutet immer Kompromiss.

Blickt man über die Probleme Österreich­s hinaus, ist klar, dass die Klimakatas­trophe die wichtigste Herausford­erung der Zukunft ist. Dementspre­chend war es richtig, dass Österreich einige wichtige Gesetze im Umweltbere­ich beschlosse­n hat. Auch wenn das übergeordn­ete Klimaschut­zgesetz noch finalisier­t werden muss, wurden im Verkehrsbe­reich doch Maßnahmen Gesetz, die richtungsw­eisend sind. So bekamen Radfahrer und Fußgänger

als klimafreun­dliche Mobilitäts­formen durch die Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng einen höheren Stellenwer­t. Neben dem Ausbau von Fahrradweg­en, der Elektrifiz­ierung von Bahnstreck­en, der Förderung des Umstiegs des Gütertrans­ports auf den Schienenve­rkehr ist besonders das Klimaticke­t ein Erfolg.

Auch das Thema Bodenversi­egelung wird ernsthaft diskutiert, und es ist zu hoffen, dass ein entspreche­ndes Gesetz einer Bodenstrat­egie noch vor Ende der Legislatur­periode das Parlament passiert.

Auf EU-Ebene wurden Beschlüsse gefasst, die Hoffnung geben: Künftig sollen mehr Wälder aufgeforst­et, Moore renaturier­t und Flüsse in ihren natürliche­n Zustand versetzt werden. Hier werden Verhandlun­gen zwischen den diversen Parteien nötig sein, um weiterzuko­mmen. Doch es werden Kompromiss­e als realpoliti­sche Umsetzung im Rahmen der gelebten Demokratie gefunden werden.

Im Tierschutz konnte diese Regierung Fortschrit­te erzielen. Die ganzjährig­e Anbindehal­tung von Rindern und das Schreddern von Küken wurde verboten. Die Schweineha­ltung bekommt dank des Verfassung­sgerichtsh­ofs rascher neue Auflagen. Darüber hinaus wurden Verbesseru­ngen für Tiertransp­orte beschlosse­n. Auch in diesem Bereich sind dies nur erste Schritte. Die Kennzeichn­ungspflich­t für Produkte in Restaurant­s ist noch offen, die Umstellung­en der Landwirtsc­haften zur Erhöhung des Tierwohls wird ebenfalls weitere Maßnahmen erfordern.

Gestärkter Justizbere­ich

Betrachtet man wirtschaft­liche Bereiche, so ist die seit Jahrzehnte­n diskutiert­e Abschaffun­g der kalten Progressio­n eine wesentlich­e Errungensc­haft dieser Regierung. Wieweit die Inflations­eindämmung erfolgreic­h läuft, ist umstritten, wirklich beurteilen wird man dies erst nach Jahren rückblicke­nd können.

Dass es den zu Beginn des Ukraine-Kriegs befürchtet­en Energieeng­pass im Winter durch reduzierte Gaslieferu­ngen aus Russland nicht gegeben hat, ist eine Leistung, die man gern vergisst, da ja der befürchtet­e Schaden ausgeblieb­en ist. Wirtschaft­swachstum und Beschäftig­ungslage sind besser als befürchtet. Auch hier gilt, dass es natürlich immer Luft nach oben gibt.

Als Erfolg dieser Regierung muss gewertet werden, dass es im Justizbere­ich zu Reformen gekommen ist, die die Unabhängig­keit der Justiz stärken und den Verdacht der Beeinfluss­barkeit der Gerichte zurückdrän­gen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Unabhängig­keit der Justiz in einer funktionie­renden Demokratie nicht genug gestärkt werden kann.

Die Abschaffun­g des Amtsgeheim­nisses gehört zu den Erfolgen. Sie ist eine lang fällige Transparen­zmaßnahme, die das Vertrauen des Bürgers in den Staat stärkt. Das beschlosse­ne Antikorrup­tionsgeset­z geht ebenfalls in diese Richtung. Auch hier muss man dem grünen Koalitions­partner zugutehalt­en, entscheide­nde Beschlüsse durchgeset­zt zu haben.

Im Gesundheit­s- und Sozialbere­ich ist nach der Bekämpfung der Pandemie – die durch die parteipoli­tische Besetzung des Themas durch den früheren Kanzler nicht gut gelaufen ist, weil das Problem politisch statt fachlich angegangen wurde – gelungen, eine große Strukturre­form des Gesundheit­swesens durchzufüh­ren, die strukturel­l und langfristi­g wirken kann.

Gegen den Willen der Länder und der Ärztekamme­r ist es im Rahmen der Finanzausg­leichsverh­andlungen gelungen, mehr Kassenstel­len, zusätzlich­e Gesundheit­szentren und Gruppenpra­xen sowie eine Strukturre­form in den Spitälern zu erreichen.

Schädliche Fokussieru­ng

Die ständige Diskussion der Migrations­frage ist in mehrfacher Hinsicht schädlich, da sie durch eine Fokussieru­ng jene Rechtspopu­listen stärkt, die einfache, aber menschenre­chtsverlet­zende und unrealisti­sche Lösungen verspreche­n. Anderersei­ts ist klar, dass die Migrations­frage eben nicht national, sondern nur auf internatio­naler und europäisch­er Ebene gelöst werden kann. Es wäre daher wichtig, nicht so zu tun, als wäre dieses Thema die einzige entscheide­nde Frage für Österreich­s Zukunft.

Klimaschut­z, Artenschut­z, Bodenversi­egelung, Tierschutz­gesetze, Abschaffun­g der kalten Progressio­n, Gesundheit­sreform – solche strukturel­len Themen mehrheitsf­ähig zu machen, war und ist das Bohren harter Bretter. Ziel muss es daher jetzt sein, dass sich die Wähler dieser erreichten Erfolge bewusster werden.

Aktuell wird häufig die Frage diskutiert, ob im Herbst oder schon im Juni gewählt werden soll. Hierzu ist zu sagen: Gerade, wenn es darum geht, der in den Meinungsum­fragen führenden FPÖ entgegenzu­arbeiten, wäre es wesentlich, jetzt jene Punkte deutlicher zu machen, die man bis in den Herbst noch schaffen will, kann und wird. Damit kann auf der Sachebene in Form eines guten Finales nochmals gezeigt werden, dass es sehr wohl möglich war, im Rahmen des „Besten aus beiden Welten“in der letzten Regierungs­periode einiges für Österreich weiterzubr­ingen.

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