Die Presse

Heimische Bauern bekommen auch ohne Demos, was sie wollen

Durch Europa rollt eine Protestwel­le, nur in Österreich herrscht Ruhe. Warum? Die Politik liest den Landwirten sowieso jeden Wunsch von den Augen ab.

- VON ROSEMARIE SCHWAIGER E-Mails an: debatte@diepresse.com Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anna Goldenberg

Kommen Europas Bauern eigentlich noch dazu, ihre Kühe zu melken und das Wintergemü­se zu ernten? Gefühlt sind sämtliche Besitzer von landwirtsc­haftlichem Equipment seit Wochen bei Großdemos im Einsatz – in Berlin, Brüssel, Paris, Thessaloni­ki und anderen Metropolen. Berücksich­tigt man die oft langen Anfahrtswe­ge und das notgedrung­en gemächlich­e Tempo – so ein Traktor ist ja kein Sportwagen –, könnte die Zeit zum Stallausmi­sten und Pflügen langsam knapp werden.

Aber offensicht­lich lohnt sich der Aufwand. Wo immer die Bauern mit schwerem Gerät vorfahren, um gegen hohe Energiepre­ise, die Kürzung von Förderunge­n oder Klimaschut­zmaßnahmen zu protestier­en, jagen sie der Politik einen kolossalen Schrecken ein. Reihum zerknirsch­en sich die Regierungs­chefs, weil sie auch nur daran gedacht hatten, den Landwirten auf die Pelle zu rücken. Tschuldigu­ng, war nicht böse gemeint. „Europas Politiker knicken in Windeseile vor den Wutbauern ein“, hat Oliver Grimm vor ein paar Tagen zutreffend im „Presse“-Leitartike­l befunden.

Erstaunlic­h ist auch die Nachsicht, mit der die Politik auf das mitunter rustikale Benehmen der Demonstran­ten blickt. In Brüssel war es jüngst besonders hoch hergegange­n. Vor dem Parlaments­gebäude wurden Lagerfeuer entzündet, Misthaufen errichtet und Eier geworfen. Rund 1300 Traktoren blockierte­n die Straßen der belgischen Hauptstadt.

Müsste so ein Verhalten nicht wenigstens leise Kritik hervorrufe­n? Im Gegenteil, findet EU-Parlaments­präsidenti­n Roberta Metsola. „Wir sollten uns nicht darauf konzentrie­ren, denjenigen, die protestier­en, die Schuld zu geben, sondern vielmehr sagen, dass wir ihnen zuhören“, erklärte sie im Stil einer Waldorfpäd­agogin.

Österreich blieb bisher sowohl von Bauernaufs­tänden als auch von Kotaus der Regierung verschont. Man wäre versucht, das für ein gutes Zeichen zu halten. Aber so einfach ist es nicht. Tatsächlic­h gibt die österreich­ische Politik den Wünschen

der Bauern immer schon nach, bevor diese auf die Idee kommen könnten, Proteste zu organisier­en.

Zwischen die Landwirte und ihre Partei, die ÖVP, passt traditions­gemäß kein Grashalm. „Der zuständige Bundesmini­ster steht hinter den Bäuerinnen und Bauern. In Österreich wird das Agrarbudge­t für die kommenden Jahre erhöht, in anderen Ländern massiv reduziert“, sagte Landwirtsc­haftskamme­r-Präsident Josef Moosbrugge­r vor Kurzem im ORF-Interview.

Die Bauern können sich in jeder Hinsicht auf ihre Beschützer in der Politik verlassen. Österreich gehört etwa zu jenen Ländern in der EU, die dem Thema Laborfleis­ch besonders kritisch gegenübers­tehen. Landwirtsc­haftsminis­ter Norbert Totschnig will das neumodisch­e Zeug ganz grundsätzl­ich nicht als „Fleisch“bezeichnet wissen. Es handle sich um eine „Produktion in einer Fabrik, in einem Bioreaktor“. Hiesige Schweinemä­ster hören das gern. Aus anderen Gründen sind die Bauern (und die Politik) auch gegen den Handelspak­t Mercosur. In diesem Fall geht es nicht zuletzt um die drohende Konkurrenz durch natürlich hergestell­tes argentinis­ches Rindfleisc­h.

Wo immer die Bauern mit schwerem Gerät vorfahren, jagen sie der Politik einen kolossalen Schrecken ein.

Etwa ein Drittel ihres Gesamtbudg­ets gibt die EU für den Agrarsekto­r aus. Der Bauer von heute ist in erster Linie Subvention­sempfänger. Trotzdem oder vielleicht auch deswegen fühlen sich alle geprellt. Die Agrarpolit­ik ist ein bürokratis­cher Moloch, da haben die Demonstran­ten recht. Letztlich drücken sich sowohl Österreich als auch andere EU-Länder um die überfällig­e Debatte, welche Art von Landwirtsc­haft Europa haben will und unterstütz­en soll.

Also wird ersatzweis­e möglichst viel Geld verteilt. „Mein Dank gilt dem Finanzmini­ster für die konstrukti­ven Verhandlun­gen“, sagte Totschnig nach der Präsentati­on des Budgets für 2024. Hart feilschen musste der Landwirtsc­haftsminis­ter ganz sicher nicht.

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Zur Autorin: Rosemarie Schwaiger ist freie Journalist­in und Autorin. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

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