Heimische Bauern bekommen auch ohne Demos, was sie wollen
Durch Europa rollt eine Protestwelle, nur in Österreich herrscht Ruhe. Warum? Die Politik liest den Landwirten sowieso jeden Wunsch von den Augen ab.
Kommen Europas Bauern eigentlich noch dazu, ihre Kühe zu melken und das Wintergemüse zu ernten? Gefühlt sind sämtliche Besitzer von landwirtschaftlichem Equipment seit Wochen bei Großdemos im Einsatz – in Berlin, Brüssel, Paris, Thessaloniki und anderen Metropolen. Berücksichtigt man die oft langen Anfahrtswege und das notgedrungen gemächliche Tempo – so ein Traktor ist ja kein Sportwagen –, könnte die Zeit zum Stallausmisten und Pflügen langsam knapp werden.
Aber offensichtlich lohnt sich der Aufwand. Wo immer die Bauern mit schwerem Gerät vorfahren, um gegen hohe Energiepreise, die Kürzung von Förderungen oder Klimaschutzmaßnahmen zu protestieren, jagen sie der Politik einen kolossalen Schrecken ein. Reihum zerknirschen sich die Regierungschefs, weil sie auch nur daran gedacht hatten, den Landwirten auf die Pelle zu rücken. Tschuldigung, war nicht böse gemeint. „Europas Politiker knicken in Windeseile vor den Wutbauern ein“, hat Oliver Grimm vor ein paar Tagen zutreffend im „Presse“-Leitartikel befunden.
Erstaunlich ist auch die Nachsicht, mit der die Politik auf das mitunter rustikale Benehmen der Demonstranten blickt. In Brüssel war es jüngst besonders hoch hergegangen. Vor dem Parlamentsgebäude wurden Lagerfeuer entzündet, Misthaufen errichtet und Eier geworfen. Rund 1300 Traktoren blockierten die Straßen der belgischen Hauptstadt.
Müsste so ein Verhalten nicht wenigstens leise Kritik hervorrufen? Im Gegenteil, findet EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. „Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, denjenigen, die protestieren, die Schuld zu geben, sondern vielmehr sagen, dass wir ihnen zuhören“, erklärte sie im Stil einer Waldorfpädagogin.
Österreich blieb bisher sowohl von Bauernaufständen als auch von Kotaus der Regierung verschont. Man wäre versucht, das für ein gutes Zeichen zu halten. Aber so einfach ist es nicht. Tatsächlich gibt die österreichische Politik den Wünschen
der Bauern immer schon nach, bevor diese auf die Idee kommen könnten, Proteste zu organisieren.
Zwischen die Landwirte und ihre Partei, die ÖVP, passt traditionsgemäß kein Grashalm. „Der zuständige Bundesminister steht hinter den Bäuerinnen und Bauern. In Österreich wird das Agrarbudget für die kommenden Jahre erhöht, in anderen Ländern massiv reduziert“, sagte Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger vor Kurzem im ORF-Interview.
Die Bauern können sich in jeder Hinsicht auf ihre Beschützer in der Politik verlassen. Österreich gehört etwa zu jenen Ländern in der EU, die dem Thema Laborfleisch besonders kritisch gegenüberstehen. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig will das neumodische Zeug ganz grundsätzlich nicht als „Fleisch“bezeichnet wissen. Es handle sich um eine „Produktion in einer Fabrik, in einem Bioreaktor“. Hiesige Schweinemäster hören das gern. Aus anderen Gründen sind die Bauern (und die Politik) auch gegen den Handelspakt Mercosur. In diesem Fall geht es nicht zuletzt um die drohende Konkurrenz durch natürlich hergestelltes argentinisches Rindfleisch.
Wo immer die Bauern mit schwerem Gerät vorfahren, jagen sie der Politik einen kolossalen Schrecken ein.
Etwa ein Drittel ihres Gesamtbudgets gibt die EU für den Agrarsektor aus. Der Bauer von heute ist in erster Linie Subventionsempfänger. Trotzdem oder vielleicht auch deswegen fühlen sich alle geprellt. Die Agrarpolitik ist ein bürokratischer Moloch, da haben die Demonstranten recht. Letztlich drücken sich sowohl Österreich als auch andere EU-Länder um die überfällige Debatte, welche Art von Landwirtschaft Europa haben will und unterstützen soll.
Also wird ersatzweise möglichst viel Geld verteilt. „Mein Dank gilt dem Finanzminister für die konstruktiven Verhandlungen“, sagte Totschnig nach der Präsentation des Budgets für 2024. Hart feilschen musste der Landwirtschaftsminister ganz sicher nicht.