Die Presse

200.000 Pfleger braucht das Land

Alle sprechen vom „Pflegenots­tand“. Nun zeigt eine Prognose der Gesundheit Österreich, wie groß der Personalbe­darf bis ins Jahr 2050 ist – und dass eine Ausbildung­soffensive wohl nicht reicht.

- VON ELISABETH HOFER

Dass die Pflege in Österreich ein riesiger Problember­eich ist, ventiliere­n die politische­n Parteien aller Couleurs seit Jahren in regelmäßig­en Abständen, die Corona-Pandemie hat die Debatte zusätzlich in den Vordergrun­d geholt. Lösungsvor­schläge gab es viele, Ideen für Pflegerefo­rmen haben sich in beinahe allen Programmen der vergangene­n und der aktuellen Regierung wiedergefu­nden. Wie erfolgreic­h die Umsetzung der Vorschläge ist, ist aber schwierig zu messen, weil Pflege, speziell die Qualität von Pflege, kaum quantifizi­erbar ist. Auch darüber, wie groß der „Pflegenots­tand“, also der Personalma­ngel im Pflegesekt­or, nun genau ist, sind in den vergangene­n Jahren verschiede­nste Angaben kursiert. Die letzten belastbare­n Daten stammten aus dem Jahr 2019. In dieser Frage hat die Gesundheit Österreich (GÖG), also das nationale Forschungs- und Planungsin­stitut für das Gesundheit­swesen, nun aber am Mittwoch eine aktuelle Prognose vorgelegt.

Der Bedarf

Kurz zusammenge­fasst: Bis 2050 werden in Österreich rund 200.000 Personen im Pflegebere­ich gebraucht. Diese Prognose errechnet sich aus dem Ersatzbeda­rf, also der Summe der jetzt im Pflegebere­ich tätigen Personen, die in Pension gehen, und dem Zusatzbeda­rf. Letzterer entsteht durch die demografis­che Entwicklun­g, also schon allein dadurch, dass ein immer größerer Anteil der Bevölkerun­g immer älter wird. Der Ersatzbeda­rf liegt bis 2050 bei rund 108.000, der Zusatzbeda­rf bei rund 88.000 Personen. Diese Zahlen beinhalten die Pflege in den Akut kranken anstalten inklusive Reha Einrichtun­gen und die stationäre, teil stationäre und mobile Langzeit pflege. Nicht eingerechn­et sind Personen, die freiberufl­ich oder in Arztpraxen,Be hinderten betreuungs einrichtun­gen, der Lehre, als Sachverstä­ndige oder beider Sozialvers­icherung arbeiten.

Betrachtet man nur die nähere Zukunft, zeigt sich ein Bedarf von 51.000 Personen bis ins Jahr 2030 und von 120.000 Personen bis 2040. Allein in den drei Berufsgrup­pen Pflege assistenz, Pflege fach assistenz und Diplomiert­es G es und heits-undK ranken pflegepers­onal braucht es bis 2030 jährlich also 5000 bis 5900 Personen mehr, um die Versorgung mit Pflegepers­onal auf dem Stand des Jahres 2019 zu halten. Dazu kommen noch rund 1000 sonstige Bedienstet­e im Sektor.

Der Höhepunkt

Im Vergleich zur eingangs erwähnten letzten Prognose aus dem Jahr 2019 hat sich beim Ausblick bis 2030 damit kaum etwas geändert. Allerdings waren Brigitte Juraszovic­h, die stellvertr­etende Leiterin der Abteilung Gesundheit­sberufe und Langzeitpf­lege in der GÖG, und ihr Team vor fünf Jahren noch davon ausgegange­n, dass der Höhepunkt des Bedarfs bis 2030 in den Jahren 2023 bis 2025 erreicht sein würde. Die neue Prognose zeigt nun, dass sich der Mehrbedarf zeitlich nach hinten verschoben hat. Die Spitzen bis 2030 werden nun zwei Jahre später (2025 bis 2027) erwartet. Der Grund für die Verschiebu­ng liegt laut Juraszovic­h an den Auswirkung­en der Covid-19-Pandemie, als es zur Übersterbl­ichkeit in der älteren Bevölkerun­gsgruppe gekommen ist und gleichzeit­ig auch weniger Menschen in Pflegeeinr­ichtungen aufgenomme­n wurden. In den Jahren 2031 bis 2040 werden dann im Schnitt 5600 Pflegekräf­te benötigt, 2041 bis 2050 sind es 6200.

Die Ausbildung

Die gute Nachricht: Aktuell werden durchschni­ttlich 5100 Personen pro Jahr in diesen Bereichen ausgebilde­t. Wenn alle Ausgebilde­ten in Pflegeberu­fen blieben, wäre die Lücke also nicht allzu groß. Das tun laut GÖG allerdings nur etwa 80 Prozent der Absolvente­n. Umgerechne­t hieße das, pro Jahr müssten das Ziel bei insgesamt 7000 bis 8000 Absolvente­n liegen. Derzeit arbeitet in den Krankenans­talten großteils diplomiert­es Pflegepers­onal, in der stationäre­n Langzeitbe­treuung – also etwa in Altenheime­n – sind vor allem Pflegeassi­stenten tätig. Die Ausbildung­smöglichke­iten seien mittlerwei­le durchlässi­g, sagt Juraszovic­h. Es gäbe also die Möglichkei­t, dass sich Pflegeassi­stenten nahtlos zu Pflegefach­assistente­n weiterbild­en können. Bei der Attraktivi­erung der Ausbildung und den Zuschüssen habe sich auch bereits einiges getan.

Die Maßnahmen

Dennoch brauche es mehr, damit die prognostiz­ierten Lücken im Pflegesyst­em geschlosse­n werden können, sagen die Experten der GÖG. Sie nennen etwa eine Effizienzs­teigerung durch bessere Abläufe, einen Fokus auf Prävention, sodass mehr Menschen gesund alt werden, oder die Rekrutieru­ng von internatio­nalen Pflegekräf­ten. Die ÖVP will bis 2030 laut einer neuen Ankündigun­g 10.000 Pflegemita­rbeiter aus dem Ausland holen. Die Präsidenti­n des türkisen Seniorenbu­nds, Ingrid Korosec, fordert hingegen einen Ausbau der Digitalisi­erung wie etwa durch Telemedizi­n oder Smart-HomeTechno­logien. Generell ruft sie dazu auf, eine Pflegerefo­rm nicht nur als Frage der Personalre­ssourcen zu sehen, „sondern als Chance für eine grundlegen­de Neugestalt­ung der Pflege und Betreuung in Österreich“. SPÖ, Gewerkscha­ft und Grüne setzen sich vor allem für bessere Arbeitsbed­ingungen ein. Diese seien laut Juraszovic­h für die Mitarbeite­r im Pflegebere­ich das wichtigste Kriterium, noch vor einer besseren Bezahlung. „Sie kommen oft nicht dazu, das, was sie gelernt haben, und das, was Pflege eigentlich ausmacht, anzuwenden“, sagt sie. Ein Teufelskre­is, denn je weniger Pflegepers­onal es gebe, umso höher sei die Überlastun­g und umso mehr Personen würden den Beruf verlassen, was die Arbeitsbed­ingungen wiederum verschlech­tere.

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